Sa., 21.03.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Boreout: Wenn Langeweile im Job krank macht
Viel zu viel Arbeit und der Job ist zu stressig – das kann krank machen. Das Gegenteil, also zu wenig Arbeit, aber auch: "Boreout" heißt das Syndrom. Nach einer repräsentativen Umfrage empfinden fast ein Drittel der Deutschen ihre Arbeit als sinnlos. Sie meinen, nichts Wertvolles für die Gesellschaft zu leisten. Und das kann schon der erste Schritt in die Krankheit sein.
Fünf Tage pro Woche Langeweile
So erging es auch Daniela Wohlan. Sie arbeitete 13 Jahre in einer Bundesbehörde in Berlin. Montags war es immer am Schlimmsten: Es gab nichts zu tun. An den anderen Tagen hatte sie jeweils für zwei oder drei Stunden Arbeit – musste aber acht Stunden bleiben. Was entspannt klingt, ist das Gegenteil. Dr. Wolfgang Merkle, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt am Main, hat sich intensiv mit den Ursachen und Symptomen des Boreouts beschäftigt. Er sagt: Unterforderung ist für Menschen genauso viel Stress wie Überforderung. Die Symptome seien so ähnlich wie beim Burnout ("Ausbrennen"), der chronischen Überforderung: Es beginnt mit Interesse- und Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, dann kommen zum Beispiel Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen dazu. Die Betroffenen leiden unter Appetitlosigkeit, ziehen sich zurück, fühlen sich niedergeschlagen und sind depressiv.
Unterfordert in unserer Leistungsgesellschaft
Gründe, warum Menschen im Arbeitsalltag zu wenige Aufgaben bekommen, gibt es viele. Manchmal geht es nur darum, Mitarbeiter loszuwerden – ohne ihnen kündigen und eine Abfindung zahlen zu müssen. Meist entsteht Leerlauf dort, wo Arbeitsprozesse rationalisiert werden oder Unternehmen fusionieren. Plötzlich gibt es ganze Abteilungen doppelt – doch die Menge der zu bewältigenden Arbeit verdoppelt sich nicht. Für manche Beschäftige heißt das dann: sinnlos Zeit absitzen.
Sinnvolle Aufgaben sind wichtig für die Gesundheit
Daniela Wohlan war nach mehr als einem Jahrzehnt ohne verantwortungsvolle Tätigkeit körperlich und seelisch schwer angeschlagen. Ohne Bestätigung und Anerkennung rebellieren Körper und Seele. Menschen haben das elementare Bedürfnis, etwas zu schaffen, etwas zu bewirken. Fehlt das, kann die Situation unerträglich werden. Der Körper reagiert mit innerer Spannung und Alarmbereitschaft. Diese Stressreaktion kann langfristig zu totaler Erschöpfung und Krankheitssymptomen führen. Ist das Selbstbewusstsein dann erst einmal so schwer angeschlagen, ist es fast unmöglich, sich aus eigener Kraft zu helfen. Daniela Wohlans Hausärztin verschrieb ihr eine Kur in einer psychiatrischen Reha-Klinik. Für die Anschlussbehandlung konnte Daniela Wohlan in Berlin aber keinen Psychologen finden, der sich mit dem Krankheitsbild "Boreout" auskannte.
Ein Boreout muss behandelt werden
Schließlich fand die Berlinerin Hilfe in Hamburg bei dem Boreout-Coach Stefan Duwensee. Dieser gab ihr vor allem praktische Hilfestellung: Wie kann sie sich weiterhin stabilisieren? Welche Interessen hat sie, die ihr Halt und Selbstvertrauen zurückgeben? Kann sie sich an den Betriebsrat oder einen Vorgesetzten wenden, um ihre Situation zu verbessern? Offen über ihr Leid zu sprechen, ist für Boreout-Betroffene oft schwierig. Anfangs versuchen sie noch, mehr oder andere Aufgaben zu übernehmen. Doch gelingt das nicht, täuschen sie aus Angst um ihren Arbeitsplatz vor, viel Arbeit zu haben. Aus dieser Situation wieder herauszukommen, ist schwierig.
Außerdem nimmt die Leistungsgesellschaft Probleme aufgrund von Langeweile oder Unterbeschäftigung nicht ernst. Doch Menschen, die tief in einer Depression stecken, benötigen psychologische Hilfe. In der Tagesklinik des Psychoanalytikers Dr. Wolfgang Merkle finden Betroffene Unterstützung auf mehreren Ebenen – darunter die klassische Gesprächstherapie, aber auch Übungen zur Körperwahrnehmung wie progressive Entspannungstherapie, Tanz- oder Kunsttherapie.
Daniela Wohlan hat es geschafft – und steht nach vier Jahren Therapie und Coaching wieder mitten im Leben. Sie hat sich getraut, ihren sicheren Behörden-Job zu kündigen und neue Arbeit zu suchen.
Autorin: Anja Galonska (hr)
Stand: 20.03.2020 16:36 Uhr