So., 25.08.24 | 23:20 Uhr
Das Erste
Zwischen Avantgarde und Pop – Treffen mit Laurie Anderson
In den legendären HANSA-Studios in Berlin, treffen wir die legendäre Laurie Anderson, bekannt für experimentelle Kompositionen, poetische Texte und gesellschaftskritische Performances. Alle haben sie hier ihre Songs aufgenommen: David Bowie, Iggy Pop, Nina Hagen. Und hier präsentiert Anderson ihr neues Album - über die amerikanische Flugpionierin Amelia Earhart. Sie wollte als erste Frau die Welt umrunden und blieb verschollen. "Einer der Gründe, warum ich so beeindruckt von Amelia Earhart bin", erklärt Anderson, "ist, wie sie amerikanischen Frauen den Weg zu Technik öffnen wollte. Sie wollte sich für Technikworkshops für Mädchen an den Schulen einsetzen. Jungs konnten Kurse für Maschinenbau, Metall- und Holzverarbeitung wählen. Aber Mädchen wollten auch wissen, wie Maschinen funktionieren, meinte sie vor 87 Jahren. Jetzt mal schnell nach vorne gespult: wie viele Mädchen sind heute in Ingenieursberufen willkommen?“ In der Fliegerin Amelia Earhart sieht Anderson eine Verbündete für einen lebenslangen Kampf um Emanzipation. Was hat sie auf ihrem einsamen letzten Flug gedacht? Was wollte sie bewirken?
1984 lernt das deutsche Publikum sie kennen
Männliche Machtstrukturen wollte Laurie Anderson künstlerisch durchbrechen. Mit technisch raffinierten Songs, wie mit ihrem Welthit: "O Superman!" Ihr Körper als Instrument. So lernt das deutsche Publikum sie 1984 bei Alfred Biolek kennen. Sie war immer Avantgarde, eine, die sich musikalisch schwer einordnen lässt. Die 77-Jährige erinnert sich: "1978 habe ich beim Jazzfestival in der Berliner Philharmonie gespielt. Keine Ahnung, warum die mich eingeladen hatten. Und als ich spielte, rief ein Typ: 'Spiel Jazz!' Und ich: äh, ja, klar, Jazzfestival, ich sollte… Dann dachte ich: aber ich hab gar keine Ahnung von Jazz! Das war eine tolle Zeit: meine Musik war außerhalb des Kontexts und gleichzeitig war ich drin.“
In ihrer Musik geht es um Gefühlsfrequenzen
Viele ihrer Songs sind zeitlos faszinierend. Banales Entertainment und pure Show sind der praktizierenden Buddhistin zuwider. Mit ihrer Musik will sie ihre Zeit widerspiegeln. Welche Musik sieht sie für uns heute? "Das nächste Projekt, an dem ich arbeite, wird ‚Arche‘ heißen", sagt sie lachend. "Ja, so ein großes Ding, wie ich die Welt retten will, überhaupt nicht ambitioniert." Es gehe um die Zeit. Das sei essentiell für sie. "In meinem Land", so die gebürtige Amerikanerin, "glaubt die eine Hälfte der Leute: die Zeit läuft uns davon. Alles geht den Bach runter, das Wasser, die Luft, das Gas. Und die andere Hälfte will die Uhr zurückdrehen: Amerika über alles in der Welt. Zurück in die Vergangenheit, als wir keine Probleme hatten." Sie lacht.
Und wir wollen von Laurie Anderson wissen, ob Künstler heute besonders politisch sein müssen? "Heute müssen alle politisch sein. Wobei Künstler natürlich sehr scharfe Werkzeuge haben“, weiß die Multimedia-Künstlerin. "In meiner Musik geht es letztlich um Gefühlsfrequenzen. Meine Freunde sagen immer: ich weiß zwar nicht mehr, was du zu mir gesagt hast, oder habe vergessen, was du gemacht hast, aber ich weiß noch genau, welche Gefühle du bei mir geweckt hast.“
'The way you make me feel', klingt wie ein Songtitel aus den 80ern. Ist aber der Schlüssel zu Laurie Andersons Kunst.
(Beitrag: Ralf Dörwang)
Stand: 26.08.2024 10:50 Uhr
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