So., 18.09.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Wildkatzen on Tour
Etwa ein Meter lang sind die Dachlattenstücke, die die Forscher aus dem Auto holen. Mitten im Wald schlagen sie eines dieser rauen Holzstücke in den Boden ein und besprühen es mit Baldrianduft. Fertig ist der sogenannte Lockstock - eine zuverlässige Methode, um Wildkatzen anzulocken, denn diese lieben offenbar Baldrian. Sie reiben sich am Lockstock und hinterlassen dabei ihre Haare. Ein paar Tage später sammeln die Wissenschaftler diese Haare ein und bringen sie ins Labor.
Noch wissen sie wenig über die kleine europäische Raubkatze, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet wurde. Im Labor des Senckenberg-Instituts in Gelnhausen bei Frankfurt macht ein Forscherteam genetische Analysen der am Lockstock hängen gebliebenen Haare und erstellt eine Datenbank über Wildkatzenvorkommen in ganz Deutschland.
Wildkatzen sind keine Hauskatzen
Die Europäische Wildkatze ist nicht der Urahn unserer Hauskatze. Während der Vorfahre unserer Stubentiger, die afrikanische Falbkatze, erst vor etwa 2.000 bis 4.000 Jahren aus Ägypten nach Europa kam, lebte die europäische Wildkatze schon vor 300.000 Jahren in den Wäldern Mitteleuropas. Anders als die Hauskatze ist die Wildkatze kaum zähmbar. Sie ist ein reiner Fleischfresser. Ihr Gebiss ist kräftiger, ihr Fell dichter und das Gehirn größer als das der Hauskatzen. Äußerlich erkennbar ist sie am dicken, verwaschenen Fell und am buschigen Schwanz mit einem stumpfen schwarzen Ende und drei deutlich abgesetzten schwarzen Ringen. Sie ist äußerst scheu - selbst Wildkatzenforscher bekommen sie selten zu Gesicht - und sie ernährt sich fast nur von Mäusen. Umso erstaunlicher, dass sie noch vor 100 Jahren den Ruf hatte, Hasen und Fasanen, Rebhühner und Rehkitze zu jagen und deshalb von den Jägern gnadenlos verfolgt wurde. Bis heute wird sie noch manchmal als "wildernde Hauskatze" illegal erlegt.
Wildkatzennachwuchs aus dem Gehege
Zwar steht die Wildkatze in Deutschland seit 1935 unter Naturschutz. Aber erst in den 1980er-Jahren wurden Naturschützer darauf aufmerksam, dass es in den Wäldern fast keine Wildkatzen mehr gab. 1984 begann der Bund Naturschutz in Bayern damit, aus Tierparks stammende Wildkatzen nachzuzüchten und auszuwildern. Aus den beiden Auswilderungsgehegen in Rothenbuch im bayerischen Spessart und in Wiesenfelden im Bayerischen Wald sind seither fast 600 Wildkatzen in die Freiheit entlassen worden.
Dort und in einigen anderen Waldgebieten haben die Wissenschaftler mit Hilfe ihrer Lockstockuntersuchungen und anderen Methoden - nicht zuletzt durch viele tot aufgefundene Wildkatzen - nachweisen können, dass die europäische Wildkatze in Deutschland wieder heimisch ist. Allerdings nur in wenigen Waldgebieten - die meisten von ihnen leben in den Mittelgebirgen wie Eifel, Hunsrück, Harz, Pfälzer Wald und im Nationalpark Hainich in Thüringen. Insgesamt sind es etwa 5.000 Exemplare. Das klingt nach viel, doch das Überleben der Art ist dennoch nicht gesichert. Der Grund: Die Waldgebiete sind von Straßen und Autobahnen zerschnitten und die einzelnen Reviere sind zu klein für eine gesunde Population. Die meisten fassen gerade mal 50 Wildkatzen. Für einen überlebensfähigen Bestand sind das aber viel zu wenig, wissen die Genforscher des Gelnhausener Senckenberg-Instituts. Denn so besteht die Gefahr der genetischen Verarmung.
