So., 03.05.09 | 17:03 Uhr
Das Erste
Nimm dies! – Antivirale Strategien
Schnelles Handeln gefordert
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht klar, ob einem Patienten mit Mexiko-Grippe von ärztlicher Seite geholfen werden kann, oder ob sein Körper ganz allein mit dem Virus kämpfen muss. Beim Verdacht auf die Grippe muss aber auf alle Fälle so früh wie möglich medikamentös eingegriffen werden. Prof Stephan Ludwig vom Institut für Molekulare Virologie in Münster zur Dringlichkeit: "Man muss mit dem Medikament, das derzeit in den Apotheken zu bekommen ist, Tamiflu, mindesten 48 Stunden nach der Infektion behandeln, sonst hat es überhaupt keine Wirkung mehr. Und dann kann es auch die Infektion nur reduzieren und nicht verhindern."
Medikamente und ihre Wirkweise
Die zurzeit wichtigsten Präparate sind das zu inhalierende "Relenza" und "Tamiflu" in Tablettenform. Beide greifen in den Vermehrungsprozess der Viren ein: Normalerweise bleiben neu gebildete Viren an der Zellwand des Wirtes kleben. Mit dem zangenartigen Enzym Neuraminidase befreien sich die Viren und gehen ihrer eigentlichen Aufgabe nach: Verteilen und unkontrolliert vermehren. 100.000 Viren - pro Zelle.
Die Medikamente Relenza und Tamiflu sind sogenannte Neuroaminidasehemmer. Ihr Wirkstoff blockiert den Selbstbefreiungsmechanismus des Virus'. So kann es sich nicht mehr von den Zellen des Wirtes lösen, die Verbreitung im Körper wird gestoppt.
Risiken bei Tamiflu-Einnahme
Vor der Behandlung soll ein Schnelltest klären, ob es sich überhaupt um eine Grippe handelt. Doch auch ohne positives Ergebnis bekäme der Patient Tamiflu zum Schlucken. Allerdings macht eine prophylaktische Einnahme über einen längeren Zeitraum laut Prof. Stefan Ludwig keinen Sinn: "Bei Tamiflu gibt es auch offensichtlich ausgeprägte Nebenwirkungen. Das geht hin bis zu vermuteten Fällen, bei denen es zu psychiatrischen Veränderungen kommt, zu Wesenseintrübungen. Das hat man in Japan beobachtet. Auf jeden Fall ist das Nebenwirkungsprofil so geartet, dass man auf keinen Fall längere Zeit prophylaktisch vorgehen sollte."
Hinzu kommt: Die Viren mutieren so schnell, das sie bisher noch mit jedem Medikament zurecht gekommen sind. Sie umgehen den Angriff durch Veränderung und werden resistent. Prof. Ludwig erklärt, dass das bei Tamiflu zwar einige Zeit gedauert hat, dafür die Resistenzen jetzt immer häufiger auftreten. Er glaubt, dass der direkte Angriff auf den Erreger der falsche Weg sei, denn Resistenzen entwickeln sich einfach zu schnell. Stattdessen plädiert er dafür, schon bei der Entwicklung des Medikaments darauf zu achten, dass die Strategie so gewählt wird, dass Resistenzen möglichst vermieden werden.
Antivirale Wirkung der Cistrose
Die Forscher in Münster haben das versucht und sind fast zufällig auf einen Pflanzenextrakt aus der Cistrose, einer Heilpflanze aus dem Mittelmeerraum, gestoßen. Die rote Lösung enthält Polyphenole, die den Viren überhaupt nicht schmecken. Das haben Tierversuche und klinische Studien mittlerweile bewiesen, so Prof. Ludwig: "Der Wirkmechanismus ist ganz interessant, weil die Bestandteile des Pflanzenextraktes das Virus quasi blockieren und das Andocken der Viren an die Zelle, also in eine Frühphase der Infektion eingreifen. Der große Charme ist natürlich die prophylaktische Anwendungsmöglichkeit." Man kennt diese Extrakte in der traditionellen Medizin in Südeuropa seit Jahrhunderten, ohne dass Nebenwirkungen bekannt wären. Das scheint ermutigend, doch diese Forschung ist erst am Anfang. Bis so ein Wirkstoff als Medikament unsere Virenabwehr stärken könnte, werden noch mindestens zehn Jahre ins Land gehen.
Autor: Uwe Leiterer
Stand: 02.08.2013 09:03 Uhr