So., 15.09.24 | 23:05 Uhr
„Rosalie“ sprengt Schönheitsnormen
Ein Liebesfilm mit einer Frau mit Bart
Die Hochzeitsnacht und ein Geheimnis
Eine Szene aus dem Film „Rosalie“. Die Hochzeitsnacht.
„Haben Sie keine Angst“, sagt Abel zu seiner Frau Rosalie.
Abel sah bisher nur die schöne Frau, doch Rosalie hat ein Geheimnis. Sie ist behaart wie sonst nur Männer.
„Das ist ein Thema, das offensichtlich Angst macht. Und genau das fand ich reizvoll: eine neue Repräsentation von Frau ins Kino zu bringen“, sagt Stéphanie Di Giusto.
Die französische Regisseurin Stéphanie Di Guisto interessiert sich sehr für Frauen außerhalb der Norm. Schon in ihrem Debüt „Die Tänzerin“ ging es um eine Frau, die Konventionen sprengte. Dann entdeckt sie das Foto von Clémentine Delait. Eine selbstbewusste „Frau mit Vollbart“ Anfang des 20. Jahrhunderts.
“Was mich an ihr interessiert hat, war, dass sie ganz normal als Frau leben wollte. Aber sie hat nie über ihren Mann gesprochen. Das hat mich so erstaunt, dass ich, mich fragte, was es wohl bedeutet, diese Frau zu lieben“, so Stéphanie Di Giusto weiter.
Und so beginnt sie die Geschichte mit der Verheiratung Rosalies. Ihr Vater hat die Ehe arrangiert. Bislang konnte er Rosalies Geheimnis verstecken, er rasierte sie täglich, aus Angst vor Ausgrenzung.
Eine Szene aus dem Film:
„Sie kommt gleich. Nur…die Reise war lang. Sie will nicht, dass Sie sie so sehen“, sagt Rosalies Vater
„Wie denn?“, fragt Abel.
Rosalie befürchtet, dass Abel sie zurückweisen wird.
„Sie kann sehr Vieles. Sie kann lesen, sie kann sogar schreiben“, sagt Rosalies Vater.
„Haben Sie das Geld?“, fragt Abel.
„Natürlich!“, sagt der Vater. „Hier.“
„Danke“, sagt Abel.
„Versprechen Sie mit ihm in Wahrheit zu leben? Dann sagen Sie ihm Ja, ich verspreche es.“, sagt der Pastor bei der Vermählung.
„Ja, ich verspreche es“, antwortet Rosalie.
Ihre Ehe beginnt mit einer Lüge. Stéphanie Di Guisto siedelt die Geschichte in einem kleinen bretonischen Dorf an, Ende des 19.Jahrhunderts. Kurz nach dem deutsch-französischen Krieg, mitten in der industriellen Revolution.
„Es ist eine sehr harte Zeit. Die Menschen sind verunsichert. Es herrscht ein Klima des Misstrauens, indem man den anderen genau im Blick hat. Ein Klima der Vorurteile, der Überwachung. Und Rosalie wird all dem begegnen“, so Stéphanie Di Giusto.
Die Wette und Rosalies Selbstermächtigung
Eine Szene aus dem Film:
„Letztes Mal haben Sie mich gefragt, was eine echte Jahrmarktsattraktion wäre. Und ich sage es Ihnen: eine bärtige Frau wäre eine“, sagt Rosalie
„So etwas sieht man nie“ erwidert Paul.
„Stimmt. Das ist sehr selten“, bemerkt Rosalie.
„Das sind oft falsche Bärte außerdem“, sagt Paul.
„Ich müsste meinen nur wachsen lassen. Dann würden Sie einen echten sehen“, sagt Rosalie. „Wetten wir?“
Abel ist erst angewidert, dann beginnt ein Prozess der vorsichtigen Annäherung.
Die Regisseurin macht die Entwicklung Figuren glaubhaft, sie dreht die Szenen chronologisch und erhält so echte Reaktionen.
„Ich liebe es, die Realität einzufangen mit der Art und Weise wie ich filme. Die meisten Komparsen im Wirtshaus waren Einwohner des Dorfes. Und als wir diese Szene gedreht haben, von der sie vorher nichts wussten, habe ich Blicke gesehen. Das sind unverstellte Blicke auf sie. Einer war darunter, der war sofort voller Hass“, erzählt Stéphanie Di Giusto.
Eine Szene aus dem Film:
„Machen Sie sich lustig über mich?“, fragt Rosalie.
„Sie sind hübsch, Rosalie. Unglaublich!“, sagt Paul.
„Meine Damen, kommen sie herein. Setzen sie sich. Was kann ich ihnen anbieten?“, fragt Rosalie weiter.
Was als Wette begann, um Abels Schulden zu tilgen, wird zu Rosalies Selbstermächtigung. Sie will sich jetzt nicht mehr verstecken und wird den Bart nicht wieder abnehmen. Auch als Zuschauende ist man hin und hergeworfen, wie Abel ist man mal empathisch, dann fühlt man sich provoziert, allein vom Anblick dieser Frau mit Bart.
„Mit dem vielen Geld kann ich endlich alles an Barcelin zurückzahlen. Sie müssen sich den nicht mehr stehen lassen“, sagt Abel.
„Wenn ich ihn noch etwas stehen lasse, könnten wir den Schankraum neu streichen“, erwidert Rosalie.
„Ich mache Ihnen doch keine große Schande?“, fragt Rosalie weiter.
Abel befürchtet, dass Rosalie bald zum Sündenbock gemacht wird. Aber Rosalie zieht Stärke daraus, zu ihrer Identität zu stehen. Sie lässt sich wie die historische Vorlage fotografieren.
Die Reaktion der Gesellschaft und die Botschaft des Films
Eine Szene aus dem Film:
„Den Blick etwas zu mir gewandt. Lächeln. Vielleicht lieber die Blumen“, sagt der Fotograf.
„Sobald sie die Grenzen überschreitet, indem sie sich immer mehr Freiheiten herausnimmt, sich emanzipiert, spürt man plötzlich, dass es genau diese Freiheit ist, an der sich die anderen stören. Und von da an fangen sie an sie zu bekämpfen“ so die RegisseurinStéphanie Di Giusto.
Eine Szene aus dem Film:
„Was ist das? Was ist das?“, fragt Pierre.„Du widerst mich an! Das ist nämlich keine Frau.“
„Ich wollte unsere wahre Toleranz hinterfragen. Ob wir uns nun im Jahr 1875 oder im Heute befinden, ich glaube, da gibt es keine große Entwicklung. Deshalb wirkt der Film auch so aktuell, weil sich nichts verändert hat“ sagt Stéphanie Di Giusto.
„Rosalie“ ist kein Wohlfühl-Kostümfilm, es ist eine Geschichte über: die Suche nach der eigenen Identität, die Überwindung von konventionellen Zuschreibungen… und eine wundersame Liebe.
Bericht: Carola Wittrock
„Rosalie“, Regie: Stéphanie Di Giusto, Kinostart 19.09.24.
Stand: 15.09.2024 20:18 Uhr
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