So., 06.12.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
CO2 im Untergrund
Kohlekraftwerke gelten als Klimakiller: Mehr als zehn Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) emittiert ein einziges Großkraftwerk. Dennoch versprechen die Energieversorger klimafreundlichen Strom aus Kohle. Möglich machen soll es CCS - Carbon Capture and Storage, übersetzt: Einfangen und Verbunkern von Kohlendioxid.
Kühne Vision
Das CO2 soll aus den Kraftwerksabgasen abgeschieden und anschließend unterirdisch entsorgt werden. Mit Lkws oder per Pipeline soll das Treibhausgas in dafür geeignete Regionen gelangen. Durch eine Tiefbohrung soll es unter hohem Druck in poröse Sandsteinschichten eingeleitet werden. Darüber liegende Ton- oder Gipsschichten sollen verhindern, dass das CO2 wieder an die Oberfläche gelangt.
Ziemlich viele Konjunktive, denn bisher ist diese kühne Vision kaum erforscht. Von "Versuchsballon" bis "geologische Zeitbombe" lautet die Bewertung der Idee durch Umweltschützer. Dennoch soll sie nach dem Willen der EU-Kommission "wesentlich dazu beitragen", die globalen Klimaschutzziele zu erreichen. Laut einer EU-Direktive muss der Bundestag bis Juni 2011 ein Gesetz zur CO2-Speicherung verabschieden. Gleichzeitig stellt die EU über eine Milliarde Euro für CCS-Demonstrationsprojekte zur Verfügung.
Klimafreundliche Kohlekraftwerke?
Ohne die Option zur CO2-Abscheidung hat die Kohleverstromung in Europa ein Legitimationsproblem, das haben die großen Energieversorger erkannt und eine Lobbyorganisation gegründet: das Informationszentrum "klimafreundliches Kohlekraftwerk" (iz Klima). Geschäftsführer Michael Donnermeyer wirbt offensiv für die unterirdische Speicherung des Treibhausgases. Sie soll die Zukunft der Kohleverbrennung sichern: "Wir brauchen CCS, weil wir die CO2-Emissionen so drastisch senken müssen, dass wir alle Wege begehen müssen, um diese Emissionsreduktion hinzubekommen." Vor allem aufstrebende Länder wie China und Indien würden weiterhin Kohle verbrennen. "Dort sind große Kohlevorräte."
Abscheidung funktioniert
Die Abscheidung des CO2 im Kraftwerk ist technisch problemlos realisierbar. Drei Verfahren stehen zur Auswahl, wie Jürgen-Friedrich Hake, CCS-Experte vom Forschungszentrum Jülich, erläutert: Bei der "Pre Combustion Capture" werde die Kohle vor der Verbrennung vergast. Doch obwohl die Technik sehr alt sei, gebe es mit ihr kaum Erfahrungen, da sie kaum zum Einsatz komme.
Bei der "Oxyfuel"-Technologie wird das CO2 während der Verbrennung abgeschieden. Die Kohle wird in reinem Sauerstoff verbrannt, wodurch Abgas entsteht, das fast ausschließlich aus CO2 und Wasserdampf besteht. Davon lässt sich das CO2 leicht abtrennen. "Allerdings erfordert diese Technik völlig andere Verbrennungsabläufe und der Sauerstoff muss bereitgestellt werden", sagt Hake. Vattenfall erprobt Oxyfuel im Versuchskraftwerk "Schwarze Pumpe", das der Konzern mit finanzieller Unterstützung der EU gebaut hat.
Die Abscheidung nach der Verbrennung ("Post Combustion Capture") ist am besten erforscht, meint Hake. Schon heute werden die Abgase von Kohlekraftwerken durch eine Rauchgaswäsche gereinigt. Unerwünschte Stoffen, wie etwa Schwefelverbindungen, werden chemisch herausgefiltert. Für die Abtrennung des CO2 wird die Rauchgaswäsche um eine weitere Waschkolonne ergänzt. "Das Verfahren ist leicht beherrschbar, da der Kraftwerkprozess nicht verändert werden muss". Zudem sei es als einziges auch nachrüstbar.
