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Quo vadis Georgien? – Auswirkungen des neuen "russischen Gesetzes" in der Kulturszene

Quo vadis Georgien? | Video verfügbar bis 02.06.2025 | Bild: ARD
Transparenzgesetz
Seit Wochen gehen die Menschen in Georgien gegen das umstrittene "Transparenzgesetz" auf die Straße. | Bild: ARD

Seit Wochen gehen die Menschen in Georgien dagegen auf die Straße, die Präsidentin legte ihr Veto ein und trotzdem: Das Parlament hat in dieser Woche das umstrittene Gesetz "Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" verabschiedet. Dieses Gesetz legt fest, dass Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, das fortan offenlegen sollen. Kritiker sehen das Gesetz als einen Angriff auf die Zivilgesellschaft und die Pressefreiheit. Sie warnen davor, dass es NGOs und Medien einschüchtern und ihre Arbeit erheblich erschweren könnte. Viele befürchten, dass das Gesetz genutzt werden könnte, um regierungskritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und die Kontrolle über den öffentlichen Diskurs zu verstärken. „ttt“ fragt bei Kulturinstitutionen und Betroffenen in Tiflis nach.

"Transparenzgesetz" nennt es die pro-russische Regierung

Die Frauenrechtlerin Baia Pataraia
Die Frauenrechtlerin Baia Pataraia wird von politischen Gegnern verfolgt. | Bild: ARD

Die Frauenrechtlerin Baia Pataraia zeigt auf die Wand in einem Treppenhaus: "Hier sieht man noch, was sie an die Wand gemalt haben: `Du bist gekauft`, stand da. Die ganze Wand war vollgehängt mit Plakaten, mit Fotos von mir drauf." Die junge Mutter erinnert sich: "Letztes Jahr ging es los. In der Stadt sah ich Poster mit meinem Bild. Da stand drauf, dass ich sogar ein Feind der Kirche wäre. Neu jetzt ist, dass sie in mein Haus eingebrochen sind. Sie haben alles verwüstet, haben Schmähschriften angebracht. Das macht mir Angst, ich musste meinen Sohn zeitweise woanders unterbringen. Wir haben wirklich harte Tage erlebt." Die Belastung ist noch in den Gesichtern zu sehen. Vor der Presse vergangene Woche in Tiflis nimmt die Frauenrechtlerin Baia Pataraia mit anderen Nichtregierungsorganisationen und Vertretern aus der Kultur Georgiens Stellung. Hunderttausende, vor allem junge Menschen, sind in Georgien wochenlang auf die Straße gegangen gegen das sog. "Transparenzgesetz" wie es die pro-russische Regierung nennt. Dennoch hat es das Parlament gegen den Willen der pro-europäischen Staatspräsidentin, beschlossen. In Kraft ist es noch nicht. Viele Georgier, wie der Leiter des georgischen Literaturmuseums, Lasha Bakradze, sehen jetzt alles auf dem Spiel stehen: „Es geht längst nicht mehr um ein Gesetz. Es geht um die politische Ausrichtung Georgiens, das sich auf dem Weg der Unabhängigkeit nach Westen bewegt. Durch das Gesetz wird Georgien in die umgekehrte Richtung gehen: Richtung Russland, aber auch China und Iran", fürchtet Bakradze. "Den Menschen hier in Georgien gefällt die Perspektive nicht, eines Tages in so einem totalitären Regime aufzuwachen, wie es in Russland ist.“

Iwanischwilis autoritärer Kurswechsel

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g | Bild: ARD

In seiner Glasresidenz über Tiflis sitzt der Strippenzieher: Georgiens ehemaliger Premierminister Bidsina Iwanischwili, Milliardär, Businessman und Kunstfreund, Kategorie: russischer Oligarch. Einst offen für die EU, seit dem Ukrainekrieg vollzieht er den autoritären Kurswechsel. Baia Pataraia erklärt: "In den letzten Jahren erleben wir, wie Iwanischwili den Staat kapert: die Exekutive, die Legislative, die Judikative. Die hat er alle schon in der Tasche. Er will keine Demokratie, oder EU, niemanden, der ihn kritisiert, oder vorsagt, was er wie reformieren soll. Er will der informelle König Georgiens sein. Darum geht es in diesem Machtkampf." m April beschwört Iwanischwili eine "globale Kriegspartei“, die sein Land bedrohe. Dazu gehören für ihn die 1200 bis 2300 NGOs, die nach Angaben von EU und Konrad-Adenauer-Stiftung, in Georgien im Einsatz sind. Das Land ist gerade mal so groß wie Bayern. Der Berliner Literaturwissenschaftler Zaal Andronikasvili erklärt, warum die pro-russische Regierung die NGOs nicht mag: „Gäbe es keine NGOs, die seit den 90er Jahren sehr aktiv sind, hätte Georgien nicht so eine starke Zivilgesellschaft, die jetzt für Freiheit und Demokratie in Georgien kämpft." Androniskashvili arbeitet am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturwissenschaft. Er erklärt: "Viele Sachen, wie Schutz der Frauenrechte, Schutz  für Menschen mit Behinderung, das ist alleine mit der westlichen Hilfe gemacht worden. Da hat der georgische Staat keinen Cent für ausgegeben.“


Die 95-jährige Lana Gogoberidze ist Georgiens berühmteste Filmemacherin, auch ihre Tochter Salomé ist Regisseurin. Ihr jüngster Film zeigt die bewegende Familiengeschichte, die geprägt ist von stalinistischem Terror und Unterdrückung. "Wir möchten den deutschen Zuschauern sagen, wie leicht ein Land wie das unsere, Opfer rechtsextremer Ideologien werden kann, und dann, nur als ein Beispiel, Abtreibung  verboten wird. Und vieles mehr, was wir bisher erreicht haben", erklärt die junge Filmemacherin. "Das Regime von Iwanischwili verkörpert genau den rechtsradikalen, Hurra-patriotischen Chauvinismus, der natürlich eine große Gefahr für uns darstellt.“

Im Oktober sind in Georgien Wahlen.  Letzte Chance, die Zukunft des Landes zu retten - wenn es fair zugeht.

(Beitrag: Ralf Dörwang)

Stand: 02.06.2024 18:18 Uhr

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