So., 16.02.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Wie neu macht Tricia Tuttle die Berlinale?
75 Jahre Berlinale und, wieder mal alles neu: Als Festivalchefin übernimmt die Amerikanerin Tricia Tuttle, begleitet von Hoffnung und Erwartung in herausfordernder Zeit. Sie verspricht, die traditionell hochpolitische Berlinale wieder zu dem zu machen, was sie lange viel zu wenig war: Ein Schaufenster für Filmkunst, die auch das Publikum mitreißt. Der Glamour-Faktor, das Star-Aufgebot auf dem Roten Teppich mag nur begrenzt steigerbar, der Bedeutungsverlust des Kinos nicht einfach kompensierbar sein. Doch wenn – wie Tricia Tuttle hofft – bei der Berlinale mehr über tolle Filme geredet würde statt über Krise – besser könnte es für Berlin und das Kino kaum kommen. "ttt" redet mit Tricia Tuttle.
Die 75. Berlinale ist eröffnet
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Trisha Tuttle eröffnet die 75., ihre erste Berlinale. Glamour und Politik wieder ganz nah beieinander: Tilda Swinton nutzt die Verleihung des Ehrenbären für ein politisches Statement. "Ich solidarisiere mich mit denjenigen, die die Selbstgefälligkeit unserer Regierungen erkennen, die sich bei Planetenzerstörern und Kriegsverbrechern lieb Kind machen, egal wo sie herkommen", so Tilda Swinton. "Es war eine starke Eröffnung. Tildas Rede war sehr emotional und sprachmächtig. Das Festival selbst macht keine politischen Statements, das ist nicht seine Aufgabe. Die Berlinale ist ein Schaukasten, eine offene Bühne für die Filmkunst. Und Künstler machen oft starke, pointierte Aussagen über die Welt", erzählt Tricia Tuttle.
"Wir müssen dafür sorgen, dass die Meinungsfreiheit erhalten bleibt"

Bei der letzten Berlinale kam es zum Eklat. Der Berlinale wurde vorgeworfen, antisemitische Äußerungen und einseitige Sympathiekundgebungen geduldet zu haben. Diesmal stand Tricia Tuttle mit auf dem Roten Teppich, als an den noch immer als Geisel gehaltenen Schauspieler David Kunio erinnert wurde. "Ich habe am ersten April angefangen. Damals nach der Preisverleihung gab es enormen Druck, dass solche Äußerungen nicht wieder vorkommen dürften. Wenn wir aber Leute zum Schweigen bringen, haben wir ganz schnell kein Internationales Filmfestival mehr in Berlin. Wir sind entschieden gegen jedweden Antisemitismus. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Meinungsfreiheit erhalten bleibt", erklärt Tuttle.
Die Berlinale zwischen Glamour und Politik

Auch diesmal Aktionen auf dem Roten Teppich. Gegen politischen Chauvinismus, Rechtsextremismus, für Demokratie, Liebe, Menschenrechte für alle. "Der Protest auf dem Roten Teppich, das ist die Berlinale, die wir kennen. Die Menschen nutzen diesen Raum, um Aufmerksamkeit zu erregen für die Probleme, die sie so leidenschaftlich umtreiben", so Tricia Tuttle. Gleich der Eröffnungsfilm Tom Tykwers in Berlin situiertes Familiendrama "Das Licht" spielt die Themen an, die uns unter den Nägeln brennen. Migration, Klimawandel, Identitätskrise, Flucht in virtuelle Welten. "Wir zeigen bei der Berlinale aber keine Filme wegen der Themen. Wir sagen nicht: Hier ist ein Thema, das ist der Film dazu. Es geht uns um schön gemachte, künstlerisch, ästhetisch, kulturell wichtige Filme – die unglaubliche Vielfalt der Kunstform Film", erklärt Tuttle.
"Stars gehören zum Kino seit 120 Jahren"

Als Tricia Tuttle an die Spitze der Berlinale gerufen wurde, sollte sie vor allem eins: Ein in die Krise geratenes Festival wieder nach vorn bringen gegenüber der Konkurrenz in Cannes und Venedig. Dazu der Verlust der alten Funktion Scharnier zwischen Ost und West zu sein und das Problem, dass Hollywood Berlin immer häufiger die kalte Schulter zeigt. "Stars gehören zum Kino seit 120 Jahren, seit es das Kino gibt. Und wir versuchen natürlich, den Fans ihre Stars zu geben. Denn die verbinden uns mit dem, was wir auf der Leinwand erleben, sie verbinden uns mit den Geschichten", so Tuttle. Jessica Chastain, der Star aus Michel Francos Wettbewerbsbeitrag "Dreams", schaffte es immerhin für 24 Stunden von Hollywood nach Berlin und auf den Roten Teppich. Ein Mexikaner, eine Amerikanerin in San Francisco. Das Thema der Migration, verpackt in eine verzweifelte Liebesgeschichte, deutlich dramatischer, als dieser Ausschnitt ahnen lässt.
Die Berlinale – ein Raum für alle

"Das Kino ist so lebendig wie eh und je. Es sind einige unglaubliche Filmemacher am Start. Besonders junge Regisseure, Debütfilme wagen etwas, gehen Risiken ein", erzählt Tricia Tuttle. Wie der schon etablierte Burhan Qurbani, der in "Kein Tier. So Wild." eine Berliner Gangstergeschichte, die Gewalt krimineller Clans mit Zitaten aus Shakespeare's Richard dem Dritten erzählt. Viel zu erleben im Kino. Neu erfinden kann auch Tricia Tuttle das Festival kaum. Doch sie steuert die Berlinale selbstbewusst durch eine auch für die Kultur dramatische Zeit. "Die Berlinale kann vieles sein, vor allem sehe ich sie als einen Raum für alle, für Gemeinschaft. Wo wir eine Erfahrung teilen, zusammen lachen, zusammen weinen. Das macht die Berlinale politisch. Wir sehen Filme und erkennen unsere gemeinsame Menschlichkeit", so Tuttle.
Autor: Andreas Lueg
Stand: 16.02.2025 23:38 Uhr
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