So., 21.01.24 | 23:05 Uhr
Das Erste
Das Phänomen Taylor Swift
Sie sprengt alle Dimensionen. "Sie ist nicht sehr erfolgreich", sagt Howard Carpendale. "Sie ist außerirdisch erfolgreich. Es ist unglaublich. Sie hat circa zwei Milliarden Streams. Das sind ein Viertel der ganzen Weltbevölkerung." 151 Stadien: ausverkauft. Ihr Konzert-Film: ein Blockbuster. Ihre Alben: länger auf Platz 1 als Elvis. Taylor Swift ist die erste Popmusikerin, die vom "Time"-Magazin zur "Person des Jahres" gekürt wird. Begründung: niemand habe die Welt so verändert wie sie.
Die Künstlerin in Zeiten der Verunsicherung
"Kuck dir mal Amerika im Moment an", sagt Carpendale. "Da ist pures Chaos. Da kann man an nichts mehr glauben. Die Wahrheit wird nicht gesagt. Und ich glaube, da war Taylor Swift offensichtlich mit ihrer sehr normalen Erscheinung im Grunde genommen sehr menschlich. Und sie ist genau zum richtigen Moment da gewesen."
Taylor Swift. Die Künstlerin in Zeiten der Verunsicherung. Virus, Krieg, Inflation, Kummer, Lebensangst. "Ich persönlich lese das eher als Heimat", sagt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit. "Als jemand, der in einer Welt, in der natürlich vieles ins Schwanken gerät und im Fluss ist, doch so etwas Stabilisierendes wie eine Wohlfühloase oder Heimat baut."
Fans campen Wochen für gute Konzertplätze
In ihren Videos tanzt Taylor Swift gern durch Märchenwelten. In der Wirklichkeit ist sie eine starke Person, die Grenzen setzt, wo sie nötig sind. "Ich mag, dass sie da, wo es nötig ist, eine sehr klare Haltung vertritt, dass sie auf Interviewfragen nicht antwortet, die sie sexistisch findet", sagt Collien Ulmen-Fernandes.
"Sie wurde in einem Interview gefragt, ob sie jetzt, wo sie 30 Jahre alt wird, sich vielleicht eher zur Ruhe setzen und Kinder bekommen möchte. Und da hat sie gesagt: 'Das ist eine schwer sexistische Frage. Ich antworte nicht.'"
Swifties: eine weltumspannende Schwesternschaft
Sao Paulo. Vor dem Stadion-Konzert. Ihre Fans, die Swifties, campen schon mal Wochen, um einen Platz in der ersten Reihe zu bekommen oder lösen, wie 70.000 in Seattle, durch Herumspringen ein Erdbeben aus. "Ich bin schon lange großer Fan von Taylor", freut sich ein Mädchen. "Sie war immer eine Inspiration für mich und ich sehe sie als zweite Mutter. Aber meine Mutter ist die Beste", sagt sie und umarmt ihre eigene Mutter.
Auch eine andere junge Frau ist euphorisch: "Taylor Swift hat jeden Abschnitt meines Lebens begleitet. Jedes ihrer Lieder hat eine andere Bedeutung für mich. Ich bin total berührt davon, heute mit der Person hier zu sein, die ich liebe." Ein Ritual der Swifties: Freundschaftsarmbänder tauschen. Die Buchstaben bilden Wörter aus Songs, Plattentiteln oder den Namen von Taylors Katzen. Eine weltumspannende Schwesternschaft.
Klassisches, fast altmodisches Erzählen
"Sie ist ein großes Vorbild für viele Frauen, gerade weil sie sich unabhängig macht von ausbeuterischen Verhältnissen", sagt Aktionskünstler Philipp Ruch. Sie hat sich ihre Songs von der Musikindustrie zurückgeholt. Wodurch? Sie hat sie einfach noch mal aufgenommen. Taylor Swift erzählt ihr Leben und ihre Lieder wie eine Serie.
"Wie geht man mit der Liebe um, wenn sie vorbeigeht. Wie fühlt sich das an, wenn man zum Klassentreffen wieder nach Hause fährt", beschreibt es Kulturjournalist Joachim Hentschel ihre Songthemen. "Einfach ein klassisches, fast altmodisches Erzählen."
Ihre Songzeilen bleiben hängen
Sie inszeniert sich als Anti-Heldin. Schusselig, verliebt, nahbar. Und: Sie schreibt ihre Songs selbst. Einen scharfen Stift und dünne Haut, das sei alles, was sie brauche. "Das finde ich jetzt die stärkste Songzeile von ihr: 'Hast du schon gehört, dass ich meinen unterschwelligen Narzissmus durch Altruismus verstecke?‘", sagt Collien Ulmen-Fernandes über den Song "Anti Hero": "Did you hear my covert narcissism I disguise as altruism."
Collien Ulmen-Fernandes erklärt warum: "Ich finde das einen wahnsinnig spannenden Gedanken, weil das ja etwas ist, was ihr vorgeworfen wird. Dass sie nur deshalb das 'Good Girl‘ ist, weil sie eigentlich total narzisstisch ist und weil es aus einem Narzissmus kommt, dass sie von allen gemocht werden möchte. Mir geht es mit ganz vielen Zeilen von ihr so, dass man an ihnen hängenbleibt, dass man über sie nachdenkt."
Die beste Freundin von zwei Milliarden Menschen
2006 begann Taylor Swift mit Country. Konservative Politiker versuchten sie zu vereinnahmen. Ein Missverständnis. "Als sie sich bei der Tennessee-Wahl gegen Marsha Blackburn positioniert hat, gab es dieses Statement von Trump, wo er gesagt hat, er mag die Musik von Taylor Swift jetzt gleich um 25 Prozent weniger", sagt Collien Ulmen-Fernandes. "Und man spürte wie sehr sie sich darüber freut. Sie wurde jahrelang von der anderen Seite vereinnahmt, hat sich nicht dazu geäußert, wurde aber eher auf der Trump Seite verortet. Insofern war das natürlich ein umso größeres Statement, als sie ganz klar gesagt hat: 'Leute, ich stehe auf der Gegenseite.'"
Taylor Swift macht sie sich lustig über Rednecks und feiert die LGBTQ-Community, indem sie queere Stars die Hauptrolle spielen lässt. "Das ist sie schon politisch. Das finde ich super", sagt Howard Carpendale. Taylor Swift ist wie das Tagebuch: von allen. Sie ist die beste Freundin. Von zwei Milliarden Menschen.
FILMTIPP
"Taylor Swift: The Eras Tour"
USA 2023, Regie: Sam Wrench
AMC Int / LUF Kino
Autor: Andreas Krieger
Stand: 21.01.2024 19:58 Uhr
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