So., 15.12.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Kunststar Hans Haacke in der „SCHIRN“
Unerschrocken im Angesicht der Macht
Herrschaftssymbolik dekonstruiert: das Reiterstandbild, abgespeckt, mit Geschenkschleife, darauf die Börsenkurse. „Gift Horse“ setzt dem herrschenden Kapital ein kritisches Denkmal. Geschaffen von Hans Haacke, dem Pionier der politischen Konzeptkunst, der 1993 die größte Auszeichnung gewann, als er den deutschen Pavillion in Venedig mit seiner Nazivergangenheit konfrontierte: Er zertrümmerte die Bodenplatten, um den braunen Untergrund freizulegen.
Kunst als Spiegel gesellschaftlicher und politischer Fragen
Kunsthistoriker Sebastian Baden ist überzeugt von der Relevanz des Werkes von Hans Haacke „für gerade unsere Zeit, für den heutigen Moment, wo es um Fragen der Gesellschaft und der Umweltpolitik geht, also grundlegende Fragen unserer heutigen Politik“.
Die Retrospektive in der Frankfurter Schirn zeigt, wie Haacke immer wieder Strukturen, Zusammenhänge und Systeme offenlegt; mit Werken, in denen sich die Kunst in demokratische Prozesse einmischt.
Haackes Kunstwerk als Symbol für Teilhabe und Vielfalt
Nach der deutschen Wiedervereinigung will der Bundestag ein Kunstprojekt. Hans Haacke, der in New York lebt, lässt den Ort auf sich wirken und kommt angesichts der Inschrift zu seiner Idee. Haacke erinnert sich: „Dem deutschen Volke“. Und da war ich erschreckt, weil im Grunde eben all diesen Nicht-Deutschstämmigen gesagt wird: ‚Ihr gehört nicht dazu. Für euch ist das nicht. Ihr bleibt draußen.‘
Haacke will den Ort umwidmen: „Der Bevölkerung“, so heißt sein Werk. Ein Beet im Innenhof. Alle Abgeordneten sind aufgefordert, Samen und Erde aus ihren Wahlkreisen mitzubringen. Was daraus erwächst ist die Repräsentation, aller Bürger.
„Ein Werk, das einer Bevölkerung gewidmet ist, die sich einbringt“; kommentiert Kunsthistoriker Baden. „Partizipativ in unsere Demokratie, in die Wahlen, die Bürger, die Repräsentanten, die im Bundestag sitzen“, so Baden. Diesen Zusammenhang mache Hans Haacke klar. Er zeige natürlich, wie anstrengend das sei.
Kunsterk löst heftige Bundestags-Debatte aus
Anstrengend war auch, das Werk überhaupt durchzusetzen. Es gab eine heftige Abstimmungs-Debatte im Bundestag. Heute gehört sie zum Kunstwerk dazu.
Die CDU-Politikerin Rita Süssmuth hatte damals eine klare Haltung zum Kunstwerk. „Es geht im Kern um die Frage, ob wir wirklich bereit sind ‚Dem deutschen Volk‘ eine Ergänzung hinzufügen zu lassen ‚Der Bevölkerung‘“, so die Politikerin. Ihr Parteikollege Norbert Lammert ging noch weiter: „Ich persönlich halte den Konzeptvorschlag Hans Haackes politisch wie ästhetisch für misslungen.“
Am Ende entschieden knappe zwei Stimmen mehr: Dafür! Es sollte nie ein statisches Kunstwerk sein. Seine Metamorphosen werden bis heute in einer Zeitrafferkamera festgehalten.
Haacke als Beobachter gesellschaftlicher Brüche
Veränderung, darum geht es ihm seit seinen Anfängen in den Sechziger Jahren. Ein wachsender Grashügel im Museum, ein Segel im Wind: Veränderung ist das einzig Bleibende in seiner Kunst. Das bemerkt auch Kuratorin Ingrid Pfeiffer: „Die Form spielt für ihn gar keine Rolle, sondern er will uns Prozesse vorführen. Also wir sind sozusagen Beobachter in einem Realzeitsystem, wie er es nennt.“
Die Ausstellung zeigt auch frühe Fotos Hans Haackes, die beiläufig entstanden und gar nicht als Kunst gedacht waren: auf der Documenta 2. Scharf beobachtend, wie die Gesellschaft der 50iger Jahre auf eine Moderne prallte, auf die sie nicht vorbereitet war.
„Haacke erkennt schon da als junger Werkstudent die gesellschaftlichen Brüche. Und das ist vielleicht der rote Faden, der sich dann später weiterführt“, meint die Kuratorin.
Der Künstler als investigativer Journalist
1971 recherchiert Haacke wie ein investigativer Journalist die systematische Vernichtung von Wohnraum in New York, zeigt akribisch die illegalen Machenschaften des Immobilienmaklers Harry Shapolsky. Der Direktor des Guggenheim Museums verbietet ihm daraufhin auszustellen.
„Und der erkannte, dass Haacke hier einen Schritt gegangen ist, der untrennbar dann die Kunst mit der Gesellschaft verknüpft und in einer Weise vorführt, wie es vor ihm keiner gemacht hat. Dass das wirklich etwas Revolutionäres war, das hat Tom Messer erkannt und hat ihn konsequenterweise ausgeladen“, so Pfeiffer.
12 Jahre lang bekam Hans Haacke in amerikanischen Museen keine Ausstellungszusage mehr. Trotzdem blieb er unkorrumpierbar. „Ich habe eine Vorstellung von Kunst, die sich in vielfacher Weise von der Gängigen unterscheidet“, sagt Haacke dazu. „Um da etwas genauer zu sein, könnte man sagen, dass im Allgemeinen die zeitgenössische Kunst sich nicht um unsere Gegenwart kümmert, um das tatsächliche Leben. Um die Bedingungen, unter denen wir existieren“, findet der Künstler.
Der Urvater der Institutionskritik
Auch in Köln wurde er boykottiert, 1981 wegen „Der Pralinenmeister“. Haacke zeigt, wie der Schokoladenfabrikant und Kunstsammler Peter Ludwig die Kunst benutzte, um im großen Stil Steuern zu sparen und sich als Mäzen feiern zu lassen. Haacke deckte das auf!
„Er ist der Urvater für das, was wir auch Institutionskritik heute nennen“, findet Kuratorin Pfeiffer. „Also er sagt Kunst ist nicht autonom, sie ist nicht frei, sondern sie ist ein Teil eines riesigen Geflechts von Machtstrukturen, von Beziehungen, von Geldgebern, von Mäzenen, von Abhängigkeiten“, so Pfeiffer. Und da habe sich aus ihrer Sicht nichts geändert. Aber Haacke sei der Erste gewesen, der „uns das wirklich bildhaft bewusst macht, was das heißt“.
Autorin: Carola Wittrock
Stand: 15.12.2024 23:05 Uhr
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