Doch auch die Rauchgaswäsche von CO2 wird hierzulande nur im Labor oder in kleinen Versuchsanlagen erkundet. RWE testet sie im Kohlekraftwerk Niederaußem. Dort werden aber verhältnismäßig mickrige 300 Kilogramm CO2 pro Stunde abgetrennt.
Verbrennung in reinem Sauerstoff
Wesentlich größer dimensioniert ist die Oxyfuel-Versuchsanlage von Vattenfall. Das Kraftwerk "Schwarze Pumpe" erzeugt pro Jahr zehn Millionen Tonnen CO2. Die 70 Millionen Euro teure und 30-Megawatt starke Pilotanlage soll der Perfektionierung der Abscheidetechnik dienen. Vorgesehen ist ein fünfjähriger Forschungsbetrieb, der weitere 40 Millionen Euro kosten wird. "Es wird Tests mit Braunkohle aus dem Tagebau Lausitz in verschiedenen Qualitäten geben", wie Vattenfall-Sprecher Damian Müller betont. Später seien auch Tests mit Steinkohle und Biomasse geplant. Die stündlich abgetrennten neun Tonnen CO2 würden bisher jedoch vollständig in die Atmosphäre entlassen. Immerhin sei der Nachweis gelungen, dass sich 90 Prozent des CO2 abscheiden lassen.
Hoher Energiebedarf für CCS
"Eine Abscheidung von 80 bis 90 Prozent des CO2 ist möglich", sagt der Jülicher Experte Jürgen-Friedrich Hake. "Doch je mehr ich abscheiden will, desto teurer wird das". Die Erzeugerpreise für Strom aus Kohle könnten sich durch CCS verdoppeln, denn die Technologie ist aufwändig und ihr Betrieb verbraucht viel Energie. So steigen etwa die Investitionskosten um circa 50 Prozent: Statt einer Milliarde für ein modernes 800-MW-Kohlekraftwerk wären also 1,5 Milliarden Euro fällig.
Den Ausstoß einer Tonne CO2 zu vermeiden koste auf diese Weise 30 bis 45 Euro, schätzt Hake. Viel zu teuer, denn an der Börse kosten Verschmutzungsrechte für eine Tonne CO2 derzeit 15 bis 20 Euro. "CCS kommt nur dann ins Spiel, wenn die Politik sehr scharfe Minderungsziele formuliert", sagt Hake. Würde die zulässige Obergrenze für CO2-Emissionen abgesenkt, stiegen diese Preise. 2020 könne die Wirtschaftlichkeitsschwelle erreicht werden.
Mehr statt weniger Treibhausgas
Doch die hohen Kosten sind nur ein Problem. Durch CCS sinkt auch die Effizienz, mit der Kraftwerke Brennstoff in Strom verwandeln. Statt heute etwa 45 Prozent bei modernen Kohle- und knapp 60 Prozent bei Gaskraftwerken wären es mit CCS zehn Prozentpunkte weniger. "Dann muss ein bisschen mehr Kohle eingesetzt werden, dessen CO2 man dann wieder einfangen kann", sagt der iz Klima-Geschäftsführer Donnermeyer. Im Klartext: Für den "sauberen Kohlestrom" müsste etwa 30 Prozent mehr Kohle verbrannt werden als in herkömmlichen Kraftwerken.
Durch CCS entsteht mehr Kohlendioxid, das wiederum entsorgt werden muss. Für den Transport des Gases zu den Speichern sind riesige Leitungsnetze notwendig. Wichtig sei, dass das CO2 ohne Wasserzusatz ohne Verunreinigungen etwa durch Wasser transportiert werde, sagt Hake, "wenn Pipelines korrodieren, wird es teuer". "Das kann man durch eine Trocknung am Ende der Abscheidung bewerkstelligen", meint Donnermeyer.
