So., 01.09.24 | 23:40 Uhr
Das Erste
"Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"
Diskussionsreihe des PEN Berlin in Thüringen, Sachsen und Brandenburg
Der PEN Berlin ist mit seiner Diskussionsreihe "Das wird man ja wohl noch sagen dürften" auf Tour im Osten. Anlässlich der Landtagswahlen diskutieren Schriftsteller und Publizistinnen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit Leuten vor Ort – über die Meinungsfreiheit, an die viele hierzulande nicht mehr so recht glauben. Ein Fall für den PEN?
Meinungsfreiheit: Lebensversicherung der Demokratie
Was hinter der Idee steckt, erklärt PEN-Sprecher Deniz Yücel, der die Veranstaltungen gemeinsam mit Poetry Slammer Aron Boks begleitet: "Der PEN Berlin ist genauso wie alle anderen PEN-Zentren weltweit ein Zusammenschluss zur Verteidigung der Meinungsfreiheit. Für die setzen wir uns hier ein. Schließlich ist es auch ein wichtiges Thema im Zusammenhang mit den Landtagswahlen: das Gefühl, dass man in Deutschland nicht mehr frei seine Meinung sagen könne. Ob es das Problem Nummer Eins ist im Osten vermag ich nicht zu sagen."
Yücels persönliches Engagement überrascht nicht. 2017 saß er wegen angeblicher "Terrorpropaganda" in der Türkei in Haft. Meinungsfreiheit sieht er als die Lebensversicherung der Demokratie. Wo sie fehlt, wird es gefährlich. Einer Allensbach-Umfrage zufolge glaubt eine Mehrheit der Deutschen heute, sie sei eingeschränkt. Ein alarmierender Befund, zu dem jeder, kaum überraschend, eine eigene Meinung hat.
Enthemmte Sprache vs. Cancel Culture
Insgesamt 37 Veranstaltungen werden es am Ende sein, jede in einer anderen Stadt von Annaberg bis Perleberg, von Ilmenau bis Zwickau. Mit dabei waren oder sind der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann, die Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und Per Leo, die Schriftstellerinnen Ines Geipel und Katja Lange-Müller, die Autoren Navid Kermani und Ingo Schulze, die Publizisten Patrick Bahners und Ralf Schuler.
In einer der Veranstaltungen moniert der Kabarettist Florian Schröder die Enthemmung des Sprechens: "Gefühlt läuft jeder im Pyjama mit Mundgeruch stinkend in die Öffentlichkeit und sagt: 'Das ist mein Platz, ich hab' das Recht dazu.' Dieses Recht gibt es de jure, aber nicht ethisch." Während andere, wie Schriftstellerin Katja Lange-Müller, eine Übersensibilisierung im öffentlichen Raum wahrnehmen: "Wenn du für deine Meinung sofort abgestraft wirst, sofort irgendwohin sortiert wirst, wo du dich absolut nicht wohlfühlst, dann ist das natürlich etwas, das dich eher sprachlos macht." Während Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk einwirft, es gebe ein Recht auf Widerspruch zu bekommen, aber den hielten viele nicht aus.
"Überlebenswichtig": Offener Diskurs statt ritueller Dialoge
In einer Wortmeldung aus dem Publikum wird zur Veranstaltungsreihe angemerkt: Die, um die es geht, sind nicht dabei. Den einen soll keine Bühne geboten werden, die anderen fühlen sich ausgeschlossen. Dabei ist klar: Es muss geredet werden. Nicht nur vor Publikum, sondern auch mit. In der Hoffnung, dass die schweigende Mehrheit ihr Schweigen bricht.
Die Spaltung der Gesellschaft sieht auch Schriftstellerin Ines Geipel als großen Konflikt erkennt. Die einen organisierten sich auf Social Media und wollten "den demokratischen Tisch umschmeißen". Die anderen versuchten sich Gedanken zu machen, wie es trotz der Unterschiede zusammenginge. Dafür müssten, so Historiker Per Leo, aber auch die dazu geholt werden, die sich unterrepräsentiert fühlen – und es auch sind.
Dabei hat der PEN Berlin auch umstrittene Autoren des rechten Meinungsspektrums eingeladen, etwa den Schriftsteller Uwe Tellkamp, der allerdings ablehnte. Nach Torgau kam Ralf Schuler, einst Parlamentsreporter der Bild-Zeitung, heute Politikchef des krawalligen Nachrichtenportals NiUS, um mit Patrick Bahners von der FAZ unter anderem über das Thema Klimapolitik zu streiten. Sagen wir: Meinungsfreiheit war gegeben.
Sicher kann gefragt werden, ob diese PEN-Reise durch ostdeutsche Kleinstädte nicht auch paternalistische Züge trage. Ob intellektuelle Emissäre aus den urbanen Zentren randständigen Milieus Lehrstunden in Sachen Demokratie erteilten? – Im Gegenteil, findet Publizist Ralf Schuler. Er hält die PEN-Idee, konträre Meinungen gegenüberzustellen für "überlebenswichtig": "Wir inszenieren viele Podien, aber wir haben oft nur rituelle Dialoge. Es kommt wirklich darauf an, vielleicht im Sinne von akzeptierender Sozialarbeit, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, sich die anderen Gedankenwelten klarzumachen, ohne den anderen überwältigen zu wollen."
Was es bringt?
Für Deniz Yücel sind die PEN-Podien ein Versuch, die Spaltung ein Stück weit zu überwinden und "eine gemeinsame Öffentlichkeit vor Ort" herzustellen, heißt, wieder offen miteinander zu sprechen. Eine Weile ist er noch unterwegs, der PEN-Express, demnächst in Brandenburg, wo am 22. September gewählt wird.
Was es bringt? Außer dem guten Gefühl, über alles Mögliche gesprochen zu haben? Das gute Gefühl, dass das möglich ist.
Autor TV-Beitrag: Rayk Wieland
Stand: 01.09.2024 23:18 Uhr
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