So., 20.03.11 | 17:05 Uhr
Das Erste
Atomkraft: eher Mauer als Brücke
Atomkraft und regenerative Energien in trauter Zweisamkeit, bis genug Solar- und Windkraftanlagen da sind und den Atomstrom überflüssig machen. So versucht die Politik, uns die "Brückentechnologie" Atomkraft schmackhaft zu machen. Doch Experten sagen: Es gibt nur ein "Entweder-Oder".
So prognostiziert es zum Beispiel Professor Olav Hohmeyer vom Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. Dass beide Energiesysteme sich ergänzen können, glaubt er nicht. "Diese Geschichte, dass beide gute Freunde sind, die stimmt nicht. Es geht bei der Weiterentwicklung des deutschen Energiesystems eindeutig darum: Setzen wir auf Regenerative, dann müssen wir jetzt raus aus der Kernenergie."
Atomkraft: "Ein bisschen laufen lassen, geht nicht"
Der Grund für das "Entweder-Oder" ist technisch bedingt. Kernkraftwerke können entweder laufen oder abgestellt werden. "Ein bisschen laufen lassen, geht nicht", erklärt Olav Hohmeyer: "Immer dann, wenn ein Kernkraftwerk ganz abgeschaltet werden muss – weil wir zum Beispiel viel Wind im Netz haben und das Kernkraftwerk eine gewisse Zeit steht – dann braucht es bis zu 50 Stunden, um wieder auf voller Leistung zu sein. Das heißt: Wenn der Wind nach 5 Stunden abnimmt, dann bräuchten Sie eigentlich wieder das Kraftwerk."
Doch das Atomkraftwerk ist nicht so flexibel. Deshalb liefern die Atomkraftwerke immer die gleiche Strommenge und stellen so die Basis der Stromversorgung in Deutschland dar. Der Strom, den die regenerativen Energien produzieren, ist dann häufig ein Überschuss.
Sinnvoll seien stattdessen schnell und leicht zu regulierende mittelgroße Kraftwerke, meint Energie-Experte Olav Hohmeyer. Gasturbinen etwa sind innerhalb von 15 Minuten wieder am Netz. Ebenfalls wichtig und geeignet für die Übergangszeit: Biogasanlagen und Blockheizkraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung. Mittelfristig müssten Anlagen entstehen, die die Energie über eine längere Zeit speichern können.
Für Energiekonzerne kein Anreiz für erneuerbare Energien
Solange die großen Energiekonzerne den Strom aus ihren bereits abgeschriebenen Kernkraftwerken verkaufen könnten, gibt es für sie wenig Anreize, in erneuerbare Energien, die Netze und flexible Kraftwerke zu investieren. Durch eine Laufzeitverlängerung könnte der - doch eigentlich gewollte - Umbau des Energiesystems ausgebremst werden, sagt Hohmeyer: "Erst bei einem Ausbau von mehr als 30 Prozent der Stromerzeugung von Wind und Sonne kommen wir zu einer Situation, wo die Kernkraftwerke auch wirklich abgeschaltet werden müssen. Also gibt es großes Interesse für die Kernkraftbetreiber zu sagen: Lasst das doch auf einem niedrigeren Niveau. Damit behindern sie aber den nötigen Ausbau."
Also ist die Atomkraft doch keine Brücke in das Zeitalter der Erneuerbaren Energien? Für Deutschland wäre das eine verpasste Chance. Denn noch sind wir Marktführer. Wird der Ausbau gebremst, geraten wir womöglich ins Hintertreffen. Wirtschaftlich, ökologisch und klimapolitisch.
Autor: Anja Galonska (HR)
Stand: 01.10.2014 16:10 Uhr