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"I’m still here": Walter Salles bewegendes Drama

"I’m still here": Walter Salles bewegendes Drama  | Video verfügbar bis 22.09.2024 | Bild: ARD

Viele Filme auf dem Festival widmen sich historischen Themen von gesellschaftspolitischer Relevanz.

Hervorragend: das Drama des renommierten Filmemacher Walter Salles über die Familie des Politikers Rubens Paiva, der während der Militärdiktatur in den 1970er Jahren entführt und umgebracht wird.

Wie seine Ehefrau erst um seine Freilassung, und dann für ein anderes Brasilien kämpft: für uns einer der absoluten Highlights des Festivals.

Die Erinnerung ist ein Schatz

Die Erinnerung ist ein Schatz. Der größte Schmerz. Rio de Janeiro 1971. Die Paivas sind eine ideale Familie. Der Bauingenieur Rubens und seine Frau Eunice. Gemeinsam mit den fünf Kindern leben sie direkt am Strand. Das Leben unwirklich schön.
 
„Eunice hatte dieses fast utopische Leben einer Hausfrau mit fünf Kindern und einem perfekten Mann, was in gewisser Weise dem entsprach, was Brasilien mit dem Bossa Nova lebte“, sagt die Schauspielerin Fernanda Torres. „Wir waren auf dem Weg, ein großes Land zu werden mit Tropicália und der Architektur und Oscar Niemeyer und dem ganzen Modernismus. Und plötzlich wurde diese Generation zum Schweigen gebracht. Durch einen Putsch.“
 
Brasilien ist ein aufstrebendes Land in jenen Jahren, in der Moderne angekommen. Ausländische Firmen siedeln sich an, die Städte verändern sich rasant. Die kalte Seite: Seit einem Putsch 1964 herrscht eine brutale Militärdiktatur im Land. Unterdrückung, Willkür, Verfolgung politischer Gegner.
 
Rubens Paiva lehnt das System ab, hatte einige Zeit im Exil gelebt. Nachdem er zurückgekehrt ist, scheint nun alles in Ordnung. Doch plötzlich, am 20. Januar 1971, wird Rubens von der Militär-Polizei abgeholt. Eine Aussage müsse er machen. Seine Familie wird ihn nie wieder sehen.
 
„Es ist die außergewöhnliche Geschichte einer Familie, die einen unglaublichen Akt der Gewalt ertragen muss“, sagt Regisseur Walter Salles. „Und die Geschichte einer Frau, die im Zentrum des Geschehens steht. Bei der Lektüre von Marcelo Paivas Buch habe ich mich in diese Frau verliebt. Tatsächlich kannte ich sie ja persönlich. Aber ich glaube, was der Sohn in seinem Buch getan hat, war zu entdecken, dass seine Mutter wirklich das Herz der Familie war.“

Verzicht auf Gewalt


Gegen alle Widerstände beschützt die Mutter ihre Kinder, hält die Familie zusammen. Der Film verzichtet auf explizite Gewalt. Und doch sind Willkür und Terror der Diktatur permanent greifbar. Die zuvor unpolitische Eunice lernt, mit dem Leid zu leben. Zu überstehen. Und sie wird zur Stimme für die Verschwundenen.
 
„Sie war eine Frau, die sich der Tragödie stellte, die das Melodram vermied“, sagt die Schauspielerin Fernanda Torres. „Sie wollte nicht mit ihrer Familie auf der Straße weinen. Sie wollte nicht, dass ihre Kinder zu Opfern der Diktatur werden. Und sie beschloss, dies zu tun, indem sie schwieg und lächelte. Unglaublich. Und dann erfindet sich diese Frau neu, ohne Geld. Sie hatte zuvor ein sehr bürgerliches Leben und sie geht zurück zur Universität, um Anwältin zu werden.“

Die Ungewissheit und das Grauen


25 Jahre später, 1996, erhält Eunice Paiva die offizielle Bestätigung, dass ihr Mann gefoltert und ermordet wurde. In Venedig wurde der Film gefeiert. Auch weil er über die Geschichte der Familie Paiva hinausweist. „In dem Film ging es plötzlich nicht mehr um die Siebziger Jahre. Es ging darum, was in dem Moment auf den Straßen geschah, während wir an dem Film arbeiteten“, sagt Salles. „Und wenn ich sehe, was in Ungarn passiert, was demnächst vielleicht wieder in den Vereinigten Staaten passiert, was an so vielen verschiedenen Orten in der Welt passiert: Es ist eine Zeit der Angst, in der wir leben.“
 
„Ainda Estou Aqui - I’m still here“ ist ein phantastischer Film, der gerade durch seine Auslassungen die Ungewissheit und das Grauen spürbar macht. Er erzählt, wie Diktaturen Menschenleben und Gesellschaften zerstören. Und es ist das Portrait einer liebenden Frau und Mutter, die zur Aktivistin wurde.

Stand: 08.09.2024 22:17 Uhr

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Bayerischer Rundfunk
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