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Der Ehrengast Italien

Statt Dolce Vita politische Einflussnahme auf Literatur, Medien und Kultur?

Italien
Italien | Bild: hr

Autoren, die sich mit ihren Büchern und Meinungsäußerungen Feinde in den höchsten Rängen der Politik machen, Schriftsteller, die die postfaschistische Ministerpräsidentin vor Gericht verklagt und denen geplante Auftritte und Sendungen beim Staatssender RAI gestrichen werden: Das alles ist gerade Realität in Italien. Wie steht es also um die Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit im „Land, wo die Zitronen blühn“, wie Goethe einst das Sehnsuchtsland der Deutschen pries?

„ttt“ ist nach Rom zum aktuell wohl bekanntesten italienischen Autor gefahren. Roberto Saviano, Mafia-Enthüllungsjournalist, sollte eigentlich in Frankfurt gar nicht dabei sein. Die offizielle italienische Delegation habe man mit „originelleren Autoren“ versehen, so die Begründung für Savianos Ausschluss. Aber Saviano ist auch einer der härtesten Kritiker der aktuellen Regierung. Er bezeichnete die Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihren Stellvertreter Matteo Salvini wegen ihrer Flüchtlingspolitik als „Bastarde“ und wurde daraufhin über Jahre verklagt. Er sieht das als Zeichen, auch all die anderen kritischen Stimmen Italiens einschüchtern und die freie Meinungsäußerung einschränken zu wollen. Saviano lebt unter Polizeischutz, seit er über die Camorra geschrieben hat. In seinem jüngsten Buch „Falcone“ (Hanser Verlage) geht es wieder um die Mafia, genauer um den sizilianischen Richter und Mafiajäger Giovanni Falcone, der 1992 einem Mafia-Attentat zum Opfer fiel.

Wer in Italien aufdeckt und kritisiert, wird verklagt oder geschmäht, selbst wenn es „nur“ ums Essen geht. Alberto Grandi zum Beispiel, Wirtschaftshistoriker, hat ein Buch über die „erfundenen Traditionen der italienischen Küche“ geschrieben. Über italienische Nationalgerichte, die die rechtspopulistische Regierung gerade als immaterielles Weltkulturerbe auszeichnen lassen möchte. Doch Grandis Nachforschungen haben ergeben: Diese Gerichte sind gar nicht so traditionell und „original italienisch“, wie man sich dort gerne erzählt. Denn die meiste Zeit war Italien ein sehr armes Land, aus dem früher viele auswanderten, und zwar vor Hunger! Sein Buch „Mythos Nationalgericht“ (HarperCollins Verlag) ist auch eine Sozialgeschichte Italiens, aber weil er nationale Heiligtümer wie Pizza und Carbonara, Balsamico und Parmesan vom Sockel holt, wird er angefeindet, auch von hochrangigen Politikern. Essen als Mittel des Kulturkampfs – das sagt viel über den Zustand Italiens aus, findet Grandi.

Die wachsende Einflussnahme der Regierung auf Kultur- und Medienschaffende sei derzeit überall zu spüren, sagt auch die Autorin Igiaba Scego. Ihre Eltern stammen aus der ehemaligen italienischen Kolonie Somalia, sie selbst ist in Rom aufgewachsen. In ihrem autofiktiven Roman „Kassandra in Mogadischu“ (S. Fischer Verlage) verarbeitet sie die italienische Kolonialgeschichte und welche Spuren sie hinterlassen hat, in einem Land, das heute zu den rigorosesten in Europa gehört, wenn es um Migrations- und Abschottungspolitik geht. Igiaba Scego ist eine literarische Entdeckung, die als Teil der offiziellen Delegation ein anderes, vielfältigeres Italien repräsentiert.

„ttt“ ist von Rom bis Parma gereist und hat mit Roberto Saviano, Alberto Grandi und Igiaba Scego darüber gesprochen, wie sie ihr Heimatland in diesen Tagen wahrnehmen.


Beitrag: Celine Schäfer

Roberto Saviano: „Falcone“ (Hanser Verlage), 2024, 544 Seiten, 32 Euro.
Alberto Grandi: „Mythos Nationalgericht“ (HarperCollins Verlag), 2024, 256 Seiten, 22 Euro.
Igiaba Scego: „Kassandra in Mogadischu“ (S. Fischer Verlage), 2024, 416 Seiten, 26 Euro.

Stand: 18.10.2024 12:25 Uhr

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