So., 08.06.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das größte Experiment der Menschheit
Zwanzig Jahre lang haben 6000 Physiker aus aller Welt zwischen Genfer See und Jura-Gebirge am europäischen Forschungszentrum CERN den größten Versuchsreaktor der Welt gebaut. In diesem Sommer wird er gestartet: Sein Name: Large Hadron Collider – kurz LHC.
Der LHC ist der stärkste aller Teilchenbeschleuniger und eine Strahlenkanone, die in einem 27 Kilometer langen Tunnel Atomkerne mit der Wucht des Urknalls aufeinander schießt. Die Physiker wollen nit diesem Versuchsreaktor das größte Rätsel der Welt lösen: Sie wollen verstehen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält
Magnetfeld hält Protonen in der Spur
Im Inneren des Reaktors wird es kälter sein als im Weltraum. Denn nur dann können die fast zehntausend supraleitenden Riesen-Magnete das extrem starke magnetische Feld aufbauen, das die Atomkerne bei annähernder Lichtgeschwindigkeit auf ihrer 27-Kilometer-Kreisbahn hält.
Zwei gegenläufig rotierende Protonen-Strahlen werden aufeinander geschossen. Treffen die Atomkerne dabei genau aufeinander, zerplatzt die bekannte Materie in tausend Stücke und verursacht physikalische Zustände, die auch während des Urknalls vorgeherrscht haben sollen. Um jede Spur dieser noch nie gesehenen Phänomene, die Produkte des künstlichen Urknalls, aufzuzeichnen, haben die Forscher einhundert Meter unter der Erde gigantische Messapparate aufgestellt und hausgroße Kameras für lichtschnelle kleinste Teilchen installiert.
"Neue Physik"?
Die freiwerdende Energie des Teilchenstrahls soll viel größer sein als bei allen bisherigen Teilchenbeschleunigern. Die Physiker erwarten etwas Unbekanntes und sprechen von "neuer Physik".
So rechnen sie damit, dass in den aufgezeichneten Explosionsdaten der zerstörten Protonen auch neuartige Teilchen auftauchen. Darunter vermuten sie auch das "Higgs-Teilchen". Die Forscher nennen es auch das "Gottes Teilchen", weil es allen anderen Teilchen wie Protonen, Neutronen oder Elektronen erst ihre Masse verleiht.
Weltformel in greifbarer Nähe?
Manche der Wissenschaftler erhoffen sich durch diesen Versuchsreaktor gar den Schlüssel zu einer Weltformel. Nach ihr hatte bereits Albert Einstein gesucht, Steven Hawkins sucht immer noch. Nach Hawkins' Theorie müssten am LHC Schwarze Löcher im Miniaturfomat entstehen und sofort wieder zerstrahlen. Sie wären viel zu klein und kurzlebig, um gefährlich zu sein, sind sich die LHC-Erbauer sicher. Aber Schwarze Löcher nachzuweisen wäre an sich schon eine Sensation. Denn für die Physiker wären diese Schwarzen Löcher ein Beweis dafür, dass die Welt in mehr als den bekannten drei Raumdimensionen existieren muss. Theoretische Physiker rechnen längst mit zehn oder gar elf Dimensionen.
Wurmlöcher für Zeitreisen
Theoretische Physiker gehen davon aus, dass während des Betriebs des LHC sogar Wurmlöcher entstehen könnten. Die könnten eines Tages vielleicht als Zeitmaschinen benutzt werden. In wieweit die Annahmen der Physiker eintreffen, und ob einige Voraussagen doch in den Bereich der Science Fiction fällt, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall wird es ab Juli spannend am Genfer See.
Autor: Roland Schenke
Stand: 11.05.2012 13:08 Uhr