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Lieber den Spatz in der Stadt...

Ein Spatz.
Ein Spatz | Bild: dpa

Lange galt er als Allerweltsvogel: Der Spatz, genauer: der Haussperling. Er ist ein Kulturfolger und verbreitete sich mit dem Menschen fast über die ganze Welt. Doch in Europa passiert etwas Unheimliches mit dem Spatzen. Er verschwindet aus den europäischen Großstädten. Vogelforscher sind besorgt.
„In London ist der Haussperling fast ausgestorben“, weiß Jörg Böhner, Ornithologe an der Technischen Universität Berlin. „Hamburg verzeichnet einen Rückgang von mehr als 50 Prozent. Massiv ist das Verschwinden auch in anderen westdeutschen Städten wie Düsseldorf, Köln oder Dortmund. Es scheint sich um ein allgemeines Phänomen zu handeln.“

Innenstädte werden zur Wüste

Doch was sind die Gründe für das Verschwinden der Haussperlinge?
Es scheint eng zu werden für den Spatz in den pulsierenden Citys. Moderne Innenstädte sind eine Wüste aus Asphalt, Beton und Glas. Das ohnehin schon seltene Grün wird in vielen Städten penibel kurz gehalten. In den Parks wachsen immer häufiger exotische Gewächse. Eine Umgebung, in der Spatzen nur wenige Insekten finden. Die erwachsenen Tiere sind zwar Allesfresser, für ihre Brut jagen sie aber zarte Fliegen und Insektenlarven. Denn der Nachwuchs braucht zum Wachsen tierisches Protein.
Ein anderes Problem für den Haussperling sind die glatten Fassaden von Neubauten. Hier finden die Vögel nicht die kleinste Höhle oder Ritze. Als Gebäudebrüter sind sie auf solche Hohlräume aber angewiesen.
Auch in alten Gebäuden verschwinden diese Brutplätze, wenn Fassaden saniert oder wärmegedämmt werden. „Kommunen sollten darauf achten, dass der Haussperling genügend Brutplätze hat“, empfiehlt Jörg Böhner.

Berlin, Hauptstadt der Spatzen

Auf innerstädtischen Brachflächen findet der Spatz noch genug Futter.
Auf innerstädtischen Brachflächen findet der Spatz noch genug Futter | Bild: BR

Interessanterweise ist Deutschlands größte Stadt gleichzeitig auch die an Spatzen reichste. Im vergleichsweise armen Berlin finden Haussperlinge noch viele Brachflächen mitten in der Innenstadt. Verwilderte Flächen, in denen sie Insekten und lockeren Sand für ihre Staubbäder finden. Auch gibt es hier noch viele unsanierte Gebäude mit Ritzen und Höhlen, in denen Haussperlinge nisten können.
Der Berliner Senat achtet bei Bauvorhaben zudem stark darauf, dass Bauherren die Vorschriften des Naturschutzgesetzes einhalten. Besteht der Verdacht, dass durch eine Sanierung Brutplätze verloren gehen könnten, schickt die Naturschutzbehörde ornithologische Gutachter auf die Baustellen der Hauptstadt.

Gutachter schützen Spatzenbrut

Sonja Kübler ist eine solche Gutachterin. Auf einer Baustelle in Berlin-Charlottenburg untersucht sie jede kleine Ritze auf Vogelnester. Und tatsächlich: Die Ornithologin findet ein Haussperlingsnest. Ab jetzt müssen die Bauarbeiter eine Schutzzone um das Nest einhalten. Im Umkreis von einem Meter dürfen sie nicht weiterbauen, bis hier die letzten Sperlinge flügge sind. Das kann allerdings dauern, denn Haussperlinge brüten bis zu dreimal in einem Jahr. So kann die Brutzeit von April bis September dauern – und damit auch der Baustopp rund ums Nest.

Ersatzquartiere für den Haussperling

Brutkasten für den Haussperling.
Brutkasten für den Haussperling | Bild: BR

Nach der Brutzeit dürfen die Bauarbeiten weitergehen. Verlassene Nester darf der Bauherr sogar wegnehmen oder zumauern. Aber nur unter einer Bedingung: Er muss für die Spatzen Ersatz schaffen. In Form von Nistkästen oder hohlen, als Bruthöhle geeigneter Mauersteine. Für jeden Brutplatz, der durch die Sanierung zerstört wird, muss mindestens ein neuer Ersatznistplatz aufgehängt werden. Doch werden diese Nisthilfen von den Spatzen auch angenommen?
Sonja Kübler kontrolliert eine ehemalige Baustelle. Ein altes Lagerhaus an der Spree wurde zu einem Möbelhaus umgebaut. In der einst löchrigen Ziegelfassade nistete früher einen ganze Spatzenkolonie. Heute hängen hier zwölf Nistkästen mit Platz für insgesamt 36 Brutpaare. Sonja Kübler ist zufrieden. Viele der Kästen sind besetzt. Spatzen fliegen munter ein und aus. Das Brutgeschäft ist in vollem Gange. Die Bemühungen Berlins zum Schutz seiner Haussperlinge scheinen erfolgreich zu sein. Und so könnte die Hauptstadt der Spatzen auch zum Vorbild für andere Großstädte in Europa werden. Das würde nicht nur Vogelkundler wie Jörg Böhner freuen: „Eine Stadt ohne Vögel wäre langweilig. Man kann es auch anders sagen: Es würde ein Stück Lebensqualität mit Sicherheit fehlen. Und das empfinden sehr viele Leute so.“

Adressen & Links

Informationen zum Spatz auf der
Informationen zum Nistkästen-Bau beim NABU Berlin. berlin.nabu.de

Internetseite des Naturschutzbundes Deutschland (NABU).
www.nabu.de

Autor: Frank Nischk (WDR)

Stand: 17.05.2013 09:38 Uhr

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