Mo., 22.07.24 | 00:25 Uhr
Das Erste
„Tatami“ – politischer Judo-Thriller über die iranisch-israelischen Beziehungen
Diese Weltmeisterschaft ist die Chance ihres Lebens. Die iranische Judoka Leila Hosseini weiß, sie kann Gold holen. Die zweite Favoritin ist Shani aus Israel. Von Staats wegen für Iran der Erzfeind. Privat jedoch verbindet beide Sportlerinnen eine heimliche Freundschaft. Alles läuft auf ein Finale zwischen beiden Judokas hinaus. Auf den Zuschauerrängen beobachten iranische Geheimdienstler das Geschehen. Sie sollen diesen Kampf verhindern, denn iranischen Athleten ist es verboten, gegen Israelis anzutreten. Hinter den Kulissen setzt das iranische Regime die Trainerin und ihre Athletin unter Druck: Leila Hosseini soll aufgeben, eine Verletzung vortäuschen.
Der Kampf auf der Tatami-Matte wird zum politischen Thriller
„Judo ist sowohl in Israel und in Iran sehr angesehen und populär“, erklärt Regisseur Guy Nattiv, „beide Nationen holen oft Medaillen. Es ist außerdem eine Sportart, die fair ist, man muss seinen Gegner respektieren – sie sind nicht deine Feinde.“ Doch die Realität sieht anders aus. Die Diskriminierung von israelischen Sportlerinnen und Sportlern durch die islamische Republik Iran sind seit Jahrzehnten geübte Praxis. Der Film „Tatami“ erzählt die sie am Beispiel der iranischen Judoka Leila, die nicht nur um den Sieg, sondern auch um ihre Freiheit und die ihrer Familie kämpft – ein aufwühlendes, intensives Drama, verstärkt durch seine Schwarz-Weiß-Ästhetik. Inszeniert wurde er von einem israelisch-iranischen Regie-Duo: Guy Nattiv und Zar Amir, die erste israelisch-iranische Koproduktion überhaupt.
„Wir haben das Unmögliche gewagt“
Derzeit ist Guy Nattivs Film „Golda“ über die erste israelische Ministerpräsidentin im Kino zu sehen und Zar Amir, ist gerade auf Dreh in Armenien. Sie musste 2008 aus Iran fliehen, weil ihr Berufsverbot und Auspeitschung drohten. Inzwischen lebt sie in Frankreich. Für „Tatami“ hatte sie nicht nur die Co-Regie übernommen, sondern auch die Rolle von Leilas Judo-Trainerin Maryam, zerrissen zwischen Regimetreue und Loyalität zu Leila. Gedreht wurde der Film heimlich in Georgien. „Wir sind in Israel und Iran aufgewachsen. Von Staats wegen mussten wir Feinde sein! Ich hatte so meine Ängste bei diesem Projekt, selbst jetzt, so weit weg von meiner Heimat, wo mich niemand angreifen kann. Trotzdem hatte ich Angst: Wenn ich das mache, würde dann mit uns passieren?
Co-Regisseur und Freund Guy Nattiv ergänzt: „Wir haben das gemacht, was unsere Regierungen immer verhindern wollen. Wir haben das Unmögliche gewagt. Und wir haben beschlossen, uns einander vollkommen zu vertrauen. Wir haben vom Mossad Hinweise bekommen, dass Georgien ein Hotspot für iranische Agenten ist, darum mussten wir heimlich drehen – auch weil Zar gefährdet war.“
„Wenn du Angst hast, läuft es großartig für sie“
Während des Turniers wird Leila von der iranischen Geheimpolizei massiv unter Druck gesetzt. Ihr und ihrer Familie wird Gewalt und Schlimmeres angedroht, sollte sie sich entscheiden gegen ihre Konkurrentin Shani anzutreten. Ihr wird nahegelegt, auszusteigen oder sie werde einen hohen Preis bezahlen. „Wenn du Angst hast, läuft es großartig für sie“, weiß auch Zar Amir Ebrahimi. Die Sportlerinnen und Sportler werden regelrecht bearbeitet und manipuliert, sie benutzen die Angst gegen dich, gegen deine Familie und Freunde.“
Die Geschichte einer Erzfeindschaft als Sportkonflikt
Auch Saeid Mollaei hat solche Anrufe und Drohungen gegenüber ihm und seiner Familie erhalten. Der Judoka ist während der Judoweltmeisterschaft 2019 in Tokyo unter Druck gesetzt worden, sein Halbfinale zu verlieren, um im Finale nicht gegen den Israeli Sagi Muki kämpfen zu müssen. Diese Geschichte hat zum Film inspiriert. Ebenso der Aufstand der iranischen Frauen – auch der der Athletin Sadaf Khadem. Die erste iranische Boxerin kämpfte ohne Hidschab und blieb in Frankreich. Die Taekwondo-Kämpferin Kimia Alizadeh lehnte sich gegen die Unterdrückung der Frauen auf und floh ins Exil – zum Glück, wie Regisseurin Zar Amir Ebrahimi sagt: „Diese neue Generation hat immer weniger Angst. Sie wollen nicht mehr lügen, sie wollen einfach ihr Leben leben.“
Mitgefühl und Freundschaft statt Hass
Verzweifelt ringt Leila zwischen Sich-Fügen und Aufbegehren. Der Kampf auf der Tatami Matte wird für sie zum Widerstand gegen ein unerbittliches Regime... und diese iranisch-israelische Zusammenarbeit zu einer Ermutigung angesichts der tödlichen Feindschaften im Nahen Osten. Aber es gibt Hoffnung, wenn man auf die Freundschaft von Zar Amir und Guy Nattiv blickt. Der in Tel Aviv lebende Filmemacher erinnert sich: Der erste Anruf, den ich nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober bekommen habe, war von Zar. Sie sagte: ich fühle mit dir. Ich liebe und umarme dich! Mir kamen die Tränen.“ Seine Kollegin pflichtet ihm bei: Ich wünsche mir, dass dieser Film andere Menschen – aus Iran und Israel – inspiriert: dass sie miteinander fühlen und Freundschaften haben können. Wir leben in einer Welt, die jetzt so voller Hass und Krieg ist. So können wir nicht überleben.
Autorin: Petra Dorrmann
Kinotipp: „Tatami“, Regie: Guy Nattiv und Zar Amir Ebrahimi, ab 1. August in allen deutschen Kinos.
Stand: 22.07.2024 13:20 Uhr
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