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Friedenspreisträger Boualem Sansal als politische Geisel Algeriens

Weltweit kämpfen Intellektuelle für seine Freilassung

Friedenspreisträger Boualem Sansal als Geisel Algeriens  | Video verfügbar bis 06.04.2027 | Bild: AFP

Sansal kennt das System von innen

Boualem Sansal, einer der wichtigsten Schriftsteller Algeriens. International bekannt. Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels.

Im November wurde er in Algerien bei der Einreise verhaftet. Angeblich gefährde er die Sicherheit des Landes. Vor wenigen Tagen kam das Urteil. Fünf Jahre Haft für den 80-jährigen Schriftsteller, der schon länger an Krebs erkrankt ist.

„Ich bin zornig und fassungslos, dass ein Regime, ein Schriftsteller wegen einer Meinungsäußerung fünf Jahre hinter Gittern sperren will. Fassungslos“, sagt der Algerien-Experte Claus Leggewie.

Solidarität mit Sansal

Seit Monaten gibt es Solidaritäts-Veranstaltungen, in Frankreich und in Deutschland. Auch die deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth setzt sich für ihn ein.

„Jetzt muss unsere gemeinsame Forderung sein, die unmittelbare und unverzügliche Freilassung eines großartigen Schriftstellers und Intellektuellen“, so Claudia Roth auf der Leipziger Buchmesse.

Sansal lebt in Algerien und Frankreich. Seine Romane schreibt er auf Französisch. Darin kritisiert er immer wieder die Islamisierung Algeriens und sein autokratisches Regime. Er kennt das System von innen.

„Er hat lange als Ingenieur in einer staatlichen Firma gearbeitet und hat dann im Laufe der Jahre dieses Regime kennengelernt. Dieses Regime ist korrupt. Dieses Regimes hat eine autokratische Schlagseite immer schon gehabt. Dieses Regime hat den Islam politisch instrumentalisiert für seine Zwecke. Dieses Regime hat dann einen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen um den Islam in dem Land. Das heißt, er hat eigentlich die ganzen Schwächen des algerischen Regimes, das sich zu einem Polizei- und Militärregime entwickelt hat, immer gebrandmarkt“, meint Claus Leggewie.

Eine umstrittene Behauptung in einem umstrittenen Medium

Anlass für das Regime, ihm den Prozess zu machen, war wohl ein Interview, in dem Sansal die algerischen Grenzen in Frage gestellt hat – und damit den Gründungsmythos des Landes. Eine Provokation. Er tat das in einem rechtsextremen französischen Medium.

 „Als Frankreich Algerien kolonisierte, war der gesamte westliche Teil Algeriens noch ein Teil von Marokko. Sie haben dann willkürlich entschieden, den Osten Marokkos Algerien zu geben. Sie haben die Grenzen einfach so auf dem Papier gezogen“, so Sansal im Interview.

Eine umstrittene Behauptung in einem umstrittenen Medium. Während Sansal für die einen ein mutiger Verfechter der Meinungsfreiheit ist, kritisieren ihn andere für seine teilweise islamfeindlichen Aussagen – mit denen er bei den radikalen Rechten in Frankreich anschlussfähig ist. So setzt sich aktuell auch Marine Le Pen für seine Freilassung ein. Diese Nähe zu Rechts wird von manchen als problematisch angesehen.

„Sansal tickt rechts“

„Wenn Du einem rechtsradikalen Organ wie Frontières ein Interview gibst, dann würde ich sagen: tu das nicht“, meint Claus Leggewie. „Weil deine Haltung zum Islam oder deine Position für Meinungsfreiheit, für Freiheit überhaupt, wird dadurch kontaminiert, in dem du dich mit Rechtsradikalen verbündest, die ja nicht unbedingt die Hüter der Meinungsfreiheit sind.“

„Der tickt rechts, das muss man auch dazusagen, der flirtet mit den gesamten Rechten“, findet der deutsch-algerische Politikprofessor Rachid Ouaissa. „Für ihn ist das Problem, dass der Araber, der Muslim unterentwickelt ist, frauenfeindlich ist und der Islam eine Gefahr ist und das alles. Er nährt das ja durch seine Schriften und durch seine Interviews, vor allem in rechten Zeitungen in Frankreich.“

Das algerische Regime hat Sansal zur Bedrohung erklärt

Indem Sansal sagte, dass der Nord-Westen des heutigen Staatsgebietes Algeriens historisch zu Marokko gehörte, hat er an ein Tabu gerührt. Algerien sieht sich als jahrhundertealte Nation, die es so schon vor der Kolonisierung gegeben habe.

„Man muss verstehen, dass die gesamte Legitimität des Landes, sei es das Regime, aber auch die Bevölkerung, dass Algerien so, wie es heute ist, in seinen Grenzen sehr wichtig ist. Sansal hat das infrage gestellt. Und übrigens, es hat auch ein Macron vorher infrage gestellt“, so Rachid Ouaissa weiter.

Der Staatspräsident Frankreichs hatte Gebietsansprüche Marokkos im Konflikt um die Westsahara unterstützt. Das zerrüttete Verhältnis zwischen Algerien und der ehemaligen Kolonialmacht hat damit einen Tiefpunkt erreicht, und die Spannungen zwischen Algerien und Marokko haben sich verschärft.

Sansal, der Schriftsteller, ist mitten in die große Geopolitik geraten. Das algerische Regime hat ihn zur Bedrohung erklärt. Und das wegen einer umstrittenen Behauptung.       

Verhaftung ist keine Antwort

„Es ist eine historische Position, die man revisionistisch nennen könnte, die eben den Mythos, den zentralen Mythos der algerischen Nation attackiert, dass es ein vorkoloniales Algerien gegeben hat. Ich würde dem aus historischer Sicht nicht zustimmen, und viele Historiker in Frankreich tun das auch nicht, sondern korrigieren ihn da. Nur, wenn man so anfängt zu argumentieren, ist man gewissermaßen schon in der Gefahr, eine Meinungsäußerung zu verdammen, weil sie falsch ist. Aber Meinungs-Äußerungen können richtig oder falsch sein. Sie müssen gelten und sie dürfen nicht bestraft werden. Schon gar nicht mit Gefängnis, schon gar nicht mit Repression“, sagt der Algerien-Experte Leggewie.

„Er bleibt ein Schriftsteller, er bleibt ein Intellektueller, und eine Verhaftung ist im Prinzip keine Antwort“, meint Ouaissa.

Sansal hat jetzt Berufung gegen das Urteil eingelegt.


Autorin: Grete Götze

Stand: 06.04.2025 20:00 Uhr

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