So., 10.10.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Pomologe
Rasterfahndung in der Streuobstwiese
Seit zwei Sommern ist Hans-Thomas Bosch im Allgäu unterwegs, auf der Suche nach alten verschollenen Apfelsorten. Im letzten Sommer hat er an die 80 Sorten gefunden, von denen niemand ahnte, dass sie im Allgäu noch wachsen. Wie zum Beispiel den 'Hügelsharter Gravensteiner', den 'Welschmotzer' oder den 'Moringer Rosenapfel'.
Das Allgäu ist eine traditionsreiche Kulturlandschaft mit vielen alten Streuobstwiesen. Nur die wenigsten Bauern aber wissen noch, welche Apfelsorten auf ihrem Grund und Boden wachsen. Mit der abnehmenden wirtschaftlichen Bedeutung ist dieses Wissen verloren gegangen. Dabei vermutet man im Allgäu mit die ältesten Obstbäume in Deutschland und damit auch noch viele verborgene Schätze. Und Hans-Thomas Bosch soll sie heben. Er ist ein Apfeldetektiv, ein Pomologe. Und er hat den Auftrag, das Allgäu und seine Apfelbäume zu kartieren, um die vielen verschiedenen Apfelsorten erhalten zu können.
Bestimmung der Apfelsorten
Zur Bestimmung der Sorten braucht der Pomologe auf jeden Fall die Frucht. Der Baum allein sagt kaum etwas über die Identität der Sorte. Dabei geht er wirklich wie ein Detektiv vor. Zuerst die äußere Beweisaufnahme: Hauptsächlich Farbe und Form sind für Hans-Thomas Bosch interessant. Eigenschaften, bei denen auch der Laie mit einiger Übung Unterschiede erkennt. Schwieriger wird es aber schon beim Stengel. Die Länge und Form sind hier Merkmale, die je nach Sorte variieren können. Auch die Form des Kelches und die Art, wie die Apfelhaut im Kelch berostet ist, gibt Hinweise auf die Identität des Apfels.
Nach der äußeren Beweisaufnahme folgt die 'Obduktion'. Dazu muss Hans-Thomas Bosch den Apfel aufschneiden. Farbe und Geruch des Fruchtfleisches werden untersucht und auch wie schnell der Apfel braun wird, wenn Sauerstoff an das Fruchtfleisch kommt und es oxidiert. Interessant ist auch die Äderung rund um das Kernhaus.
Eine Kernsammlung für den Vergleich
"Immer, wenn ich mir nicht auf Anhieb sicher bin, wird es für mich interessant. Dann habe ich höchst wahrscheinlich eine sehr seltene Sorte in Händen", sagt der Apfeldetektiv. Allerdings können die Merkmale von Äpfeln je nach Witterung in einem Jahr und je nach Höhenlage unterschiedlich ausfallen und variieren. Eine Tatsache, die auch einen erfahrenen Apfeldetektiv in die Irre führen kann. In solchen Fällen hat der Pomologe aber noch einen Trumpf im Ärmel. Seine "Kernsammlung" ist auf jedem Streifzug durch die Landschaft mit dabei. Es ist ein Ordner in dem die Kerne von 500 Apfel- und Birnensorten archiviert sind. Denn egal ob viel oder wenig Regen, egal in welcher Höhenlage der Baum Früchte trägt, die Kerne behalten immer die gleiche Gestalt. Sie verändern sich nie: ideal für eine 'Gegenüberstellung'. Durch den Vergleich der Kerne kann Hans-Thomas Bosch fast immer zweifelsfrei eine Sorte bestimmen. Ergänzen betreibt er noch Recherchen in Jahrhunderte alten Gartenbau-Zeitschriften und Büchern. Denn meistens sind die Apfelsorten weit gereist und über Generationen weiter gegeben worden.
