So., 12.12.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Das Hirn trinkt mit
Macht Kaffee wirklich wach? Oder ist die belebende Wirkung reine Einbildung, ein Placeboeffekt? Und warum scheinen manche Menschen ohne Koffeinschub am Morgen überhaupt nicht in die Puschen zu kommen? Forscher aus Österreich und Großbritannien sind der Kaffeetasse bis auf den Grund gegangen.
Warum Kaffee belebend wirkt
Um die wichtigste Frage gleich zu Anfang zu klären: Ja, Koffein hat eine belebende Wirkung, denn es greift auf raffinierte Weise in unsere Hirnchemie ein.
Man kann sich die Nervenzellen unseres Gehirns wie kleine Dampfmaschinen vorstellen. Je angestrengter wir denken oder unser Gehirn durch andere Aufgaben belasten, desto mehr Leistung müssen die Zellen bringen. Aber genau wie Maschinen kann unser Denkapparat nicht ununterbrochen auf Höchstleistung laufen. Deshalb hat unser Körper einen chemischen Sicherheitsmechanismus: Wenn das Gehirn auf hohen Touren läuft, schüttet er beständig einen Stoff namens Adenosin aus. Das Adenosin dockt an verschiedenen Nervenknotenpunkten an und signalisiert den Gehirnzellen "Tempo drosseln". Die Folge: Wir werden müde.
Koffein unterbricht diesen Mechanismus. Denn das Koffein dockt in unserem Körper an genau denselben Stellen (sogenannten Rezeptoren) an, die normalerweise vom Adenosin belegt werden. Und ohne das Adenosin bleiben wir erst einmal länger leistungsfähig. Genau genommen macht Kaffee also nicht wach, er hält wach.
Koffein und Kurzzeitgedächtnis
Wie wirkt sich dieser Koffeineffekt auf unsere Leistungsfähigkeit aus? Um das herauszufinden, unternahm eine Forschergruppe um den Radiologen Florian Koppelstätter aus Innsbruck einen interessanten Versuch: 16 Probanden, die alle ähnliche körperliche Voraussetzungen mitbrachten, unterzogen sich speziellen Konzentrationstests, während ihr Kopf von einem Magnetresonanztomographen gescannt wurde. Jeder Teilnehmer machte die Tests zwei Mal an verschiedenen Tagen. Einmal nahm er vor dem Test Koffein zu sich, einmal ein Placebo. Weder der Kandidat noch der testende Radiologe wusste, wann welches Mittel verabreicht wurde.
Das Ergebnis der Untersuchung: Während der Tests unter Koffeineinfluss zeigte das Gehirn einen erhöhten Sauerstoffverbrauch in den Bereichen, in denen das menschliche Kurzzeitgedächtnis angesiedelt ist. Und auch die Reaktionszeiten der Kandidaten während der Tests waren in den meisten Fällen etwas kürzer. Die Wissenschaftler folgerten daraus, dass Koffein eine positive Wirkung für unser Kurzzeitgedächtnis mit sich bringt.
Koffein als Hirndoping?
Kaffee hält also länger wach und unterstützt das Kurzzeitgedächtnis. Können wir darum alle unsere geistige Leistungsfähigkeit steigern, indem wir möglichst viel Kaffee trinken? Leider ganz im Gegenteil!
Eine Studie unter Führung des Departments of Experimental Psychology an der Universität Bristol belegt das eindeutig. Fast 400 Teilnehmer unterzogen sich dort ebenfalls verschiedenen Tests ihrer geistigen Fähigkeiten und genau wie in Innsbruck mal mit, mal ohne Koffein im Blut. Aber anders als in Innsbruck war die Testgruppe nicht homogen, sondern versammelte Vielkaffeetrinker und Wenigkaffeetrinker.
Das verblüffende Ergebnis:
Bei den Wenigkaffeetrinkern (null bis drei Tassen pro Tag) zeigten sich in den Testergebnissen keine großen Auswirkungen des Koffeins. Die Kandidaten fühlten sich etwas belebter, aber sie lösten ihre Tests nicht besser oder schneller als ohne.
Ganz anders die Vielkaffeetrinker (sechs Tassen und mehr). Sie zeigten in den Tests tatsächlich unter Koffein eine deutlich bessere geistige Leistung – nur dass diese Leistung nicht höher war als die, die für jemanden, der noch nie Kaffee getrunken hat, normal ist. Bei den Tests ohne Koffein hingegen hatten die Vieltrinker erhebliche Ausfallerscheinungen. Sie waren unkonzentriert, fühlten sich zerschlagen oder hatten Kopfschmerzen.
Der Grund: Koffein-Entzugserscheinungen, so Peter Rogers, Leiter der Studie.
Das Gehirn schlägt zurück
Die Erklärung, von der zurzeit die meisten Forscher ausgehen: Wenn zu viel Koffein unseren Körper durchflutet, wehrt er sich. Ständig mit Hochleistung zu arbeiten, wäre schädlich für unser Gehirn, doch die Notbremsfunktion ist durch das Koffein blockiert.
Unsere Nervenzellen schaffen Abhilfe, indem sie zusätzliche Rezeptoren bilden, an denen Adenosin stattdessen andocken kann. Die Bremse greift wieder. Aber es gibt einen Nebeneffekt: Durch die zusätzlichen Rezeptoren ist nun ständig so viel Adenosin angedockt, dass das Gehirn gewissermaßen mit angezogener Handbremse in den Tag startet. Erst nach dem ersten Kaffee des Tages bessert sich das ein wenig, wenn Koffein und Adenosin ihre Balance in der Hirnchemie finden. Das Koffein macht also nicht wirklich fit, sondern hebt nur die Entzugserscheinungen auf.
Trotzdem muss sich niemand Gedanken über seinen Koffeinkonsum machen. "Vier bis fünf Tassen am Tag sind völlig harmlos", sagt Peter Rogers. Aber auch den Vieltrinkern rät er eher zu bewusstem Umgang mit Koffein als zu Abstinenz. "Kopfschmerzen und Müdigkeit sind schon das Schlimmste, was an Entzugserscheinungen zu erwarten ist. Und auch die treten bei vielen nur am Wochenende auf, wenn sie plötzlich weniger Kaffee trinken als unter der Woche im Büro. Da ist es klüger, jeden Tag gleich viel Kaffee zu konsumieren."
Autor: Thomas Wagner (NDR)
Stand: 05.08.2015 11:13 Uhr