So., 19.01.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Mehr Manipulation im Netz?
Was das Faktencheck-Aus beim Social Media-Konzern Meta bedeutet
Begonnen hat es als Versprechen einer schönen neuen Welt von Verbundenheit, in der Kommunikation den globalen Marktplatz der Ideen befördert – auch die Demokratie.
Bidens letzte warnende Worte
Profitorientierte Social Media-Plattformen sind aber nun auch das: ein Raum für Hass und Hetze, Lügen und Schmutzkampagnen. Ihre Macht erscheint vielen als so bedrohlich, dass selbst Joe Biden in seiner Abschiedsrede vor ihnen warnt. "Die Amerikaner werden unter einer Lawine von Fehl- und Desinformationen begraben, die Machtmissbrauch begünstigen. Die freie Presse zerfällt, Redakteure verschwinden. In den Sozialen Medien wird die Überprüfung von Fakten aufgegeben. Die Wahrheit wird von Lügen erstickt, die aus Macht- und Profitgründen verbreitet werden."
Zuckerberg: "Wir werden die Meinungsfreiheit wieder herstellen"
In den USA darf jeder – fast – alles sagen, sogar der Holocaust darf geleugnet werden. Auch das fällt unter Meinungsfreiheit, das höchste Gut. Nach dem 6. Januar 2021 aber gab es Einschränkungen: Die auf allen Plattformen verbreitete Lüge vom Wahlbetrug, der Aufruf Donald Trumps an seine Anhänger, nach Washington DC zu kommen und der Sturm auf das Kapitol führten dazu, dass Trump von Twitter und Facebook verbannt wurde.
Jetzt kehrt er zurück ins Weiße Haus und Facebook-Chef Mark Zuckerberg legt eine beachtliche Wende hin. Sein Internetkonzern Meta schafft die Faktenchecks ab und er erklärt dazu: "Die jüngsten Wahlen erscheinen mir wie ein kultureller Wendepunkt, Meinungsäußerungen haben wieder Priorität. Wir werden also zu unseren Wurzeln zurückkehren und die freie Meinungsäußerung auf unseren Plattformen wiederherstellen."
Internet ohne Faktenchecker: Pro und Contra
Es ist eine Entscheidung mit nicht zu unterschätzender Tragweite: Täglich nutzen mehr als drei Milliarden Menschen weltweit die Meta-Plattformen Facebook, Instagram und WhatsApp.
Digitaljournalistin Ingrid Brodnig nennt Zuckerbergs Entscheidung "eine Katastrophe". Seine Motive, Faktenchecks schlecht zu reden und die Regeln im Umgang mit Beleidigung und Hassrede zu lockern, sieht sie von Eigeninteressen getrieben: "Er möchte sich de facto hinter Donald Trump verstecken, um keine Regulierung von der EU zu bekommen."
André Wolf, Sprecher der österreichischen Faktenchekcer-Plattform Mimikama befürchtet eine weitere "Verrohung des Tonfalls" unter den Nutzerinnen und Nutzern: "Ich sehe die Gefahr, dass bestimmte marginalisierte Gruppen stärker angegriffen werden können, da sie jetzt nun nicht mehr geschützt werden. Es gibt keinen Safe Space in dem Sinne mehr."
Der Experte für Medienrecht Volker Boehme-Neßler wiederum glaubt, dass die bestehenden Gesetze ausreichen, um Falschinformationen im Netz zu verhindern: "Es ist ja nicht so, dass in den Netzwerken alles erlaubt wäre. Es gibt immer noch das Strafrecht als Grenze der Meinungsfreiheit. Wer also beispielsweise beleidigt, wer Volksverhetzung betreibt, wer den Holocaust leugnet, der kommt in Kontakt mit dem Strafrecht. Und das gilt auch auf den Social Media-Plattformen."
Künftig sollen Nutzerinnen und Nutzer auf Fake News hinweisen
Mark Zuckerberg will, genau wie X, die Faktenchecks durch Community Notes ersetzen, Falschmeldungen sollen also von Nutzerinnen und Nutzern markiert werden: "Bei den Community Notes, wie wir sie kennen, müssen Leute aus unterschiedlichen politischen Richtungen zustimmen, dass etwas falsch ist und erst dann kann die Richtigstellung erscheinen", gibt Brodnig zu bedenken. "Und bei umkämpften Themen, wie Migration oder Schwangerschaftsabbrüchen, sehen wir, dass viele Richtigstellungen niemals erscheinen."