CO2-Pipeline nach Norddeutschland
Der RWE-Konzern möchte eine Pipeline vom geplanten Versuchskraftwerk in Hürth bei Köln bis in den Norden von Schleswig-Holstein bauen, wo er geeignete Speicher vermutet. Kritik kommt vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), denn das Störfallrisiko soll offenbar von Ländern und Kommunen getragen werden. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt die CO2-Speicherkapazität in Deutschland auf 12 bis 28 Milliarden Tonnen. Das soll für eine ganzen Kraftwerksgeneration reichen, also bis etwa 2050. Vor allem saline Aquifere, also salzwasserführende Sandsteinschichten in Nord- und Ostdeutschland, eigneten sich für die Entsorgung des Treibhausgases.
Massiver Widerstand der Bevölkerung
Die Bewohner der betroffenen Gebiete sehen das anders. Tausende protestieren gegen die geplante CO2-Endlagerung, blockieren Straßen, schreiben Leserbriefe, Bürgerinitiativen entstehen. Nach 30 Informationsveranstaltungen in Friesland und im Kreis Schleswig-Flensburg hat RWE diese Form der Öffentlichkeitsarbeit aufgegeben. "Uns hat die starke Reaktion überrascht", sagt Derek Mösche von RWE-DEA, "wir sind da in die Defensive geraten." Ohne die Akzeptanz der Bevölkerung werde man da nicht weit kommen.
Viele Bürger erzürnt vor allem, dass die Konzerne für die geplanten Speicher maximal 30 Jahre bis nach ihrer Schließung haften wollen. "Ob dann ein Unternehmen noch besteht?", erwidert Michael Donnermeyer. Es gebe schließlich einen Haftungsfonds, "wo für Risiken dann eingezahlt werden muss und im Übrigen geht’s dann erst in die Staatshaftung über, wenn die Dichtigkeit nachgewiesen ist".
Ist die Einlagerung sicher?
Doch lässt sich die Dichtigkeit überhaupt zweifelsfrei nachweisen? Im brandenburgischen Ketzin wird die unterirdische Einlagerung vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam erprobt. Täglich bringen mehrere Tanklaster je 20 Tonnen flüssiges CO2 nach Ketzin. Nicht etwa aus der Versuchsanlage, sondern in Sprudelwasserqualität. Zwei Tanks dienen als Zwischenspeicher. Von dort wird es mit Pumpen auf einen zur Injektion nötigen Druck gebracht, verdampft und dann mittels einer Tiefbohrung in eine poröse Sandsteinschicht in 630 Meter Tiefe eingeleitet. "Zwischen den einzelnen Sandkörnern befinden sich Poren und in diese Poren speichern wir das CO2 ein", erläutert GFZ-Ingenieur Fabian Möller. "20 bis 40 Prozent des CO2 werden allein durch die physikalischen Kräfte im Untergrund gehalten". Und der Rest? "Wird zurückgehalten durch abdichtende Tonschichten und Gipsschichten, die oberhalb dieses Speichers liegen".
In Ketzin entweicht bisher kein CO2. Meist zeigen die Messgeräte auf dem Gelände Werte um 0,17 bis 0,18 Volumenprozent an, wie sie in Atemluft normal sind. "Unsere Alarmsensorik ist auf die Hälfte der maximalen Arbeitsplatzkonzentration eingestellt, also 0,25 Volumenprozent", sagt Möller. Für den Menschen gefährlich werde es erst bei Konzentrationen um vier Prozent.
Doch die Forscher beobachten die Lagerstätte genau. Ein Netz von Messgeräten kontrolliert, ob CO2 aus dem Boden entweicht. Zusätzliche Bohrungen erlauben es den Wissenschaftler, den Weg des CO2 im Untergrund zu verfolgen und so Erkenntnisse über die Dynamik im Untergrund zu gewinnen. Doch diese lassen sich nicht ohne weiteres auf geplante Großspeicher übertragen. Gerade mal 60.000 Tonnen CO2 sollen in Ketzin eingepresst werden. Dabei emittieren allein die RWE-Kraftwerke jährlich 120 Millionen Tonnen. "Für diesen Standort und für die prinzipiellen Prozesse können wir sicherlich belastbare Aussagen geben, aber wir sind auch der Meinung, es muss dann in Zukunft noch größere Forschungsprojekte mit größeren Speichermengen geben", sagt Möller. Wie lange der Speicher dicht sein wird, können die GFZ-Forscher nicht sagen. "Sie können so etwas nur mit Modellen und Computersimulationen untersuchen, weil man bei der CO2-Speicherung über sehr lange Zeitskalen redet: Über 100, über 1.000, über mehrere 1.000 Jahre," so Möller. "Das ist nichts, was man mit einem Versuch abhandeln kann, sondern das muss im Rechner simuliert werden."
