SENDETERMIN So., 01.09.24 | 23:40 Uhr | Das Erste

"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"

Diskussionsreihe des PEN Berlin in Thüringen, Sachsen und Brandenburg

Diskussionsreihe des PEN Berlin | Video verfügbar bis 01.09.2025 | Bild: picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt

Der PEN Berlin ist mit seiner Diskussionsreihe "Das wird man ja wohl noch sagen dürften" auf Tour im Osten. Anlässlich der Landtagswahlen diskutieren Schriftsteller und Publizistinnen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit Leuten vor Ort – über die Meinungsfreiheit, an die viele hierzulande nicht mehr so recht glauben. Ein Fall für den PEN?

Meinungsfreiheit: Lebensversicherung der Demokratie

Deniz Yücel begleitet PEN-Diskussionsreihe
Deniz Yücel begleitet PEN-Diskussionsreihe | Bild: ttt

Was hinter der Idee steckt, erklärt PEN-Sprecher Deniz Yücel, der die Veranstaltungen gemeinsam mit Poetry Slammer Aron Boks begleitet: "Der PEN Berlin ist genauso wie alle anderen PEN-Zentren weltweit ein Zusammenschluss zur Verteidigung der Meinungsfreiheit. Für die setzen wir uns hier ein. Schließlich ist es auch ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit den Landtagswahlen: das Gefühl, dass man in Deutschland nicht mehr frei seine Meinung sagen könne. Ob es das Problem Nummer Eins ist im Osten vermag ich nicht zu sagen."

Yücels persönliches Engagement überrascht nicht. 2017 saß er wegen angeblicher "Terrorpropaganda" in der Türkei in Haft. Meinungsfreiheit sieht er als die Lebensversicherung der Demokratie. Wo sie fehlt, wird es gefährlich. Einer Allensbach-Umfrage zufolge glaubt eine Mehrheit der Deutschen heute, sie sei eingeschränkt. Ein alarmierender Befund, zu dem jeder, kaum überraschend, eine eigene Meinung hat.

Enthemmte Sprache vs. Cancel Culture

Rundreise zu 37 Veranstaltungen
Rundreise zu 37 Veranstaltungen | Bild: ttt

Insgesamt 37 Veranstaltungen werden es am Ende sein, jede in einer anderen Stadt von Annaberg bis Perleberg, von Ilmenau bis Zwickau. Mit dabei waren oder sind der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann, die Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und Per Leo, die Schriftstellerinnen Ines Geipel und Katja Lange-Müller, die Autoren Navid Kermani und Ingo Schulze, die Publizisten Patrick Bahners und Ralf Schuler.

In einer der Veranstaltungen moniert der Kabarettist Florian Schröder die Enthemmung des Sprechens: "Gefühlt läuft jeder im Pyjama mit Mundgeruch stinkend in die Öffentlichkeit und sagt: 'Das ist mein Platz, ich hab' das Recht dazu.' Dieses Recht gibt es de jure, aber nicht ethisch." Während andere, wie Schriftstellerin Katja Lange-Müller, eine Übersensibilisierung im öffentlichen Raum wahrnehmen: "Wenn du für deine Meinung sofort abgestraft wirst, sofort irgendwohin sortiert wirst, wo du dich absolut nicht wohlfühlst, dann ist das natürlich etwas, das dich eher sprachlos macht." Während Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk einwirft, es gebe ein Recht auf Widerspruch zu bekommen, aber den hielten viele nicht aus.

"Überlebenswichtig": Offener Diskurs statt ritueller Dialoge

Publikumsdiskussion
Publikumsdiskussion | Bild: ttt

In einer Wortmeldung aus dem Publikum wird zur Veranstaltungsreihe angemerkt: Die, um die es geht, sind nicht dabei. Den einen soll keine Bühne geboten werden, die anderen fühlen sich ausgeschlossen. Dabei ist klar: Es muss geredet werden. Nicht nur vor Publikum, sondern auch mit. In der Hoffnung, dass die schweigende Mehrheit ihr Schweigen bricht.

Die Spaltung der Gesellschaft sieht auch Schriftstellerin Ines Geipel als großen Konflikt erkennt. Die einen organisierten sich auf Social Media und wollten "den demokratischen Tisch umschmeißen". Die anderen versuchten sich Gedanken zu machen, wie es trotz der Unterschiede zusammenginge. Dafür müssten, so Historiker Per Leo, aber auch die dazu geholt werden, die sich unterrepräsentiert fühlen – und es auch sind.

Publizist Ralf Schuler im ttt-Gespräch
Publizist Ralf Schuler im ttt-Gespräch | Bild: ttt

Dabei hat der PEN Berlin auch umstrittene Autoren des rechten Meinungsspektrums eingeladen, etwa den Schriftsteller Uwe Tellkamp, der allerdings ablehnte. Nach Torgau kam Ralf Schuler, einst Parlamentsreporter der Bild-Zeitung, heute Politikchef des krawalligen Nachrichtenportals NiUS, um mit Patrick Bahners von der FAZ unter anderem über das Thema Klimapolitik zu streiten. Sagen wir: Meinungsfreiheit war gegeben.

Sicher kann gefragt werden, ob diese PEN-Reise durch ostdeutsche Kleinstädte nicht auch paternalistische Züge trage. Ob intellektuelle Emissäre aus den urbanen Zentren randständigen Milieus Lehrstunden in Sachen Demokratie erteilten? – Im Gegenteil, findet Publizist Ralf Schuler. Er hält die PEN-Idee, konträre Meinungen gegenüberzustellen für "überlebenswichtig": "Wir inszenieren viele Podien, aber wir haben oft nur rituelle Dialoge. Es kommt wirklich darauf an, vielleicht im Sinne von akzeptierender Sozialarbeit, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, sich die anderen Gedankenwelten klarzumachen, ohne den anderen überwältigen zu wollen."

Was es bringt?

PEN Berlin-Tour geht in Brandenburg weiter.
PEN Berlin-Tour geht in Brandenburg weiter. | Bild: ttt

Für Deniz Yücel sind die PEN-Podien ein Versuch, die Spaltung ein Stück weit zu überwinden und "eine gemeinsame Öffentlichkeit vor Ort" herzustellen, heißt, wieder offen miteinander zu sprechen. Eine Weile ist er noch unterwegs, der PEN-Express, demnächst in Brandenburg, wo am 22. September gewählt wird.

Was es bringt? Außer dem guten Gefühl, über alles Mögliche gesprochen zu haben? Das gute Gefühl, dass das möglich ist.

Autor TV-Beitrag: Rayk Wieland

Veranstaltungstipp
"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"
Nächste Termine:
06.09. Eisenhüttenstadt
07.09. Finsterwalde
08.09. Cottbus
10.09. Frankfurt/Oder
11.09. Senftenberg
12.09. Schwedt

Stand: 01.09.2024 23:18 Uhr

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Sendetermin

So., 01.09.24 | 23:40 Uhr
Das Erste

Produktion

Mitteldeutscher Rundfunk
für
DasErste