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Kunststar Hans Haacke in der „SCHIRN“

Unerschrocken im Angesicht der Macht

Dinosaurierskelett im Senckenbergmuseum mit einem digitalen Band, das den Börsenkurs zeigt.
Dinosaurierskelett und der Börsenkurs. Ein Kunstwerk von Hans Haacke. | Bild: hr

Er ist der Pionier der politischen Konzeptkunst, sozusagen der Urvater, auf den sich bis heute viele Künstler:innen beziehen: Hans Haacke, Gewinner des Goldenen Löwen bei der Kunstbiennale in Venedig 1993. Die Frankfurter Schirn Kunsthalle widmet dem mittlerweile 88-jährigen Deutsch-Amerikaner aktuell eine sehenswerte Retrospektive.

Das Konzept der Veränderung und investigative Pionierarbeit

Und die beginnt mit einer Überraschung: Ein mit Gras bewachsener Erdhügel mitten im Museum, ein sich im Ventilatorwind bewegendes blaues Segel, oder ein Zirkulationssystem gefüllt mit Wasser. Heterogene, poetische Arbeiten aus Haackes Anfangszeit der Sechziger Jahre, die eines gemeinsam haben: Sie sind fluide, verändern sich ständig. Das Konzept der Veränderung bildet die ideologische Grundlage seiner Arbeit. In seiner Kunst ist nichts statisch. Es geht ihm nicht um die Form, sondern um Prozesse. Und wir sind Beobachtende in einem Realzeitsystem, wie er es nennt.

Hans Haacke will Dinge bewusst machen, Strukturen, Zusammenhänge und Systeme offenlegen. Oft arbeitet er dabei wie ein investigativer Journalist, wie bei seinem berühmten „Shapolsky“-Werk von 1971: Haacke fotografiert 142 Häuserfassaden in Harlem und auf der Lower East Side – damals Slumgebiete in New York, der Stadt, in der er seit 1965 lebt. Im Grundbuchamt trägt er akribisch die Fakten zusammen, will wissen, wer welches Haus wann und für wieviel Geld gekauft hat.

Er stellt fest, dass die Shapolsky-Immobiliengruppe über 400 Grundstücke billig aufgekauft, Eigentumsverhältnisse verschleiert, Steuervorteile eingeheimst und sich daran bereichert hat. Immobilienhaie und Gentrifizierung. Mittlerweile ein bekanntes Thema. Damals eine Pionierleistung.

Kunst im Spannungsfeld von Macht und Zensur

Für Haacke ist Kunst nicht autonom. Sie ist nicht frei, sondern Teil eines riesigen Geflechts von Machtstrukturen, von Beziehungen, von Geldgebern, von Mäzenen, von Abhängigkeiten.

Hans Haacke wurde damals für diese Arbeit vom Solomon R. Guggenheim Museum in New York zensiert. Seine geplante Einzelausstellung wurde sechs Wochen vor Eröffnung vom Direktor des Museums abgesagt. Und nicht nur das: 12 Jahre konnte Hans Haacke daraufhin in keinem amerikanischen Museum eine Ausstellung machen.

Institutionskritik auch in Deutschland

In Deutschland erging es ihm nicht anders: Seine institutionskritische Arbeit „Der Pralinenmeister“ durfte 1981 in der dafür vorgesehenen Ausstellung in Köln nicht gezeigt werden. Monatelang hatte Hans Haacke Details zum Kölner Schokoladenfabrikanten und Großsammler Peter Ludwig recherchiert und kritisch aufbereitet. Der einflussreiche Mäzen nutzte zum Beispiel Kunst, um im großen Stil Steuern zu sparen und als Erpressungsmittel, um der Stadt Köln ein nach ihm benanntes Museum abzutrotzen.

Haackes Werk offenbarte auch unwürdige Produktionsbedingungen in den Fabriken Ludwigs. Damals ein Politikum, heute gehört Haackes Werk dem Museum Ludwig; die Institutionskritik ist damit im eigenen Haus gelandet.

Hans Haackes Vision von Vielfalt

Kritik übte Hans Haacke 1998 auch an der Inschrift „Dem Deutschen Volke“ im Giebel des Reichstagsgebäudes. Das sei nicht mehr zeitgemäß, würde der diversen Einwanderungsgesellschaft nicht entsprechen und viele Menschen ausschließen.

Er entwickelte die Idee eines Erd-Bassins mit der Leuchtschrift „Der Bevölkerung“: Alle Abgeordneten wurden aufgefordert, Erde aus ihren Wahlkreisen mitzubringen, um für mehr sichtbare Diversität zu sorgen. Das löste eine heftige Debatte im Bundestag aus. Es gab Fürsprecher und Gegner aus allen Fraktionen. Mit nur zwei Stimmen Mehrheit wurde diesem Werk im Jahr 2000 zugestimmt. Seitdem blüht die Diversität im Lichthof des Reichstagsgebäudes, was eine Zeitrafferkamera seit nunmehr 24 Jahren aufnimmt.

Die Verquickung von Kunst und Kapital

Und auch für die Verquickung von Kunst und Kapital hat der Künstler eine eindrucksvolle Metapher gefunden: „Gift Horse“, ein Reiterstandbild-Antidenkmal, das er 2014 für den Trafalgar Square in London entwickelt hat. Ein Pferdeskelett, um dessen vorderen Oberschenkelknochen ein digitales Geschenkband gewickelt ist, auf dem die aktuellen Börsenkurse laufen. Fluides Finanzmarktkapital als Gerippe – in Frankfurt direkt vor dem Eingang der Schirn.

„ttt“ hat die Ausstellung besucht und mit dem Direktor Sebastian Baden und der Kuratorin Ingrid Pfeiffer darüber gesprochen, warum Hans Haackes Kunst unfassbar aktuell ist.

Autorin: Carola Wittrock

Stand: 13.12.2024 13:54 Uhr

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