So., 19.11.23 | 23:05 Uhr
Das Erste
"Napoleon": Arbeit am Mythos
Austerlitz. 2. Dezember 1805. Napoleon lockt die russische und österreichische Armee aufs Eis. Und siegt. "Seine Intuition war großartig", sagt Regisseur Ridley Scott. "Er ist ein Wolf. Und ein Mann, der sehr verletzlich ist."
Napoleon als dahergelaufener Schurke
Napoleon Bonaparte. 1769 geboren. Korsischer Kleinadel. 12 Geschwister. Lärmempfindlich. Ridley Scott erzählt sein Leben als Kette militärischer Triumphe, von der Eroberung Toulons bis zur Ego-Expedition nach Ägypten, wo er in die Fußstapfen von Alexander dem Großen und Cäsar treten will.
"Wir entschieden ihn als einen dahergelaufenen Schurken zu zeigen", sagt Scott. "Er kam aus der korsischen Mittelschicht, hatte nicht viel Geld. Wir haben uns immer wieder seine Porträts angesehen und die sind fantastisch. Wenn man sie ansieht, dann erkennt man, wie hier ein Ego übermächtig wird."
Ridley Scott probiert, woran Stanley Kubrick scheiterte
Tyrann. Aggressor. Ritter von der traurigen Gestalt. Mit Napoleon ringen, heißt: scheitern. Anfang der 70er Jahre will Stanley Kubrick den Film über ihn drehen, natürlich den "größten aller Zeiten". Er recherchiert jahrelang und scheitert dennoch. Der Film wird nie gedreht. Sein Waterloo. Jetzt also Ridley Scott. Immerhin: er hat geliefert. Aber kann man wirklich noch so Kriege zeigen? Mit Sirenengesang und distanzfreiem Säusel-Pathos?
"Abgesehen davon, dass er ein unglaublicher Stratege und beeindruckend intuitiv war als Politiker, war er auch gnadenlos", sagt Ridley Scott. "Und gleichzeitig fasziniert mich an ihm: Wie konnte ein Mann wie er, der auf dem Weg nach Moskau ist, der Russland erobern will, so davon besessen sein, was seine Frau in Paris macht?"
Die Briefe an die Geliebte sind romantisch – und schmutzig
Joséphine de Beauharnais, die Ex des guillotinierten Präsidenten der Nationalversammlung, ist älter als Napoleon, sieht sein Talent. Und ihren finanziellen Aufstieg. Er wird mit Joséphine den Einlass in die Pariser Gesellschaft finden und sich in sie verlieben. Aufrichtig, schwärmerisch, etwas: lächerlich.
"Er ist ihr total verfallen", sagt Scott. "Ich habe seine Briefe an sie gelesen, die auf fast komische Art grob, jugendlich, romantisch und ziemlich schmutzig sind. In den Briefen an Joséphine zeigt er sich verzaubert von ihr."
Ridley Scott hätte etwas Großes erschaffen können
Ridley Scott zeigt sich eher verzaubert von Napoleon. Ein Film wie eine Staatsgemäldesammlung. Ein Schlachten-Tableau folgt dem nächsten. Öl tropft über die Leinwand. Der Pinselstrich ist dick. Krieg: als sinnfreies Ritual alter, etwas gelangweilter Männer. Ennui!
"Für mich ist Napoleon der Beginn der modernen Geschichte", sagt hingegen Scott. "In Frankreich gibt es noch heute viele Regeln und Strukturen, die auf ihn zurückgehen." Ridley Scott hätte etwas Großes erschaffen können. Mit etwas weniger Pathos, mehr Doppelbödigkeit. Das Porträt eines Kriegsherren als selbstgerechter Narr.
FILMTIPP
Napoleon, USA / UK 2023, Regie: Ridley Scott, ab 23. November im Kino.
Stand: 19.11.2023 21:18 Uhr
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