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Die Öldetektive

Anfang Februar landeten an den Stränden der Nordsee über eintausend verölte Trauerenten. Viele der Tiere erfroren, weil ihr verklebtes Federkleid seine Isolationswirkung verlor. Tierschützer fingen zahlreiche geschwächte Tiere am Strand ein.

Doch auch bei guter Pflege hätten sie kaum eine Überlebenschance gehabt. Beim vergeblichen Versuch das eigene Gefieder zu säubern hatten die Vögel giftige Ölbestandteile aufgenommen. Da wurde vielen zum Verhängnis.

Illegale Ölverklappung

Die Umweltschutzorganisation WWF schätzt, dass dreißig Prozent der tot aufgefundenen Seevögel in der Deutschen Bucht an Öl gestorben sind. Genauer: an hochgiftigen Schweröl-Rückständen aus den Maschinenräumen großer Schiffe.

Dieses Schweröl wurde offenbar Illegal abgepumpt, um Liege- und Entsorgungsgebühren in den Hafenanlagen zu sparen. Nicht die großen Ölteppiche aus havarierten Tankschiffen sind das Hauptproblem für die Meere, sondern die täglichen Einleitungen aus Tankern und Frachtschiffen, die auf dem Meer ihre Tanks reinigen oder Brennstoff-Rückstände ablassen.

Eine aufwändige Überwachung soll das verhindern: Zwei mit ausgefeilter Sensortechnik ausgerüstete Do228-Flieger des Havariekommandos Cuxhaven fahnden aus der Luft nach Ölspuren. Eine Probenahme im Verdachtsfall ist Aufgabe von Helikoptern bzw. Schiffen der Bundespolizei See und der Wasserschutzpolizei. Doch trotz mehrfach täglich durchgeführter Öl-Patrouillen erwischen die Beamten nur selten Täter auf frischer Tat. Wer Ölschlamm (Sludge) über Bord pumpt, macht das in der Regel bei hohem Seegang und schlechter Sicht.

Probenentnahme auf hoher See

Obwohl die Fahnder nur einen Teil der Verunreinigungen überhaupt entdecken, nehmen sie immerhin zweihundert Mal jährlich eine Probe aus verschmutztem Oberflächenwasser. Dazu haben sie ein spezielles Gefäß konstruiert, das direkt aus einem Hubschrauber herabgelassen wird.

Anschließend verständigt die Hubschrauberbesatzung die Küstenwache, die eine Öl-Probe von als Verursacher infrage kommenden Schiffen nehmen soll. Das Öl aus dem Wasser und das Öl vom Schiff müssen identisch sein – nur dann ist eine Strafverfolgung möglich.

Schnelle Analyse

Diesen Nachweis zu führen ist Aufgabe des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg. Im Sülldorfer Labor des BSH überführt Gerhard Dahlmann seit dreißig Jahren Ölsünder. Dabei nutzt er die besonderen Eigenschaften des schwarzen Goldes: "Das Prinzip der Ölidentifizierung beruht darauf, dass Öl eben aus Tausenden von einzelnen Verbindungen besteht", sagt Dahlmann, "und wir haben hier die Möglichkeit innerhalb von 60-70 Minuten etwa vier bis fünfhundert dieser Komponenten zu bestimmen."

Dazu müssen die Proben aus dem Meer und die vom verdächtigen Schiff aufbereitet werden. Dahlmann versetzt sie dazu mit einem Lösungsmittel. Die stark verdünnten Öle kommen dann zur Spurenanalyse in den so genannten Gaschromatographen.

Das hoch empfindliche Verfahren läuft voll automatisch. Je nach Siedetemperatur verdampfen einzelne Komponenten der Öle früher oder später. Das Ergebnis sind Messkurven – individuell wie ein Fingerabdruck. Stimmen sie überein ist bewiesen, dass das Öl vom verdächtigen Schiff stammt.

Öl-Gedächtnis im Keller

Schwieriger wird es, wenn es keinen Verdacht gibt, von welchem Schiff die Verschmutzung stammen könnte. Für solche Fälle hat der Chemiker ein Öl-Archiv angelegt. Im Keller seines Labors lagern Tausende Proben aus aller Welt. Finden die Patrouillen Öl auf hoher See, kann er dessen Herkunft recherchieren. Mit einem selbst geschriebenen Programm macht er sich an die Rasterfahndung. So weiß er in Sekunden, aus welcher Förderregion beziehungsweise von welcher Bohrinsel das Öl stammt.

"Danach können dann Ermittlungen stattfinden, es kann der Frage nachgegangen werden, welcher Tanker eben dieses spezielle Öl zur entsprechenden Zeit in dem Gebiet transportiert hat", beschreibt Dahlmann die möglichen weiteren Ermittlungen.

