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Die Welt retten – Claus Leggewie fordert ein Naturparlament

Über die Vision politischer Teilhabe der Natur | Video verfügbar bis 26.08.2025 | Bild: NDR
Das Naturparlament
Tieren politische Mitsprache ermöglichen? Leggewie nennt das "Bringschuld". | Bild: NDR

Wir Menschen haben es verbockt, sagt der Politologe Claus Leggewie. Klimawandel und Artensterben schreiten voran, wir haben die Welt an die Grenze ihrer Existenzfähigkeit gebracht. Er hat eine Vision und fordert ein radikales Umdenken in der Politik: "Wir befinden uns hier in einem klassischen Parlament, wir haben hier die Abgeordneten, dort die Regierung, parlamentarische Mitte, Linke, Rechte, aber, wenn sie über Naturprobleme, wie den Klimawandel, das Artensterben reden, müssten dann hier nicht auch Vertreter der Natur, Vertreterinnen der Umwelt sitzen, also bspw. Tiere, Pflanzen, sog. tote Materie, und, warum nicht, Roboter?“

Mit der Natur auf Augenhöhe

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Der Politologe Claus Leggewie fordert ein radikales Umdenken in der Politik. | Bild: NDR

Tieren eine parlamentarische Stimme geben. Eine absurde Idee? Claus Leggewie nennt es die 'Bringschuld', die wir Menschen gegenüber der Natur haben: "Mit unserem Anthropozentrismus, also den Menschen ins Zentrum zu rücken, sind wir vor die Wand gefahren. Wir müssen unbedingt und ganz dringend auf die Stimmen der Anderen hören und die einbeziehen. Wie wir das tun, ist eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte." Sein Denkmodell: ein Parlament, in dem die Dinge der Natur ein Mitspracherecht haben. Was würden uns die Tiere sagen, denen wir ihren Lebensraum wegnehmen? Was die bedrohten Ökosysteme und schmelzenden Gletscher?  Könnten wir künstliche Intelligenz so füttern, dass sie die Natur besser vertritt als Politiker?

Klimawandel duldet keinen Aufschub mehr

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Umweltkatastrophen fallen immer extremer aus. Der Klimawandel artikuliert sich unübersehbar. | Bild: NDR

"Politik ist, auf die lange Bank schieben", meint Leggewie. "Wir machen das nicht heute, weil wir uns noch nicht einig sind, wir machen es morgen, dann sind wir uns vielleicht einig. Und diese Zeit gewährt uns der Klimawandel und das Artensterben nicht mehr." Die Natur spricht mittlerweile eine sehr deutliche Sprache. Umweltkatastrophen fallen immer extremer aus. Der Klimawandel artikuliert sich unübersehbar. Ebenso wie das Artensterben.
Die Direktorin des Frankfurter Senckenberg-Institus für Biodiversität und Klima Katrin Böhning-Gaese beobachtet das mit größter Sorge: "Seit meiner frühen Gymnasialzeit sind 2/3 aller Tiere auf der Erde verschwunden. Die Situation ist wirklich ernsthaft dramatisch. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Natur, die Biodiversität unsere Existenzgrundlage ist, wenn wir das nicht ernst nehmen, erodiert uns diese Lebensgrundlage. Also müssen wir Mechanismen finden, um der Natur eine stärkere Stimme zu geben."

Vorbilder kommen aus dem globalen Süden

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Biologin Katrin Böhning-Gaese befürchtet eine Erosion unserer Lebensgrundlagen. | Bild: NDR

Dabei sollten die regelmäßigen UN-Klimakonferenzen solche "Parlamente der Natur" sein. Vor lauter zäher Kompromissfindung mit den wirtschaftlichen Interessen aber nur mit mageren Ergebnissen für die Umwelt.
Es geht mehr: einige Länder mit indigener Bevölkerung machen es bereits vor und erklären Tiere, Wälder, Flüsse zu Rechtspersonen. Menschen können in ihrem Namen vor Gericht ziehen, z.B. Konzerne anklagen, wenn sie Gewässer verschmutzen. Den Maori in Neuseeland sind ihre Wale heilig. Mit Menschenrechten ausgestattet kommen sie jetzt juristisch auf unsere Augenhöhe.
"Die Bewegungen kommen interessanterweise eher aus dem globalen Süden", erklärt Böhning-Gaese. "Z.B. hat Ecuador, Pajamama, die Rechte der Natur in die Verfassung aufgenommen. Das bedeutet ein komplettes Umdenken im Kopf, weg von der Ausnutzung der Natur, hin Richtung Respekt und Verantwortung gegenüber der Natur. Die soziale Frage wurde auch über Jahrhunderte entwickelt, und jetzt geht es um die ökologische Frage."

Der Natur eine Stimme geben - aber wie?

Eine Walflosse ragt aus dem Meer
Den Maori in Neuseeland sind ihre Wale heilig. Mit Menschenrechten ausgestattet kommen sie jetzt juristisch auf unsere Augenhöhe.  | Bild: NDR

Um die Frage, wie man konkret die Rechte der Natur in Verfassungen, Justiz und Parlamenten so manifestiert, dass man nicht mehr um sie herumreden kann, hat sich Claus Leggewie bereits Gedanken gemacht: "Wir müssen uns ausdenken, wie eine Natur-Repräsentation aussehen könnte. Findet sie statt über die Advokaten, die sich für die Interessen der Natur einsetzen? Findet sie über Gerichte statt, wo Richterinnen und Richter oder Staatsanwälte für die Natur sprechen? Es würde uns empfindsamer machen, aufmerksamer machen für die so artikulierten Anliegen eines Waldes, eines Gletschers, eines Flusses."
Und vielleicht brauchen wir dafür auch künstliche Intelligenz, sagt Leggewie, die in der Politik die Interessen der Natur vertritt. Eine eigene starke Stimme, die andere Prämissen setzt. Denn, es geht jetzt um die Substanz. Grundsätzlich brauchen wir neue Ideen für unsere Zukunft. 

 (Beitrag: Ralf Dörwang)

Stand: 26.08.2024 10:50 Uhr

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