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"Sternstunden der Menschheit"

"Sternstunden der Menschheit" | Bild: BR

In welchem Moment wird Geschichte geschrieben? Vielleicht genau jetzt? Wir wissen es nicht. Historie wird rückblickend konstruiert. Fortschritt und Zerstörung. Abgrund und Triumph. "Sternstunden der Menschheit" hat Stefan Zweig 1927 seinen ganz persönlichen Blick auf bedeutende Begebenheiten genannt. Glanz und Brüchigkeit.

Zweig schrieb zwölf historische Miniaturen

Regisseur Thom Luz
Regisseur Thom Luz | Bild: BR

"Wir sind fähig zum Schönsten, Größten, aber auch zum Schlimmsten und Finstersten", sagt Regisseur Thom Luz. "Und all diese Widersprüche müssen wir ständig balancieren. Stefan Zweig beschreibt ja die Menschheit immer wie jemand der in einer Hochzeitsgesellschaft ist, als Gast, der nicht wirklich eingeladen ist. Also wie jemand, der die Welt beschreibt, zu der er nicht wirklich dazugehört."

Zweig schrieb zwölf historische Miniaturen, keine Analysen, sondern zugespitzte Erzählungen. Ein Bestseller. Napoleon in Waterloo, der von seinem Marschall im Stich gelassen wird. Goethe, der seine geniale Marienbader Elegie verfasst und dabei an Liebeskummer fast vergeht. Oder der Wettlauf zum Südpol, 1911, zwischen Scott und Amundsen. "Das war das Tollste daran, dass eigentlich im Kern von jeder von diesen Geschichten ein Scheitern steht", sagt Luz. "Ein Stolpern, ein Umfallen, ein Zufall, ein Chaos. Und am Schluss ist es dann eine Erzählung, die dann von der Nachwelt glorifiziert oder verklärt oder überhöht wird."

Kein Denkmal ist Regisseur Thom Luz heilig

Szene aus "Sternstunden der Menschheit"
Szene aus "Sternstunden der Menschheit" | Bild: BR

Die Bühne, ein Spielplatz. Kein Denkmal ist heilig. Regisseur Thom Luz hat Zweigs Erzählungen zerpflückt, eine assoziative Collage, eng verwoben mit Zweigs eigener Biografie. Der umworbene Autor, der schließlich vor den Nationalsozialisten aus Österreich nach Brasilien fliehen muss. In Sicherheit. Es könnte weitergehen, das Leben. Doch da ist diese erdrückende Schwermut, die tiefe Verzweiflung über das untergehende Europa.

"Er ist einer der am meisten gelesenen Autoren der Welt, der in Salzburg in einem Schloss lebt", sagt Luz. "Und wenige Jahre später stirbt er als Flüchtling im Exil. Angesichts dessen, was in der Welt im Moment geschieht und wie ganz viele Gewissheiten, mit denen wir alle aufgewachsen sind, von einem Moment in den anderen plötzlich kippen und sich verändern, ist das ein unheimlicher Vorgang."

Humanismus inmitten der Katastrophe

Das "Heimatlosenorchester"
Das "Heimatlosenorchester"  | Bild: BR

Kein Hauptdarsteller, der Klang hält die Inszenierung zusammen. Eigens für das Stück wurde das sogenannte "Heimatlosenorchester" gegründet, vier brasilianisch-deutsche Musiker. "Die Art von Musik heißt Chorro. Und diese Musik ist es kam noch vor Samba, es ist wirklich eine alte Musik", sagt Marcio Schuster. Und Marion Dimbat ergänzt: "Es ist wie eine Etüde eigentlich und es geht trotzdem ans Herz wie man so kennt so Etüden von sondern richtig wunderschöne Etüde so was." Es ist die Musik, die Zweig im Exil vor seinem Suizid wohl am häufigsten hört.

Seine Welt ist eine, in der das denkbar ist: Der Humanismus inmitten der Katastrophe. "Er hat immer gesagt: 'Ich nehme die Position der Menschlichkeit ein‘", sagt Luz. "‚Ich schlage mich weder auf die eine, noch auf die andere Seite, ich bin Humanist, ich bin Pazifist und deswegen versuche ich diesen Mittelweg zu gehen, der natürlich voller Widersprüche ist.‘ Gerade in einer Zeit heute, wo man auch ständig angehalten wird Position zu diesem Konflikt einzunehmen. Wo stehst du? Was machst du? Das muss damals gleich gewesen sein und wie Stefan Zweig seinen Weg dadurch gesucht hatte, darin kann man sich wieder erkennen."

Es ist, als wäre man einen Abend lang in Stefan Zweigs Kopf. In einem traurigschönem Traum.

Autorin: Gabriele Pfaffenberger

Stand: 11.08.2024 22:13 Uhr

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Bayerischer Rundfunk
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