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Rettung für die letzten Fische

Weltweit sind die Fischbestände im Meer von Überfischung bedroht – neu ist dieses Problem nicht. In europäischen Gewässern ist die EU für den Schutz der Fischpopulationen zuständig und versucht ihn mit Fangquoten und strengen Fischereirichtlinien in die Tat umzusetzen.

Aber durch einen Denkfehler im System werden Jahr für Jahr tonnenweise Fische als so genannter Beifang auf See tot wieder zurück ins Meer geworfen – sogar kostbarer Speisefisch, den man genauso gut auf den Markt bringen könnte. Ein gemeinsames Projekt von Fischern und Fischereibiologen will jetzt diese widersinnige Praxis stoppen.

Gut gemeint ist nicht immer gut

Die Vorschriften der EU für die Fischerei sind streng: Jedes Jahr werden den einzelnen Kuttern oder Erzeugergemeinschaften ihre Fangquoten für die verschiedenen Fischarten erteilt. Dazu kommen immer neue Verordnungen welche Kutter wann, wie lange, wo und mit welchen Netzen und Maschenweiten fischen dürfen. Fische, die kleiner sind als die erlaubte Mindestgröße und Fische, für die ein Kutter seine Fangquote schon ausgeschöpft hat dürfen die Fischer nicht an Land bringen. Diesen Fisch „müssen“ sie über Bord werfen. Eigentlich soll diese Maßnahme die Bestände schützen.

Nur hat man dabei dummerweise übersehen, dass Anlanden und Fangen nicht dasselbe ist. Denn Fische, die einmal im Netz und später an Bord der Schiffe gelandet sind, sind durch die Fangprozedur meist so schwer verletzt, dass sie nur sterbend oder tot wieder zurück ins Meer gelangen.

Im Moment gilt: Nicht jeder Fisch zählt

Auf die Quote wird nur der Fisch angerechnet, den die Fischer in den Hafen bringen. Fische, die auf See tot über Bord gehen werden nicht einmal erfasst, sie werden ungesehen weggeworfen – und das teils in erheblichen Mengen. In der Krabbenfischerei können bis zu achtzig Prozent eines Hols "ungewünschter Beifang" sein, in der Kabeljaufischerei sind es üblicherweise um die fünfzehn Prozent.

Dabei handelt es sich nicht nur um Fischarten, die nicht gegessen werden. Auch kostbare Speisefische können darunter sein, falls der Kutter seine entsprechende Quote schon voll hat. Dazu kommt, dass Fischer auch ganz legal Speisefisch über Bord werfen dürfen, den sie nicht anlanden wollen, etwa weil er ihnen nicht wertvoll genug ist: Beispielsweise ein Netz voller Schollen, wenn der Kutter eigentlich auf die teureren Seezungen aus ist. Oder ein kompletter Hol Hering geht über Bord, weil das Echolot für den nächsten Hol größere, lukrativere Exemplare vorhersieht. Auch prächtige Dorsche, die nur dummerweise zu groß für die Filettiermaschinen sind, können auf diese Weise unregistriert als "unerwünschter Beifang" wieder über Bord gehen.

Stopp Discard – ein Projekt gegen den Beifang

Diese Praxis ist sträfliche Verschwendung, deshalb haben sich Fischer und Fischereibiologen von der Bundesforschungsanstalt für ein gemeinsames Projekt mit dem Namen "Stopp Discard" zusammengetan, auf Deutsch "Kein Beifang mehr!".

Sie sammeln Daten und Fakten, die beweisen sollen, dass verantwortungsvolle Fischerei auf die unsinnige Beifangregel verzichten kann.

Fangnetz mit Fluchtweg

Mit dabei im Projekt ist der Fischtrawler "Christine" aus Cuxhaven. Kapitän Hermann Karallus setzt auf seinen Projektfahrten zum Kabeljaufang ein Spezialnetz ein, mit größeren Maschen als vorgeschrieben und mit speziellen Fluchtfenstern für kleine Fische.

Der Erfolg gibt dieser Methode recht: Statt der üblichen 150 Kilogramm Beifang pro Tonne Fisch im Netz sind es hier nur zwischen zwei und sechs. Diese Fische gehen auch nicht über Bord: Die Fischer nehmen sie mit für die Fischmehlindustrie, denn als Speisefisch sind die Jungkabeljau und die anderen Fische im Beifang nicht zugelassen. Trotzdem werden die Tiere der Christine auf ihre Quote angerechnet.

Daten für die Forschung

Begleitet werden die am Projekt beteiligten Kutter immer auch von Fischereibiologen, die dann vor Ort nachvollziehen können, mit welchen Fangmethoden wie viel und welcher Beifang produziert wird. Für sie sind die Tiere im Beifang zudem eine wichtige Informationsquelle, um die Größe und Zusammensetzung der Fischbestände realistischer einzuschätzen.

Denn der weggeworfene Beifang taucht nur sporadisch in den Statistiken auf, und gerade bei manchen Jungfischbeständen ist die Datenlage lückenhaft.

Eigenverantwortung statt Verordnungswust

Forscher und Fischer des Stopp-Discard-Projekt schlagen vor, ihr Konzept auf die gesamte Fischerei zu anzuwenden. Das würde bedeuten: Ein Fischer müsste jeden Fisch, den er einmal im Netz hat, muss auch anlanden – nichts dürfte mehr über Bord. Falls er Fische fängt, für die er die Quote schon ausgeschöpft hat, würde dieser Fang auf die Quote des nächsten Jahres angerechnet. Auch zu kleine Fische würden dann auf die Quote zählen, selbst wenn sie nur zu Fischmehl verarbeitet werden dürfen.

Im Gegenzug bliebe es den Fischern selbst überlassen, mit welchem Fanggeschirr sie wann und wo fischen anstatt sie mit ständig neuen Verordnungen zu bombardieren. Mit dem Zwang, jeden Fisch mitzubringen und trotzdem die Quoten einzuhalten, so die Hoffnung der Projektteilnehmer, wäre nachhaltiges Fischen dann eine Frage der Rentabilität.

Die Fischer müssten ihre Erfahrung und Technik so einsetzen, dass ihnen möglichst nur Fische ins Netz gehen, für die sie noch Quote haben und die sie auch gut verkaufen können: Also nicht zu klein und nicht zu groß, möglichst auch nur die gewünschte Art. In ihrem eigenen Interesse würden sie Beifang vermeiden, denn der Frachtraum ist begrenzt, und Fisch für Fischmehl bringt vier Cent pro Kilo, Scholle aber um die 2,60 Euro. Und Meeresgetier, das gar nicht verwertbar ist, verursacht bei der Entsorgung an Land noch zusätzliche Kosten.

Autorin: Dr. Ismeni Walter

Stand: 11.05.2012 13:01 Uhr

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