Zuckerbergs Wende: Hoffnung auf Unterstützung durch Trump
Die Digitaljournalistin Ingrid Brodnig beobachtet die Entwicklung der Social Media-Plattformen seit mehr als zehn Jahren: "Es kann schon sein, dass Mark Zuckerberg in seinem Denken nach rechts gerückt ist. Aber ich würde schon sagen, er als Milliardär verfolgt höchstwahrscheinlich am Ende ökonomische Interessen und sich jetzt mit dieser rechten Regierung in den USA anzufreunden, beschützt ihn womöglich wirtschaftlich vor härteren Maßnahmen in der EU. Also da ist diese ideologische Wende vielleicht ein Trick, um tatsächliche Konsequenzen zu vermeiden."
Digital Services Act soll User in der EU schützen
In Deutschland und der EU sollen die Faktenchecks vorerst erhalten bleiben. Grund dafür ist vor allem der Digital Services Act. Seit rund einem Jahr verbietet das EU-Gesetz die Verbreitung illegaler Inhalte und schützt die User. Dabei helfen sogenannte Faktenchecker. Aber auch sie sind Menschen, die Netzinhalte mit ihrer eigenen politischen Haltung bewerten.
Medienrechtsexperte Volker Boehme-Neßler weist zudem darauf hin, dass die großen bekannten Faktenchecker-Organisationen, wie z.B. Correctiv, zu einem erheblichen Teil vom Staat finanziert werden. "Das heißt ja mit anderen Worten, wenn der Staat einen Faktenchecker finanziert oder mitfinanziert, dann ist der Staat ja derjenige, der checkt, was gesagt werden darf und was nicht gesagt werden darf."
Mimikama: Ohne Faktenchecker nimmt Manipulation zu
Die Faktencheck-Organisation Mimikama ist wiederum ein unabhängiger Verein und finanziert sich ausschließlich durch Spenden. Seit 2011 berichtigt Mimikama Lügen und Falschaussagen auf seiner Webseite.
Da ist zum Beispiel die Villa von Olaf Scholz, die in Los Angeles abgebrannt sein soll. Auf Social Media findet man KI generierten Videos von Feuerwehrmännern. Sie gehören zu den harmloseren Fakes. Aber es gibt auch andere: Falschaussagen und Hassposts über die muslimische Minderheit der Rohingya in Myanmar führten 2017 zur Ermordung von mehr als 1.000 Menschen, hunderttausende wurden vertrieben.
Auch wenn nicht alle Fake News tödliche Folgen haben, sind sie dennoch eine Gefahr für den Diskurs und damit für die Demokratie, sagt Mimikama-Sprecher André Wolf. Dabei gehe es nicht um die einzelne Fake News, sondern darum Chaos zu stiften, so "dass man am Ende des Tages sagt: 'Ich kenne mich nicht mehr aus, ich weiß nicht mehr, was wahr ist und ich weiß vor allem nicht mehr, wem ich glauben soll.' Dann haben die Falschmeldungen gewonnen, dann hat die Desinformation gewonnen."
Neuartige Allianz von Macht und Medien
Gerüchte und Falschnachrichten hat es immer schon gegeben, auch die Allianz von Macht und Medien ist nicht neu. Aber noch nie war sie so konzentriert in den Händen einiger weniger, sehr reicher Männer: Mark Zuckerbergs Vermögen wird auf mehr als 200 Milliarden US-Dollar geschätzt. Elon Musk, Besitzer von X, ist mehr als 400 Milliarden schwer. Und im Gegensatz zu Zuckerberg ist er politisch aktiv, unterstützt Donald Trump und mischt sich auch in Europa ein.
"EU muss im digitalen Bereich souveräner werden"
Mimikama-Sprecher André Wolf plädiert angesichts der digitalen Abhängigkeit der EU von den USA beispielsweise für die Schaffung eigener Social Media-Plattformen: "Wir haben es verschlafen, eigene Plattformen zu etablieren. Es ist ja nicht nur die Nutzung von Social Media, bei der wir abhängig sind von Amerika. Also müssen wir da vielleicht etwas nachholen, um Europäerinnen und Europäern die Möglichkeit zu geben, über eigene Social Media-Plattformen zu kommunizieren."
Die Tech-Giganten aus den USA wollen keine Kontrolle und riskieren damit noch mehr Lügen und Desinformation, Verunsicherung und Manipulation der Gesellschaft, die Verzerrung des demokratischen Diskurses. Mit dem Digital Services Act hat die EU ein Gegenmittel. Sie muss es konsequent einsetzen.
Autorin TV-Beitrag: Petra Böhm
Stand: 20.01.2025 11:32 Uhr
Kommentare