So., 30.01.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Brot – Fluch und Segen
Forschungsobjekt Brot? Für Dr. Marion Benz ist "unser täglich Brot" nicht einfach nur ein Grundnahrungsmittel, sondern auch Gegenstand ihrer Untersuchungen. Denn die Archäologin beschäftigt sich mit der Zeit, als die Menschen begannen, aus Körnern Mehl zu machen. Es war die Geburtsstunde der Getreidefelder und damit die Geburtsstunde unserer Brotkultur. "Archäologisch können wir diese Geburtsstunde nicht auf Jahr und Tag festlegen, aber wir können natürlich sagen, ab wann die Menschen Getreide, besser Wildgräser genutzt haben", sagt sie.
Getreideanbau - eine schicksalhafte Erfindung
Vor über 12.000 Jahren begannen die ersten Ackerbauern, Körner aus Wildgetreide mühevoll zu verarbeiten - eine schicksalhafte Erfindung. Denn das Getreide machte unsere Vorfahren weniger abhängig vom Jagen und Sammeln. Zudem bot es mehr und mehr Menschen Nahrung. Eine Lebensweise, aus der es kein Zurück mehr gab, wie Marion Benz meint: "Mit einer Geburtenzunahme, mit einer Verdichtung von Leuten in den Dörfern hat man viel mehr Getreide nutzen müssen: Weil man die Leute nicht mehr anders satt bekommen hat. Und irgendwann kommt es dann tatsächlich zur Spezialisierung auf Getreide - und man kam von Getreide dann irgendwann nicht mehr los."
Die Wiege der Brotkultur
Nicht die Germanen haben das Brot erfunden, wie man bei den unzähligen Brotsorten der Deutschen vielleicht annehmen könnte. Archäologische Ausgrabungen im Vorderen Orient förderten zu Tage: Die Wiege der Brotkultur Europas liegt in der Südosttürkei. Hier erforscht Marion Benz die Kultur der ersten Ackerbauern. Dieses Gebiet ist unter den Archäologen bekannt als der "fruchtbare Halbmond". In der Jungsteinzeit - dem Neolithikum – nahm die Getreideverarbeitung hier ihren Anfang. Was damals mit einer Sichel aus Feierstein begann, endete schließlich beim Mähdrescher von heute.
Doch der Weg zum industriellen Ackerbau und zu unserem Brot begann im Kleinen. In winzigen Kohleresten von Feuerstellen fanden Archäologen Körner aus der Steinzeitküche - erste Experimente mit dem Nahrungsmittel Getreide, sozusagen mit dem Urkeim der Zivilisation.
Bis heute ist es die Stärke im Korn, die Getreide zu einem unentbehrlichen Grundnahrungsmittel macht. Eine segensreiche Zucker-Verbindung und der wichtigste Stoff in unserem Brot. "Brot war auf der einen Seite natürlich ein Segen und auf der anderen Seite ganz sicher auch ein Fluch", so die Archäologin Marion Benz, "denn was Zucker mit Ihren Zähnen macht, das können Sie heute an sehr vielen Menschen beobachten. Sie haben Zahnfäule, Karies und verfrühten Zahnausfall. Und all das sehen wir auch tatsächlich an den Skeletten, die mit dem Neolithikum ganz verstärkt Karies aufweisen."
Karies dank Brotgenuss
Aus dem Zucker des Getreidebreis bilden Bakterien im Mundraum Säure, und die greift den Zahnschmelz an. Die Folge ist damals wie heute: Karies, entstanden durch den Verzehr von Getreidemehl. Der Anbau von Getreide hat die Menschheit extrem beeinflusst. Doch wodurch wurde der Wandel vom Jäger und Sammler zum brotbackenden Ackerbauern möglich? Was war die Ursache, dass die Menschen ihre Ernährungsweise umstellten?
Sicher ist, dass in der Jungsteinzeit plötzlich eine Fülle von Wildgräsern auftritt. Sie sind die Vorfahren unseres Getreides. Diesen Siegeszug von Einkorn, Emmer und Gerste verdanken wir einer extremen Klimaerwärmung. Sie begünstigte das Wachstum von Gräsern und machte überhaupt erst möglich, dass unsere Vorfahren in der heutigen Türkei mit der Nahrungsquelle Getreide experimentierten - der erste Schritt auf dem Weg zum Brot.
Dem fruchtbaren Halbmond sei Dank
"Wenn die Leute damals nicht angefangen hätten, immer wieder Wildformen von Getreide einzusäen und zu ernten, hätten wir tatsächlich heute kein Brot in Europa" meint Marion Benz. Eine Erkenntnis, die uns auf ein Getreidefeld mit ganz anderen Augen blicken lässt. Denn seine Geschichte beginnt schließlich vor über zehntausend Jahren in der Türkei.
Adressen & Links
Orientalisches Seminar - Vorderasiatische Archäologie
Platz der Universität 3
79085 Freiburg i.Br.
Autor: Axel Wagner (SWR)
Stand: 29.07.2015 13:36 Uhr