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Shishmaref muss weichen

Es ist sprichwörtlich ein Ort am Ende der Welt. Shishmaref – ein kleines Dorf auf einer fünf Kilometer langen und nur 500 Meter breiten und immer schmaler werdenden Sandbank vor Alaska.

Irgendwann wird dieser Ort nicht mehr sein. Er ist dem Untergang geweiht. Schuld daran: die globale Erwärmung.

Gut 600 Menschen leben hier – die meisten sind Ureinwohner. Die Inupiaqs, die zum Volksstamm der Inuit gehören, leben ganz traditionell. Ihre Häusern haben kein fließendes Wasser. Im Sommer fangen sie Regenwasser auf und im Winter schmelzen sie den Schnee. Sie jagen und sammeln wie ihre Vorfahren, die bereits vor 4000 Jahren diese Insel bewohnt haben.

Seit Jahrhunderten sind sie Selbstversorger und leben von Eisbären, Walrössern, Robben und Karibus, dem Fischfang sowie vom Sammeln von Wildfrüchten.

Das Eis wird dünner

So auch Tony Weyiouanna. Zusammen mit seiner Familie fährt er zu ihrem Camp, von dem aus sie Jagen gehen und Beeren sammeln. Er ist in Shishmaref geboren und aufgewachsen. Ihm wie allen anderen Bewohnern macht der Klimawandel zu schaffen: "Das Eis in den kalten Monaten ist nicht mehr so dick wie in meiner Kindheit. Als ich in das Alter kam, in dem man anfängt zu jagen, konnte ich im Frühling bis zu 50 Kilometer aufs Eis raus, um Robben zu schießen. Das können wir jetzt nicht mehr tun, denn das Eis friert nur noch bis zu 10 Kilometern vor der Küste. Das hat unsere Art zu Jagen geändert. Wir können nicht mehr so einfach dahin, wo die Tiere sind."

Bedrohliche Stürme

Mit seiner Kamera hat er die Stürme gefilmt, die sein Heimatdorf bedrohen. Das Meer hat sich das Heim vieler Menschen genommen. Alles ist hier auf Sand gebaut. Das wäre kein Problem, wenn der Permafrost nicht anfangen würde zu tauen.

Denn er hat als eisiger Klebstoff den Sand zusammengehalten. Einst schützte zudem das Packeis die Insel vor den peitschenden Stürmen. Jetzt schlagen die Wellen ungebremst auf den weich gewordenen Boden. Seit 2001 ist dadurch die Küste jährlich um fast acht Meter zurück gegangen.

Und so ist Alaska der Ort, an dem die globale Erwärmung sichtbarer wird als anderswo. In den vergangenen 50 Jahren stiegen die Durchschnittstemperaturen in diesem Bundesstaat um 2 °C, im Winter sogar um 3,5 °C. Aktuell sind in Alaska über 100 weitere Gemeinden der Gefahr von Erosion und Überflutung ausgesetzt.

Klimawandel als Unterrichtsthema

Ein Grund, warum der Klimawandel auch Einzug gehalten hat in den Schulunterricht in Shishmaref. Ken Stenek ist der Erdkundelehrer dieser Schule. Er glaubt nicht, dass es ein Alter gibt, in dem die Schüler zu jung sind, um den Klimawandel zu verstehen.

Seit fast zehn Jahren lebt er auf der Insel – zusammen mit seiner Frau, einer Einheimischen, und ihren vier Kindern. Er kennt die Traditionen der Menschen hier.

Für ihre Vorräte, das Fleisch und den Fisch, den sie im Winter gefangen haben, brauchten sie zum Beispiel keinen herkömmlichen Kühlschrank. Bisher haben sie die Vorräte im kalten Boden vergraben. Doch bei nun schlechter gekühltem Fleisch drohen Vergiftungen. Einige Menschen sind schon daran gestorben.

Ein Steinwall

Stanley Tocktoo ist der Bürgermeister von Shishmaref. Vor 46 Jahren wurde er hier geboren. Damals gab es den hier noch nicht: einen Steinwall, der die Insel vor weiterer Erosion schützen soll. Mehrere Millionen US-Dollar wurden in diese Schutzmaßnahme schon hineingesteckt: "Wenn wir diesen Steinwall nicht gebaut und nichts unternommen hätten, würden wir Land auch einfach durch die Flut verlieren. Die Flut kommt einfach bis in Bodennähe, bringt den Permafrostboden zum Schmelzen und nimmt sich das Land einfach. Dadurch haben wir auch Probleme mit der Erosion. Nicht nur durch Stürme."

Das Dorf wird verlassen…

Wie geht es also weiter mit Shishmaref und seinen Bewohnern, denen das Meer -hervorgerufen durch den Klimawandel - langsam den Boden unter den Füßen entreißt? Werden die zahlreichen Kinder hier noch so traditionell leben können, wie es ihre Eltern derzeit noch tun? Deshalb hat die Gemeinde beschlossen, das sie ihre Insel verlassen wollen.

…Tradition soll jedoch weiterleben

Denn eins ist klar: Shishmaref wird verschwinden. Seine Bewohner müssen es aufgeben und umsiedeln. Ziel ist Tin Creek, ein Hügel auf dem Festland, 18 Kilometer entfernt. Bislang gibt es hier nur Tundra, soweit das Auge reicht.

Das größte Problem: Zirka 180 Millionen Dollar wird dieser Umzug kosten. Viel Geld, das die amerikanische Regierung bislang nicht zu zahlen bereit ist. Tony Weyiouanna hat Angst um die Zukunft: "Wenn wir gezwungen werden, in eine andere Gemeinde oder Stadt zu ziehen, verlieren wir unsere kulturelle Identität. Wir sind stolz auf unsere Herkunft und Tradition, die wir aufrechterhalten wollen."

So ist das Schicksal von Shishmaref noch unklar. Ein kleiner Ort im fernen Alaska als Paradebeispiel. Denn eines Tages kann es vielen küstennahen Städten genauso ergehen.

Autorin: Melanie Thun

Stand: 16.12.2013 11:06 Uhr

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