So., 20.03.11 | 17:05 Uhr
Das Erste
Mit Nebel gegen die Terrorgefahr?
Das Kernkraftwerk Biblis. Einer der ältesten und umstrittensten deutschen Meiler. Er steht im Oberrheingraben, einer seismisch aktiven Zone. Schon beim Bau wurde auf eine "ausreichende Erdbebensicherheit" der Anlage geachtet.
Doch was ist wirklich ausreichend? Nicht erst seit der Reaktorkatastrophe in Japan sieht der Nuklearexperte Wolfgang Renneberg die Sicherheitsreserven hiesiger Atomkraftwerke kritisch. Der Leiter des Büros für Atomsicherheit macht eine einfache Rechnung auf. "Wenn in Japan ein Erdbeben eintritt, was etwa zehn Mal so hoch ist wie das, was man eigentlich für noch grade eben wahrscheinlich betrachtet hat, dann muss das natürlich auch Konsequenzen haben für andere Standorte. Warum sollen nicht auch dort Erdbeben stattfinden, die weit oberhalb der Grenzen sind, die man bislang zu Grunde gelegt hat."
Auch im Süden Deutschlands sind Erdbeben möglich. So muss beispielsweise entlang des Oberrheingrabens mit schweren Erschütterungen gerechnet werden. In den betroffenen Gebieten stehen acht der 17 deutschen Atomkraftwerke.
Terror-Szenarien
Doch Gefahr droht auch aus der Luft. Nach dem 11. September zeigte sich schnell, dass die Attentäter auch Atomkraftwerke im Visier hatten. Der Hamburger Terrorhelfer Mounir al-Motassadeq hatte sogar das Kraftwerk Stade besucht, wie aus der Besucherliste hervorgeht.
Der Physiker Heinz Smital von Greenpeace kennt ein geheimes Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit, in dem "terroristische Flugzeugabsturzszenarien auf deutsche Kernkraftwerke" untersucht wurden. "Wenn ein großes Verkehrsflugzeug mit hoher Geschwindigkeit auf ein altes Kraftwerk fliegt, dann kann das Reaktorgebäude der Wucht dieses Aufpralls in keiner Weise Stand halten. Es ist davon auszugehen, dass es zu einer Kernschmelze mit offenem Containment kommt. Das ist also der größte anzunehmende Unfall. Es wird sehr viel Radioaktivität frei, die auch noch in einigen zig Kilometern eine Dosis hat. Allein durch das Atmen der Luft."
Taktik: Vernebelung
Das Umweltministerium von Baden-Württemberg bezweifelt, dass ein Atomkraftwerk mit einem Flugzeug angepeilt werden kann. Auf Anfrage hin heißt es: "Ein bodennahes Ziel in der richtigen Höhe mit einem großen Flugzeug zu treffen, ist selbst für erfahrene Flugzeugpiloten nur schwer möglich."
Das stimmt so nicht, meint die Pilotenvereinigung Cockpit. Für einen erfahrenen Piloten sei es kein Problem, ein Ziel in der Größe eines Atomkraftwerks anzufliegen. "Wir steuern letzten Endes am Ende jedes Fluges, nämlich bei der Landung, eine Landebahn an. Dort versuchen wir auch, einen bestimmten Punkt zu treffen, der relativ klein ist – und schaffen das auch. Es ist also nicht richtig, dass ein erfahrener Pilot ein so großes Ziel wie ein Atomkraftwerk nicht treffen kann."
Betreiber und Genehmigungsbehörden setzen daher auf Vernebelungsanlagen. In einigen Kernkraftwerken wie hier in Biblis sind die Nebelwerfer bereits installiert. Sie sollen den Reaktor im Ernstfall mit einer künstlichen Wolke einhüllen, so dass Piloten es schwerer hätten, ihr Ziel zu treffen. Doch der Nebel hüllt nur das eigentliche Reaktorgebäude ein, so dass sich Attentäter auch an den Kühltürmen orientieren könnten. Nicht zuletzt könnten sie aber auch einfach den Autopiloten nutzen.
Abfangjäger sollen helfen
Die Kritik an ihrem Sicherheitsmanagement prallt an den Ländern ab. Das Umweltministerium von Baden-Württemberg verweist gar auf den Einsatz von Abfangjägern der Luftwaffe. Mit ihnen sei die Möglichkeit eines frühzeitigen Eingreifens gegeben. Dabei wurde der Abschuss einer entführten Passagiermaschine höchstrichterlich verboten. Wolfgang Renneberg kann auch nur spekulieren, wie die Abfangjäger helfen sollen: "Man könnte natürlich Abfangjäger dazu einsetzen, um angreifende Flugzeuge zu irritieren. Also indem man sich vor die Nase dieser Flugzeuge setzt und hofft, dass sie sich davon beeindrucken lassen. Das wird aber bei entschlossenen Terroristen meiner Ansicht nach nicht zum Erfolg führen. Die werden einfach geradeaus weiter fliegen."
Fazit: Auf die Bedrohung aus der Luft hat die Atomwirtschaft bisher keine Antwort gefunden. Sie bleibt ein Restrisiko. Eines von vielen.
Autor: Güven Purtul (NDR)
Stand: 06.11.2015 14:29 Uhr