Der Doppelte Prinzenapfel – angepasst ans raue Allgäu
Während unserer Dreharbeiten ist Hans-Thomas Bosch auf einen Apfel gestoßen, den er vereinzelt schon einige Male im Allgäu angetroffen hat. Es ist der "Doppelte Prinzen Apfel". Der ist für Bosch in so fern interessant, weil er offenbar wunderbar mit dem raueren Klima des Allgäus zurechtkommt. Außerdem wurde bei ihm auch noch eine Toleranz gegen Feuerbrand entdeckt, einer durch ein Bakterium verursachten Krankheit, die sich seuchenartig ausbreiten kann.
Hat der Apfeldetektiv eine Sorte mit auch noch wertvollen Eigenschaften eindeutig identifiziert, dann ist es höchste Zeit, sie ein für allemal dingfest zu machen.
Genetische Datenbank für alte Sorten
Und das geschieht am Kompetenzzentrum für Obstanbau Bodensee (KOB) in Ravensburg. Der Apfel landet im Labor. Hier wird sein genetischer Fingerabdruck analysiert und gespeichert. Ziel ist eine Datenbank, die die Bestimmung und den Abgleich von Sorten in ganz Europa erleichtern soll. Denn oftmals gibt es für ein und dieselbe Sorte unterschiedliche Namen. Ein genetischer Fingerabdruck kann diese Irrtümer aufklären. Außerdem, wenn ein genetischer Fingerabdruck existiert, dann können Sorten auch mit anderen Teilen der Pflanze und nicht nur mit der Frucht bestimmt werden. Der Aufbau dieser Datenbank ist aufwändig. Aber schließlich könnte die Rasterfahndung in der Streuobstwiese auch wirtschaftliche Vorteile haben. "Momentan bewegen wir uns bei der Züchtung neuer Apfelsorten innerhalb eines sehr engen genetischen Potenzials", erklärt Dr. Ulrich Mayr vom KOB. "Die alten Sorten haben eine Fülle von Farben und Formen und unterschiedlichste Geschmacksnuancen. Zusätzlich verfügen manche über Robustheiten und Resistenzen, die wir vielleicht noch gar nicht alle kennen. Und deswegen können solche alten Apfelsorten für die Zukunft in der Züchtung wichtig sein."
Auf dem Gelände der KOB gibt es deshalb auch einen Sortenerhaltungsgarten. In Reih und Glied stehen hier neu entdeckte und altbekannte Sorten auf der Flur. Bis dato sind es 400 verschiedene Sorten aus dem Bodenseeraum und dem Allgäu. 1.000 Sorten sollen es einmal werden. Eine Arche alter Apfelsorten, die für die Züchtung bereit gehalten wird, aber auch jetzt schon ihren Zweck erfüllt. Denn die Experten von der KOB wollen, dass die alten, vom Verschwinden bedrohten Apfelsorten wieder in die Landschaft kommen. "Deshalb arbeiten wir mit Kommunen zusammen, die zum Beispiel Ausgleichsflächen ausweisen müssen und darauf Streuobstwiesen anlegen wollen. Wir beraten sie dann, welcher Apfel für die Lage geeignet ist", sagt Mayr.
Der Doppelte Prinzen Apfel wäre wohl ohne die Arbeit von Hans-Thomas Bosch irgendwann aus dem Allgäu verschwunden und damit vielleicht für immer verloren gewesen. So kann er künftig vielleicht noch weitere Streuobstwiesen schmücken oder auch den einen oder anderen Züchter verlocken.
Adressen & Links
Stiftung Kompetenzzentrum Obstbau-Bodensee
Schuhmacherhof 6
88213 Ravensburg-Bavendorf
Tel.: (0751) 79 030
Fax: (0751) 79 03 322
Dr. Ulrich Mayr
Fachbereichsleiter Sorten und Öko-Anbau
Tel.: (0751) 79 03 301
E-Mail: mayr(at)kob-bavendorf.de
BelleFleur
Hans-Thomas Bosch Dipl.-Ing.agr. (FH)
Am Göhren 10
88662 Überlingen-Andelshofen
Tel.: (0175) 14 33 366 oder (07551) 30 94 82
E-Mail: bellefleur.bosch(at)t-online.de
Autor: Herbert Hackl (BR)
Stand: 23.04.2013 09:33 Uhr