So., 06.04.08 | 17:03 Uhr
Das Erste
Sind Sinne trainierbar?
Unsere Sinnesorgane leiten ständig Informationen an das Gehirn weiter: Farben, Geräusche, Gerüche, Temperatur und vieles mehr. Doch nur sehr wenig davon gelangt auf die Bewusstseinsebene.
Durch gezieltes Training ist es möglich, die Filterleistung des Gehirns so zu optimieren, dass mehr Informationen auf die Bewusstseinsebene vordringen, selbst wenn der auslösende Reiz sehr schwach ist.
Babys – Anfänger im Dauertraining
Gesunde Säuglinge haben eine perfekte Grundausstattung, um Sinnesreize aufzunehmen. Ihre Augen, Ohren und besonders die Geruchsrezeptoren in der Nase sind extrem empfindlich.
Doch nur sehr wenig von dem, was sie sehen, hören, fühlen oder riechen könnten, kommt auch auf der Bewusstseinsebene an. Das Gehirn von Neugeborenen muss erst noch trainiert werden. Es muss lernen, die Reize zu verarbeiten und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Der Sinnespförtner
Der Thalamus ist eine Region des Zwischenhirns, die Sinnesinformationen sortiert. Was die Augen sehen, die Haut fühlt, die Nase riecht, die Zunge schmeckt oder die Ohren hören – alles wird zunächst vom Thalamus bewertet und dann an die jeweilige Hirnregion weitergeleitet, in der der Sinneseindruck entsteht.
Beispiel: Während wir vor dem Computer sitzen und diesen Text lesen, leiten eine Vielzahl von Rezeptoren permanent Informationen an das Gehirn weiter. Druck (an Beinen, Po, Rücken und Füßen), Temperatur, Geruch, visuelle Signale, Geschmack im Mund. Doch auf der Bewußtseinsebene kommt fast nichts an. Weil diese Informationen für unser Wohlbefinden in diesem Augenblick irrelevant sind, sortiert der Thalamus sie aus. Eigentlich logisch: Diese Vielzahl von Informationen würde uns nur ablenken und das Gehirn überlasten. Schließlich konzentrieren wir uns gerade auf diesen Text.
Die Ausnahme: Der Geruchssinn
Geruch kann bei uns über zwei Wege wahrgenommen werden: Der Thalamus leitet die Information zur Riechrinde (olfaktorischer Cortex). Oder das limbische System umgeht den Thalamus und macht ebenfalls den Geruch bewusst.
Das limbische System ist für unsere Emotionen zuständig. Das kennt jeder: Man besucht den Ort seiner Heimat, riecht den Duft einer geliebten Person und bekommt ein spezifisches Gefühl oder eine Erinnerung mitgeliefert: Freude, Liebe, aber auch negative Emotionen können durch Düfte ausgelöst werden.
Das Training
Neugeborene und kleine Kinder trainieren und schärfen ihre Sinne jeden Tag aufs Neue. Aber auch Erwachsene sind in der Lage, die Qualität ihrer Sinnesleistung zu erhöhen. Wer zum Beispiel seine Liebe zum Wein entdeckt, kann anfangs noch sehr ungenügend Weinsorten voneinander unterscheiden. Erst im Laufe von vielen Jahren ist das Gehirn in der Lage eine Vielzahl von Geruchseindrücken (die Geschmacksleistung der Zunge spielt eine untergeordnete Rolle) in Nuancen zu unterscheiden.
Supernase für Raumluft
Und echte Supernasen können aus dieser Fähigkeit sogar einen Beruf machen: Zum Beispiel am Hermann Rietschel Institut in Berlin. Hier wird die Qualität der Raumluft von Arbeitsplätzen getestet.
Die abgepumpten Luftproben werden nicht etwa einer chemischen Laboranalyse unterzogen, sondern in einen geruchsfreien Raum geleitet. Nach ausgiebigem Training können die Experten Luftproben viel besser als Maschinen bewerten. Ihr Geruchssinn ist in der Lage, komplexe chemische Verbindungen aufzuspüren, sogar solche, die im Labor unter der Nachweisgrenze liegen.
Besser Sehen lernen
Auch die Sehleistung kann man verbessern: Es gibt eine Zusatzausbildung für Optiker: der Funktionaloptometrist. Diese Augentrainer helfen Menschen mit Sehschwächen, aber auch Sportlern, die ihre schon gute visuelle Leistung noch verbessern wollen.
Dieses Augentraining ist in Wirklichkeit ein Hirntraining, denn das, was wir sehen, ist nur das, was unser Gehirn daraus interpretiert. Durch das Training mit bewegten Objekten oder Spezialbrillen, die den Blick verzerren, werden die Bereiche im Gehirn neu justiert und auf relevante Informationen geschärft.
Besser Hören lernen
Schwerhörigkeit ist eigentlich ein mechanisches Problem: Die Sinneszellen gehen altersbedingt oder durch zu hohen Schalldruck zugrunde.
Trotzdem ist es möglich auch diese Hörleistung durch Konzentrationsübungen zu verbessern: Beispielsweise Dirigenten, die über viele Jahre hohen Schallbelastungen ausgesetzt sind, sind trotzdem im räumlichen Hören besser als andere Personengruppen gleichen Alters. Durch tägliches Training können sie auch geringe Lautstärken besser lokalisieren – sehr wichtig in ihrem Beruf.
Auch Schwerhörige, die zum ersten Mal ein Hörgerät erhalten, müssen dessen Benutzung erst einmal lernen: besser gesagt ihr Gehirn. Denn die Töne sind dank Hörgerät zwar wieder laut, aber sie müssen neu sortiert werden – in wichtige Geräusche und unwichtige.
Lebenslanges Training
Genauso wie man Sinne trainieren kann, so können sie auch nachlassen. Denn das Schärfen der Sinne fordert unsere Konzentration. Wichtig ist vor allem, ein abwechslungsreiches, neugieriges Leben. Wer den ganzen Tag vor dem Computer oder dem Fernseher sitzt, gibt dem Thalamus zu wenig Aufgaben und die Gehirnbereiche werden nicht gefordert. Wer aber immer Augen und Ohren offen hält, der befindet sich damit schon im Training seiner Sinne.
Autor: Uwe Leiterer
Adressen & Links
Uwe Seese
Augenoptikermeister und Funktionaloptometrist
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Tel.: 030 - 31 42 41 70
Fax: 030 - 31 42 11 41
e-mail hri@tu-berlin.de
Literatur
Die Sinnes-Werkstatt
Autorin: Ulrike Berger
Verlag: Velber
1. Auflage, Januar 2005
ISBN-10: 3898582817
ISBN-13: 978-3898582810
Sehen muss man lernen
Autor: Uwe Seese
Verlag: Books on Demand
1. Auflage, Januar 2005
ISBN 978-3-8334-9852-7
Stand: 07.10.2013 17:09 Uhr