So., 28.11.10 | 17:03 Uhr
Das Erste
Tod der Fledermäuse
Es begann im Winter des Jahres 2006. Im Norden des Staates New York flogen Fledermäuse am helllichten Tag umher. Sie erschienen geschwächt und orientierungslos, prallten gegen Hauswände und Autos. Tierliebhaber sammelten einige auf und versuchten sie durch den Winter zu päppeln, aber Fledermäuse lassen sich nur schwer in Gefangenschaft halten. Sie verendeten, genauso wie Hunderte ihrer Artgenossen draußen. Den eisigen Temperaturen dieser Jahreszeit waren sie nicht gewachsen. Die Wissenschaftler standen vor einem Rätsel. Woher kamen die Fledermäuse zu dieser Jahreszeit? Sie sollten eigentlich in ihren Höhlen sein und Winterschlaf halten. Was Wissenschaftler der staatlichen ‚Wildlife-Behörde’ schließlich in einem Winterschlafquartier sahen, war schockierend: Tausende toter Fledermäuse lagen auf dem Boden der Höhle.
Ein Pilz als Hauptverdächtiger
Mittlerweile hat sich dieses rätselhafte Phänomen in fünf Staaten im Nordwesten der USA und bis nach Kanada ausgebreitet, schätzungsweise 1,5 Millionen Tiere sind verendet. Innerhalb eines Jahrzehnts könnte die Hälfte der Fledermausarten im Nordwesten der USA aussterben. Der Grund für den Tod der Fledermäuse ist nach wie vor unklar. Dr. Beth Buckles von der Cornell Universität hat die ersten toten Tiere obduziert, ihr Befund: ein weißer Pilz an Schnauze und Flügel der Tiere. Außerdem waren sie abgemagert. Das rätselhafte allerdings: Die Fledermäuse zeigten keinerlei Reaktion of den Pilz. Bei Pilzinfektionen reagiert normalerweise das körpereigene Immunsystem und versucht den Pilz zu bekämpfen – deswegen jucken Fußpilz und andere Pilzinfektionen. Es konnte auch kein Gift entdeckt werden, das der Pilz abgesondert hat, oder irgendeine Veränderung im Körper der Fledermäuse festgestellt werden, die ihren Tod hätte erklären können.
Fledermäuse in der Kältekammer
Mittlerweile hat sich ein landesweites Netzwerk gebildet, um das Fledermaussterben zu erforschen. Denn wieso ein Pilz, der keinerlei Wirkung auf den Körper der Fledermäuse zu haben scheint, die Tiere umbringen kann, ist ungewöhnlich. Dr. DeeAn Reeder von der Bucknell Universität in Pennsylvania ist Teil dieses Netzwerkes und studiert den Winterschlaf der Fledermäuse. Sie befestigt Temperaturfühler auf den Rücken der Tiere und lässt sie in Kühlkammern überwintern, während sie sie mit Infrarotkameras beobachtet. Ihr Ergebnis: Tiere, die mit dem Pilz infiziert sind, wachen häufiger auf als ihre gesunden Artgenossen.
Jedes Tier, das Winterschlaf hält, wacht von Zeit zu Zeit auf, um zu trinken und die Körperfunktionen zu regulieren, aber das kostet Energie und damit Fettreserven. Deswegen darf es nicht zu oft geschehen. Die mit dem Pilz infizierten Tiere verbrauchen also durch das häufige Aufwachen zu schnell ihre Fettreserven und verlassen wahrscheinlich deshalb schon im Februar ihre Winterschlafhöhle auf der verzweifelten Suche nach Nahrung. Dr. Reeder hat aber noch etwas anderes festgestellt: Bei niedrigen Temperaturen und geringer Luftfeuchtigkeit sind die Überlebenschancen der Tiere besser – der Pilz wächst unter diesen Bedingungen schlechter. Lüftungsschächte in einige Winterschlafhöhlen einzubauen und somit Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Höhlen zu senken, könnte also eine Strategie sein, um das Fledermaussterben zu stoppen.
Der Effekt des Klimawandels
Vielleicht ist der Pilzbefall aber auch nur ein Symptom eines viel größeren Problems. Ein Pilzbefall ist normalerweise nur ein Zeichen dafür, dass der Organismus aus einem anderen Grund sehr geschwächt ist. Dasselbe ist zum Beispiel auch bei Menschen der Fall, die eine Chemotherapie hinter sich haben. Weil ihr Immunsystem geschwächt ist, sind sie besonders anfällig für eine Pilzinfektion. Bei den Fledermäusen ist allerdings vollkommen unklar, was die Fledermäuse so geschwächt haben könnte.
Eine Theorie besagt, dass es mit dem Klimawandel zu tun hat. Und das hängt wiederum mit der Nahrung der Fledermäuse zusammen: den Insekten. Durch leichte Veränderungen in den Durchschnittstemperaturen über Sommer und Herbst hinweg, könnten sich die Insektenpopulationen verändern. Das heißt, bestimmte Insekten schlüpfen nun zu anderen Zeiten als bisher und die Fledermäuse können sie nicht länger als Nahrungsquelle nutzen. Schlechte Ernährung könnte bei den sensiblen Fledermäusen dazu geführt haben, dass sie angreifbarer für den Pilz geworden sind. Das Zusammenspiel zwischen Jäger und Beute hat sich schließlich über Jahrtausende hinweg entwickelt. Es zu verstehen ist nicht leicht und es zu beeinflussen noch viel schwieriger. Dennoch, der Aufwand könnte sich lohnen, denn Fledermäuse fressen jeden Sommer Unmengen an Insekten und nehmen eine Schlüsselrolle im Ökosystem (und der Landwirtschaft) ein. Wenn sie verschwinden würden, würde dies unabsehbar Auswirkungen haben.
Fachausdrücke
Geomyces Destructans
Der Pilz auf den Fledermäusen wurde auf den Namen Geomyces Destructans getauft. Destructans deutet dabei auf seine vermutlich todbringende Wirkung hin. Es ist eine neue Pilzart in Nordamerika, Wissenschaftler nehmen an, dass der Pilz entweder aus einem anderen Pilz entstanden ist – also mutiert – oder aus Europa eingeschleppt wurde. In Westeuropa ist seit den 1980er Jahren ein ganz ähnlicher Fledermauspilz bekannt. Ob sie wirklich identisch sind, ist jedoch noch unklar, denn in Europa führt er nicht zu einem solchen Fledermaussterben.
Autor: Dennis Wells (WDR)
Stand: 07.11.2014 08:32 Uhr