Schiffe können anhand Fahrtrouten ermittelt werden

Schiffe und ihre Routen werden elektronisch registriert. So können die Ermittler recherchieren, welches Schiff wann und wo unterwegs war. Doch auch wenn es ihnen gelingt, das Schiff zu identifizieren, von dem das Öl stammt; Für einen Strafbefehl reicht das noch nicht: "Wir haben das Problem in Deutschland, dass wir das Verursacherprinzip haben und das bedeutet, wir müssen den finden, der auch tatsächlich diese Verschmutzung begangen hat, der den Hebel bedient hat", sagt Hans-Joachim Bruhn, Leiter der Maritimen Ermittlungs- und Fahndungsgruppe bei der Bundespolizei See.

Rechtslücke in Deutschland

In Deutschland können nur natürliche Personen von einem Richter verurteilt werden. Im Klartext: Auch wenn die Wasserschutzpolizei das fragliche Schiff findet, muss sich der Reeder kaum Sorgen machen. Seinem Unternehmen droht in Deutschland keine Strafe, da hier nur gegen den verantwortlichen Seemann ermittelt wird. Der aber ist selten zu identifizieren. Folge: Fast immer werden die Ermittlungen eingestellt.

In 2006 etwa leiteten die Staatsanwaltschaften 124 Verfahren ein, dennoch es gab keinen einzigen Strafbefehl. Von 57 Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg 56 ein, da der Täter unbekannt war. Aber auch der eine Fall, in dem der mutmaßliche Verursacher ermittelt werden konnte, wurde eingestellt, da ein Tatnachweis nicht geführt werden konnte.

Einzige Maßregelung: Anzeige von Ordnungswidrigkeiten

Die "schärfste" Waffe gegen Ölsünder ist bisher das Ordnungswidrigkeitenrecht. So verhängt das BSH Bußgelder wegen nicht ordnungsgemäß geführter Tagebücher, mit denen Schiffe den Verbleib von Öl als Betriebsstoff oder Ladung dokumentieren müssen oder wegen verbotener Rohrleitungen. Hinter diesen Verstößen verbergen sich häufig illegale Einleitungen von Ölrückständen in das Meer. Die Höhe der Bußgelder beträgt im Schnitt 1000 Euro.

Und das, obwohl verölte Vögel nur die sichtbare Wirkung der schleichenden Ölpest sind, unter der das gesamte Ökosystem Meer leidet. Angesichts der ökologischen Folgen, ist die Höhe der Bußgelder lächerlich niedrig, meint Hans von Wecheln von der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste.

Auch wenn sie ausnahmsweise zahlen müssen, sparen Schiffseigner, denn die reguläre Ölentsorgung im Hafen kostet bei einem großen Schiff ebenso viel. Dazu kommt die Zeit, die das Schiff zusätzlich im Hafen verbleiben muss, um das Schweröl abpumpen zu lassen. Manch skrupelloser Reeder scheint da eine dreckige Rechnung auf zu machen: "Je öfter ich illegal entsorge, spare ich natürlich entsprechend Geld, dann ist mein Profit entsprechend größer", beschreibt Polizeihauptkommissar Bruhn das Motiv der Verantwortlichen.

Verbot Schweröl als Treibstoff

Das Problem ließe sich aus der Welt schaffen, würde Schweröl als Treibstoff verboten. Zwar hat die Internationale Seeschifffahrtsorganisation 2008 beschlossen, dass Schiffe bis 2020 vom schwefel- und rückstandsreichen Schweröl auf saubere Destillate umstellen sollen. Verpflichtend ist das aber nicht. Solange die Verbrennung von Schweröl erlaubt ist, helfen nur schärfere Strafen für die Reeder, wie sie im Ausland längst üblich sind.

Da Öleinleitungen hierzulande kaum geahndet werden, haben sie für die Täter bisher den Charakter eines Kavaliersdelikts. Anders im Ausland: So verhängten US-Gerichte bereits mehrfach abschreckende Strafen in zweistelliger Millionenhöhe. Und Frankreich hält sich im Zweifelsfall an die Kapitäne und verhängt Strafbefehle auch bei "relativ dünner Beweislage", wie BSH-Justiziar Rolf von Ostrowski weiß.

Geeignete Saktionsmaßnahmen erforderlich

Der deutsche Gesetzgeber hält jedoch am Individualstrafrecht fest. Kritiker fordern seit Jahren die Einführung strafrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten auch für körperschaftlich strukturierte Unternehmen. Dann könnten auch die Reeder bestraft werden, wie es im anglo-amerikanischen Rechtskreis längst üblich ist.

Ende Mai beschloss das EU-Parlament eine „Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt“. Sie sieht vor, dass künftig auch Unternehmen als Ganzes verurteilt werden können. Doch die Industrie-Lobbys leisten Widerstand gegen eine Umsetzung in deutsches Recht. Auch der Bundesrat äußerte sich in einer Stellungnahme ablehnend: Die Kommission habe die Erforderlichkeit strafrechtlicher Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes "nicht hinreichend nachgewiesen“.

Autor: Güven Purtul

Stand: 11.05.2012 13:06 Uhr

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