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Abgegrast - Gnu-Wanderung in Afrika

Ein Gnu
Eine afrikanischen Legende besagt: Das Gnu wurde aus lauter "Ersatzteilen" geschaffen. | Bild: HR

Die Serengeti, mitten im Herzen Afrikas. Mit knapp 15.000 Quadratkilometern ein Gebiet etwa so groß wie Schleswig-Holstein. Hier findet man die weltweit höchste Konzentration an Raubtieren. Löwen, Geparde, Hyänen und auch Krokodile wissen ganz genau, wann und wo ihre Beute auftauchen wird. Denn einmal im Jahr kommt es im Hochland Tansanias, der südöstlichen Serengeti, zu einem großen Schauspiel. Gnus so weit das Auge reicht.

Die afrikanische Kuhantilope hat so gar keine Ähnlichkeit mit der grazilen Gazelle, die immerhin eine nahe Verwandte ist. Einer afrikanischen Legende zufolge soll Gott das Gnu aus lauter "Ersatzteilen" geschaffen haben. Dabei hatte er wohl eine glückliche Hand, denn Gnus sind ausgesprochen zähe Langstreckenwanderer. Und das müssen sie auch sein, denn die Gnus der Serengeti sind ihr ganzes Leben lang auf Wanderschaft. Sie sind die Hauptdarsteller der "Great Migration" - der größten Tierwanderung der Welt.

Die große Wanderung – einmal Kenia und zurück

Karte Afrikas
Die Gnuherde (braun) wandert kreisförmig von Tansania über die Serengeti und wieder zurück. | Bild: HR

Gnus fressen fast ausschließlich Gras, und wenn ein Weideplatz abgefressen ist, ziehen sie weiter. Getrieben durch einen uralten Instinkt machen sich rund 1,3 Millionen Gnus und gut 300.000 Zebras und Gazellen auf den Weg zu neuen, frischen Grünflächen. Anfang des Jahres zieht die riesige Herde aus dem Hochland Tansanias in Richtung Westen. Zwischen April und Mai erreichen sie das Zentrum der Serengeti, durchqueren den Grumeti-Fluss, ziehen weiter in Richtung der Masai Mara in Kenia, um Ende des Jahres wieder in Tansania anzukommen. Eine gut 600 Kilometer lange Wanderung mit großen Gefahren!

Die Geburtswiese

Eine Hyäne schaut auf eine Gnuherde
Der Lebenszyklus der Raubtiere ist auf die Wanderung abgestimmt. | Bild: HR

Die Herde trifft immer mit den ersten Regenfällen im Hochland ein. Hier kommen sie kurzfristig zur Ruhe und bringen ihren Nachwuchs auf die Welt. Rund eine halbe Million Kälber werden innerhalb von etwa drei Wochen geboren. Dass hier die "Kinderstube" der Serengeti liegt, wissen auch die großen Jäger und warten auf ihre Chance. Löwen, Hyänen und Geparde sind territoriale Tiere. Sie sind davon abhängig, dass die Herde in ihrem Revier auftaucht. Würden die Huftiere ausbleiben, gäbe es keine Beute für sie und den eigenen Nachwuchs.

So ist auch der Lebenszyklus der Raubtiere an die große Wanderung gekoppelt. Während der Mensch dem Löwen, dem "König der Tiere", meist große Bewunderung entgegenbringt, werden Hyänen eher als hässlich und abstoßend empfunden. Eigentlich zu unrecht. Hyänen erfüllen eine äußerst wichtige Funktion in dem Zyklus von fressen und gefressen werden. Sie sind sozusagen "die Gesundheitspolizei" der Serengeti. Sie erlegen schwache und kranke Tiere, fressen Aas und verhindern dadurch die Ausbreitung von Krankheiten. Mit ihrem kräftigen Gebiss können sie sogar Knochen knacken und verspeisen. Geier spielen in diesem Kreislauf eine ganz ähnliche Rolle. Doch so viel Überfluss wie Anfang des Jahres herrscht nicht immer, denn wenn die Ebene abgegrast ist, beginnt die große Wanderung. Nach etwa drei Wochen sind die neugeborenen Jungtiere kräftig genug, um weiterziehen zu können.

Die größten Krokodile der Welt

Ein Krokodil
In den Flüssen lauern Krokodile auf die Tiere. | Bild: SWR

Gerade die Jungtiere der Gnus laufen Gefahr, die bevorstehenden Strapazen nicht zu überleben. Bei der Überquerung eines kleineren Flusses werden am Steilufer schwache oder junge Tiere oft zertrampelt oder kommen vom Weg ab. Doch wer mit der großen Herde nicht mitkommt, ist verloren. Es braucht vor allem eine große Portion Glück, um die Wanderung zu überleben.

Denn schon im nächsten Fluss lauert eine noch größere Gefahr: die größten Krokodile der Welt. Die bis zu sechs Meter langen Reptilien warten jedes Jahr auf das Eintreffen der Herde. Ohne diese Tierwanderung würden die Krokodile verhungern. Trifft die Herde später als üblich ein, verfallen die großen Räuber sogar in Kannibalismus und greifen ihre eigenen Artgenossen an. Für die Krokodile ist die Migration überlebenswichtig. Für die Gnus ist der Weg über den Fluss allerdings lebensgefährlich. Doch hinüber müssen sie. Auf der anderen Seite warten frische Weiden und Regenfälle. Sie haben nur eine Chance, den gierigen Mäulern der Krokodile zu entkommen. Mit waghalsigen Bocksprüngen versuchen sie, den Reptilien keine Angriffsfläche zu bieten.

Ein Highway durch die Serengeti

Grafische Darstellung des Highways
Der Highway hätte die Wanderroute der Tiere mehrmals zerschnitten. | Bild: HR

Doch die größte Bedrohung für die Tiere und der gesamten "Great Migration" geht vom Menschen aus. Die tansanianische Regierung plante genau durch das Gebiet der Großen Wanderung den Bau einer Autobahn. Der rund 500 Kilometer lange Highway sollte die Stadt Arusha im Osten mit Muoma im Westen Tansanias verbinden – und so wirtschaftlichen Fortschritt in den unerschlossenen Süden des Landes bringen. Ein solcher Bau hätte katastrophale Folgen. Die große Tierwanderung würde ständig mit dieser Straße kollidieren. Die Herden könnten von ihren traditionellen Routen abweichen, wichtige Wasserstellen verpassen, Menschen und Tiere bei Zusammenstößen verletzt oder getötet werden. Die bereits bestehende, unbefestigte Piste durch das Gebiet wird von den tierischen Bewohnern toleriert. Sie ist allerdings als Handelsweg ungeeignet.

Die größte Tierwanderung der Welt - gerettet?

Gnuherde
Keine Straße durch die Serengeti: Die Gnus haben erst einmal freie Bahn. | Bild: HR

Durch vehementen internationalen Protest konnte das Vorhaben Ende Juni 2011 verhindert werden. Man hat die Regierung Tansanias umstimmen können und plant jetzt eine Umgehungstrasse, die das Gebiet der großen Wanderung nicht tangiert. Vorerst scheint das weltweit einmalige Naturschauspiel gerettet zu sein. Doch wie lange es die größte Tierwanderung der Welt tatsächlich noch geben wird, bleibt ungewiss.

Autorin: Sabine Guth (HR)

Stand: 26.06.2015 08:51 Uhr

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