So., 05.06.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Auwälder - mehr Platz für die Elbe
Die Elbe gilt als ein ruhiger Strom, der wegen seines geringen Gefälles die meiste Zeit des Jahres sanft und gemächlich vom tschechischen Riesengebirge bis in die deutsche Nordsee fließt.
Aber die Elbe kann auch anders. Unvergessen ist das Jahrhunderthochwasser 2002, in dem 21 Menschen ihr Leben verloren. Die Sachschäden waren immens: Die Kosten beliefen sich auf über neun Milliarden Euro. In der Folgezeit trat die Elbe immer wieder über ihre Ufer. Zwar lässt sich ein Elbhochwasser gut vorausberechnen - eine Flutwelle kündigt sich etwa zwei Tage vorher an. Machtlos sind die Anwohner trotzdem.
Hochwasser ist hausgemacht
Die Gründe für die vermehrten Hochwasser in Deutschland sind überall die gleichen: Der Klimawandel verursacht immer heftigere Regenfälle, und durch die Versiegelung der Böden - zum Beispiel durch geteerte Straßen - kann es schlechter abfließen. Wie viele Flüsse wurde auch die Elbe stark eingedeicht. So verläuft die Elbe über lange Strecken in einem regelrechten Korsett aus Deichen. 80 Prozent der natürlichen Überflutungsgebiete wurden der Elbe in den letzten 150 Jahren genommen.
Deiche auf dem Rückzug
In der Nähe Dessau, bei der kleinen Ortschaft Lödderitz, findet zurzeit die größte Deichrückverlegung Deutschlands statt - damit die Elbe mehr Platz bekommt. Der alte Deich soll durch einen neuen im Landesinneren ersetzt werden. Sobald der fertig ist, wird der alte Damm geschlitzt, das heißt geöffnet. Wenn eine Flutwelle kommt, wird die Elbe so mehr Platz haben.
Die Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) leitet das Projekt. Der Bund beauftragte den WWF 2001 mit dieser Aufgabe, denn die Deichrückverlegung nützt nicht nur dem Hochwasserschutz, erklärt die Projektleiterin Astrid Eichhorn: "Wir schlagen so zwei Fliegen mit einer Klappe. Die erste Fliege ist der Hochwasserschutz. Und die zweite Fliege ist der Naturschutz." Denn der ins Landesinnere verlegte, neue Deich wird vom Elbufer bis zu zwei Kilometer entfernt sein - der bereits vorhandene Auwald bekommt so mehr Raum. Die ehemals landwirtschaftlich genutzte Fläche wird aufgeforstet, hauptsächlich mit einheimischen Eichen. Allein bei Lödderitz entstehen so 600 Hektar Auwald neu.
Ein Wald wächst zusammen
Schon jetzt existieren an der Mittleren Elbe einige der schönsten Auwälder Deutschlands mit einer enormen Artenvielfalt. Allerdings darf die Elbe bisher nur an einzelnen Stellen über die Ufer treten. Mit dem WWF-Projekt soll entlang der Elbe zwischen Mulde- und Saalemündung ein 33 Kilometer langer, durchgehend überflutbarer Auenwaldverbund geschaffen werden - circa 2.500 Hektar groß. Das entspricht etwa der Größe von 3.500 Fußballfeldern.
Das Besondere an einem Auwald ist der ständige Wechsel zwischen Trockenheit und Überschwemmung. Nur spezialisierte Pflanzen können das überleben. In dem Auwald bei Lödderitz sind es vor allem die vielen Eichen, die diesen Wald einzigartig machen. Außerdem bietet das viele Wasser einen idealen Lebensraum für bedrohte Amphibien wie den Laubfrosch.
Das Projekt ist das größte, das der WWF je angepackt hat. Mitte der 1990er Jahre begannen die Planungen, im Frühjahr 2011 starteten die Bauarbeiten am Deich. Über 23 Millionen Euro wird das Projekt kosten. 90 Prozent übernehmen der Bund und das Land Sachsen-Anhalt. Zehn Prozent gibt der WWF aus Spendengeldern dazu. 2018 soll dann alles fertig sein.
Besorgte Anwohner
Die Deichverlegung ist kein einfaches Bauprojekt: Zurzeit klagen die Bewohner über die riesigen Staubwolken, die von den schweren Baumaschinen aufgewirbelt werden. Deswegen sollen die Zufahrtswege jetzt befeuchtet werden.
Außerdem wird der Deich an einige Ortschaften sehr nah heranreichen. Die Bewohner befürchten, dass sich ihre bereits bestehenden Probleme mit dem Grundwasser weiter verschärfen werden. Denn bei ihnen steht das Wasser auch ohne Deich seit einiger Zeit sehr hoch, viele haben feuchte Keller. Die Sorge ist nun: Wenn das Hochwasser durch den neuen Deich näher an die Ortschaften heranrückt, könnte das Grundwasser noch langsamer abfließen.
Astrid Eichhorn vom WWF nimmt die Bedenken der Anwohner ernst. Diese sind auch berechtigt, denn wenn das Hochwasser in die neuen Überflutungsgebiete kommt, wird es in einigen Bereichen lange stehen. Aber die Projektleitung garantiert: Es wird keine Verschlechterung geben. Ein zusätzliches Schöpfwerk soll das Grundwasser aus den umliegenden Ortschaften über den Deich heben, um den geplagten Anwohnern weitere Schäden zu ersparen.
Diesem Naturschutzprojekt geht es so wie vielen anderen: Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen den Anforderungen des Natur- und Artenschutzes und den Bedürfnissen der Anwohner.
Autorin: Jutta Henkel (BR)
Stand: 29.07.2015 11:28 Uhr