So., 11.08.24 | 23:35 Uhr
"Jedermann"
Es gibt nur diese eine Gewissheit: Die Party wird bald vorbei sein. Schneller als gedacht. Dieser Jedermann verschwendet sich, protzt wie schon lange nicht mehr. Doch auch er wird straucheln, vor Angst erstarren, betteln. Viel zu spät lernen, was Demut ist.
"Du hast eine Stunde Leben und eine Stunde Tod und das macht es so interessant", sagt der Jedermann-Darsteller Philipp Hochmair. "Du hast Ying und Yang, Leben und Tod, Schwarz und Weiß. Es kann nie unaktuell sein, es ist immer richtig und das ist das Absurde an dem Stück. Das Stück ist eine Mischung aus dramatischem Gedicht, Gebet, Vision. Es ist einfach alles."
Blingbling und große sakrale Gesten
Alles neu. Der kanadische Regisseur Robert Carsen darf in diesem Jahr ran. Er kennt sich aus mit Hofmannsthal, hat fünf seiner Opern auf die Bühne gebracht. Sein Jedermann: ein Neureicher. Viel dick aufgetragenes Blingbling und große sakrale Gesten. "Das Stück ist so kraftvoll, weil es uns alle betrifft, es geht schließlich um den Tod", sagt Carsen. "Wir sind hier im Westen ziemlich schlecht vorbereitet auf das Sterben, obwohl es in der Kunst jede Menge Todesbezüge gibt: Memento Mori, Vanitas, all das findet sich ja in Skulpturen und Gemälden wieder. Aber wir schaffen es nicht, das in unser Leben zu integrieren, so wie andere Religionen. Der Tod erwischt nur die anderen."
Carsen und Hochmair, der Kanadier und der Wiener. Sie kennen sich über einen gemeinsamen Freund. Die Zusammenarbeit am "Jedermann" war für Hochmair eine ziemliche Umstellung. Mit seinem Soloprogramm "Jedermann reloaded" tourt Hochmair seit zehn Jahren. Zwei Stunden Ekstase: Der reiche Mann als Rockstar. Hochmair spielt alle Rollen selbst. Exzess als Notwendigkeit. Sein Schauspiel, so sagt er, ist ein Crash der Literatur mit seinem Körper.
Philipp Hochmair hat keinerlei Scheuklappen
"Ich habe halt eine Leseschwäche und ich habe das als große Qual empfunden Lesenlernen zu müssen und alle konnten sie mit einem Schlag und ich konnte es nicht", sagt Hochmair. "Und dieser komische Rückschritt vor den anderen, der hat mich natürlich ausgemacht und der hat natürlich auch eine Wut, eine Energie hochgezüchtet, dass ich mir da mein Terrain auch erkämpfen will und das musste ich ja so machen über das Spielen. Aber ich brauche die Zeit. Wenn man mich unter Druck setzt, sagt: 'Lies das mal schnell‘, schafft das nur Stress. Aber wenn man das entschleunigt und sagt okay: Ich bin halt eine Schildkröte und ich gehe langsam durch die Worte durch, ist man auch stark."
Er war am Max Reinhardt Seminar und Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater und am Thalia Theater. Hat den Werther, Mephisto und Hamlet gespielt, aber auch in der Fernsehserie "Die Vorstadtweiber". Keinerlei Scheuklappen.
Da kam der Anruf: "Kannst du morgen Abend spielen?"
2018 ist er in Salzburg schon mal als Jedermann eingesprungen, als Tobias Moretti krank wird. Hochmair sitzt an einem Berliner Imbiss, als sein Handy klingelt. Salzburg ist dran, mit einer einzigen Frage. "Kannst du morgen Abend spielen? Und ich hab nur ja gesagt und aufgelegt, der Rest ist dann Geschichte. Dann bin ich um 11 Uhr da angekommen und am nächsten Tag um 20 Uhr war die Vorstellung. Das war vielleicht die wichtigste Aufführung meines Lebens, keiner wusste was passiert, das war einfach ganz toll."
Von vielen wurde Hochmair nach der spontanen Rettungsaktion als der nächste Jedermann gehandelt. Sechs Jahre musste er warten. Die Salzburger Inszenierung ist so ziemlich der größtmögliche Kontrast zu seinem Solostück. Getragenes Pathos statt Rock’n Roll. "Hofmannsthal hat das Stück geschrieben, weil er besorgt war wegen des zunehmenden Materialismus in seiner Zeit", sagt Regisseur Carsen. "Das war 1911 in Berlin. Dieses Problem existiert heute noch ganz genauso. Wir schaffen es einfach nicht zufrieden zu sein, mit dem was wir haben."
Die Inszenierung versucht Fehler zu vermeiden
"Ich habe jetzt einen sehr ernsthaften Regisseur, der eine völlig andere Interpretation mitgebracht hat, in die ich mich halt hinein leben musste", sagt Hochmair. "Über sechs Wochen Probebühne war für mich wirklich eine Herausforderung. Ich geb‘s zu, ich habe jeden Tag eine Tafel Schokolade gegessen, weil ich so angespannt war, weil es mich so genervt hat, aber es war so."
Diese Inszenierung versucht Fehler zu vermeiden. Doch das genügt. Der Mythos des Jedermann, die Magie des Ortes – überwältigen. Die stärksten Momente sind hier die leisen und monumentalen. Jedermann stirbt in der Masse. Ganz allein.
Autorin: Gabriele Pfaffenberger
Stand: 11.08.2024 22:13 Uhr
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