So., 21.01.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Architekt Peter Haimerl
"Mutig und verrückt muss sie sein, die Architektur, sonst ist sie bedeutungslos." Unter den vielen Glaubenssätzen des Peter Haimerl ist der wohl der Wichtigste. Wie er dieses Credo immer wieder neu umsetzt, kann man jetzt in Oberfranken bestaunen. Da hat er zwei Bäume gebaut. Und einen Glaspavillon. Mitten auf den Marktplatz von Lichtenfels. Eine Neukomposition aus Historie und Gegenwart.
Seine Architektur berührt
"Für mich ist Architektur sehr ähnlich wie Musik", sagt Peter Haimerl. "Man macht Musik, weil man sie in sich hat und weil man weiß oder hofft, dass das die Gesellschaft, dass andere Menschen damit was anfangen können. Und jetzt kommt es darauf an: Greift sie? Greift sie wirklich jemanden an? Also berührt sie jemanden oder nicht?"
Früher beschenkten wohlhabende Bürger ihre Stadt mit prächtigen Fassaden. Mit Peter Haimerls stählernen Weiden, die ein Algorithmus kreiert hat, erinnert eine Unternehmerfamilie heute an Lichtenfels' Vergangenheit als Korbmacherstadt und wirbt für eine neue Perspektive als Technologiestandort. Deshalb ist der Bau nicht nur ein Büro, sondern auch öffentlicher Kulturraum und nennt sich stolz "Archiv der Zukunft". Passend dazu hat Haimerl im Untergeschoss ein mittelalterliches Gewölbe erhalten und die Ästhetik der Bohrpfähle, mit denen die Wände der Baugrube gestützt wurden.
Rettungsvision für ganz Europa
Vor über drei Jahrzehnten trat er mit einer Rettungsvision für ganz Europa an: Zoomtown. Infrastrukturelles Update europäischer Städte durch Vernetzung und damit Stärkung gegenüber der asiatischen Konkurrenz. Alles drei Nummern zu groß. Natürlich nicht für Haimerl. Nur für seine Zeitgenossen.
Die verstehen zum Teil nicht mal, was Familie Haimerl im Bayerischen Wald leistet. Während die Dörfer ihrer Heimat immer gesichts- und geschichtsloser werden, planen die Haimerls die Rettung einer Waidlerhaus-Ruine aus dem 19. Jahrhundert. "Das war die Herausforderung", sagt Peter Haimerl. "Wie kann ich den Geist von dem Haus mit modernen Mitteln erhalten? Das war einfach besonders schwierig, weil ich die Leiden des Hauses persönlich gespürt habe." Die Lösung: Haimerl lässt vier Betonkuben gießen, die die alten Mauern stützen. Ein Experiment mit Leichtbeton und Glasschotter. Eine Mischung, die in Deutschland bis dahin erst einmal verbaut wurde. Sein Renommee wächst.
Gegen die Unterschätzung der Provinz
So richtig berühmt wird er zusammen mit dem Dorf Blaibach. Gemeinsam mit dem Bariton Thomas E. Bauer überredet er die Gemeinde zwecks Belebung der Ortsmitte zum Bau dieses Konzertsaals. Finanziert aus Fördermitteln und Spenden. Nur ein Jahr Bauzeit.
Heute zählt das Haus zu den besten Konzertsälen der Welt. Klassikstars gastieren hier regelmäßig. Eine Gemeinschaftsleistung, von der Presse zum "Wunder von Blaibach" sakralisiert. Für Peter Haimerl zeigt das nur die chronische Unterschätzung der Provinz.
Seinen Raumwundern kann sich niemand entziehen
Was hier alles möglich ist, hat er jüngst mit dem Ausbau einer Jugendstil-Villa bewiesen: Früher Wohnsitz des Stargeigers Henri Marteau. Heute internationale Musikbegegnungsstätte des Bezirks Oberfranken. Um die Aura des Ortes zu bewahren, hat der Architekt den neuen Konzertsaal unter die Erde gelegt. Und wie bei allen Projekten hat er das technisch Machbare bis an die Grenzen ausgelotet. Für die außergewöhnliche Akustik sorgen riesige Granitplatten. Tonnenschwer. Aber nichts von diesem Gewicht ist spürbar. Ein Raumwunder, dem sich niemand entziehen kann.
"Das Neue, das in die Welt kommt, das es vorher noch nicht gegeben hat, das schwierig zu erreichen ist, das besonders spannend ist, wenn man das dann umsetzen kann, wenn man das entdeckt hat: das nimmt die Leute mit", sagt Haimerl. "Das heißt, man ist dann Teil von einer Zukunft, die fortschreitet. Und deswegen ist für mich die Innovation so wichtig."
Eine Herausforderung – selbst für Architekturfans
Zuletzt hat er das in München demonstriert: den Geschosswohnungsbau neu gedacht mit einem Wabenhaus. Leben im Sechseck. Das ist auch für Haimerl-Fans nicht so einfach konsumierbar wie Baum- und Bauernhausskulpturen oder abgefahrene Konzertsäle. Mit diesem Bau fordert er uns wirklich heraus.
Welche Rolle gestatten wir dem Architekten und seiner Kunst? Wie weit lassen wir ihn in unser Leben eingreifen? Wie groß ist unser Wunsch, jeden Tag inmitten mutiger, verrückter, relevanter Architektur zu verbringen? Wenn man sich in unseren Städten umsieht, lautet die Antwort: Es gibt noch viel Arbeit für Peter Haimerl.
Autor: Henning Biedermann
Stand: 22.01.2024 11:11 Uhr
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