Der langfristig sichere Verschluss der Bohrungen ist ein weiteres Problem: "Da gibt es etablierte Standardverfahren aus der Erdöl-, Erdgastechnik, die aber sicherlich auf CO2 anzupassen sind", sagt Möller. "Man nimmt normalerweise Zement, den man in die Bohrlöcher einfüllt." Doch wenn sich CO2 in Wasser löst, entsteht Kohlensäure und die kann mit dem Zement reagieren. "Da ist zu klären, wie schnell solche Reaktionen ablaufen und ob Zement prinzipiell das geeignete Material ist oder ob man andere Materialien zum Verschluss einsetzen muss."
Donnermeyer sieht da kein Problem: "Das wird einer der Punkte sein, wo man dann hinterher beobachten muss, und die Bohrlöcher sind dann einer der Punkte, wo dann ein CO2-Messgerät drübersteht und meldet, wenn was da rauskommen sollte." Für den Fall der Fälle gebe es ja einen Haftungsfonds.
Gegenargumente
Ob dies die protestierenden Anwohner überzeugt? Noch ist unklar, ob sich die unterirdische Speicherung als sicher erweisen wird. Großtechnisch einsetzbar ist die Technik ohnehin frühestens 2020.
Bis dahin könnte Strom aus erneuerbaren Energiequellen günstiger sein als aus Kohlekraftwerken mit CCS. Doch die unterirdische CO2-Speicherung würde die Nutzung der erneuerbaren Energiequelle Geothermie verhindern. Auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag räumte die Bundesregierung ein: "Es ist davon auszugehen, dass auf den Flächen, die durch CO2-Speicher belegt sind, keine geothermischen Nutzungen mehr möglich sind".
CO2 nutzen statt verbuddeln
Die Dechema Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie plädiert dafür, CO2 nicht als "Abfall" zu lagern, sondern sinnvoller zu nutzen. In einem Positionspapier zu "Verwertung und Speicherung von CO2" plädiert der Chemiker-Verband für eine Nutzung des Gases als Baustein bei der Herstellung von höherwertigen Produkten und Kraftstoffen.
Da dies nur für einen kleinen Teil des weltweit produzierten CO2 ausreicht, käme zusätzlich eine Speicherung unter dem Meeresboden in Betracht. Besonders vielversprechend sei die Methangewinnung aus Methanhydraten unter Einlagerung von CO2. Nicht zuletzt sei die mineralische Carbonatbildung aufgrund ihrer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz aufgrund der unproblematischen Speicherprodukte, weiterzuverfolgen.
Fazit
All diese Ansätze sind bisher kaum erforscht. Doch auch die Kenntnisse über Risiken der CCS-Technologie sind erstaunlich dürftig. Die Studien zu ihrer Praxistauglichkeit im großen Maßstab werden wohl erst in einigen Jahren vorliegen. Unabhängig von ihrem Ergebnis dürften die geplanten Kohlekraftwerke bis dahin längst in Betrieb sein - mit oder ohne CCS.
Adressen & Links
Eine Seite, die die unterirdische Speicherung ausführlicher erklärt:
www.klimaplattform.de
Das IZ Klima-Informationszentrum klimafreundliches Kohlekraftwerk e.V. engagiert sich für die Verbreitung von Informationen über die Chancen und Potenziale der CCS-Technologie:
www.iz-klima.de
Der Energieversorger RWE wirbt auf seinen Seiten für seine Klimaschutzprojekte:
www.rwe.com
Autor: Güven Purtul (NDR)
Stand: 12.11.2015 15:12 Uhr