Rettungsnetz Wildkatze
Eine Tierart wie die Europäische Wildkatze hat kaum eine Chance zu überleben, wenn ihre Lebensräume weiterhin so klein und isoliert bleiben. Abhilfe schaffen soll das "Rettungsnetz Wildkatze". Der Leiter des Projekts, der Biologe Thomas Mölich vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Thüringen, fordert ein Netz von Wanderwegen für Wildkatzen, um die isolierten Waldgebiete in Deutschland miteinander zu verbinden. Mit Hilfe der Daten von Wildkatzenforschern aus ganz Deutschland haben Forscher errechnet, wo diese Wege verlaufen müssten. So ist ein Wildkatzenwegenetz von insgesamt 20.000 Kilometern Länge entstanden - allerdings bislang nur im Computer.
In der Realität ist jeder Meter mit neu gepflanzten Büschen und Bäumen, und jeder neue grüne Korridor von einem Waldgebiet ins nächste das Ergebnis zähen Ringens mit Bauern und Verwaltungen. Nach sieben Jahren gibt es zwei neue Korridore. Doch Thomas Mölich verliert den Mut nicht: "Wir haben 40.000 Kilometer Autobahnen, das hat auch eine Weile gedauert, bis wir das hatten. Wir brauchen ja auch nicht 20.000 Kilometer gepflanzte Korridore, sondern nur die Gesamtlänge der verbundenen Wälder muss so lang sein, damit die wichtigsten Waldgebiete in Deutschland wieder miteinander in Verbindung stehen."
Grünbrücken über Autobahnen
Noch aufwendiger sind Brücken über Autobahnen, die so angelegt sein müssen, dass sie von wandernden Tieren genutzt werden können. Eine solche Brücke muss mindestens 50 Meter breit sein, damit sie von mehreren Tierarten angenommen wird, und muss so gebaut sein, dass es den Tieren gar nicht auffällt, dass sie eine Brücke überqueren. Wichtig sind auch die Zäune, die entlang der Straße verlaufen müssen, damit die Tiere die Brücke überhaupt finden. Für Katzen müssen solche Zäune aufwendiger konstruiert werden als für andere Tiere.
Eine Grünbrücke kostet somit zwischen einer und drei Millionen Euro. Doch nur beim Neubau oder der Verbreiterung bestehender Autobahnen ist der Bau einer Grünbrücke Pflicht. Dabei profitieren auch die Autofahrer von Wildbrücken, denn sie könnten die Zahl der Unfälle reduzieren - allein 2009 gab es 2.800 Verletzte bei Unfällen mit Wildtieren, 13 Menschen wurden getötet.
Naturschützer wie Thomas Mölich fordern, keine neuen Straßen zu bauen, die die Lebensräume wilder Tiere weiter zerschneiden, und so viele grüne Korridore und Grünbrücken wie möglich anzulegen, damit eine echte Vernetzung der tierischen Wanderwege entstehen kann.
Adressen
Bund für Umwelt und Naturschutz
Projektleiter Thomas Mölich
Projektbüro Wildkatze
Postfach 1108
Hauptstraße 98 (Schloss)
99820 Hörselberg-Hainich
Tel.: (036254) 85 962
Fax: (036254) 85 964
E-Mail: wildkatze(at)bund.net
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum
Abteilung Limnologie und Naturschutzforschung
Standort Gelnhausen
Clamecystraße 12,
63571 Gelnhausen
Tel.: (06051) 61 95 43 111
Über Wildkatzen
Revier
In ihrem Revier sind Wildkatzen auf liegen gelassenes Totholz und Altbäume angewiesen, da sie ihre Jungen am liebsten in Baumhöhlen zur Welt bringen. Als Versteck und Schlafplatz nutzen sie aber auch Reisighaufen, Hecken, Baumstümpfe und Felsspalten. In Wäldern, aus denen sämtliches Restholz zur Verwertung als Biomasse herausgeholt wird, können Wildkatzen nicht überleben.
Verhalten der Wilkatzenmütter
Wildkatzenmütter lassen ihre Jungen oft mehrere Stunden allein, etwa wenn sie auf die Jagd nach Mäusen gehen. Wenn man junge Wildkatzen ohne Mutter im Wald findet, bedeutet das also nicht, dass die Mutter ihre Jungen im Stich gelassen hat. Oft wartet sie nur in einem Versteck ab, bis sich die Menschen wieder zurückgezogen haben.
Autorin: Susanne Delonge (BR)
Stand: 27.10.2015 11:42 Uhr