So., 21.08.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Der Loreley-Mythos
Das romantische Rheintal zwischen Bingen und Koblenz ist eines der deutschen Wahrzeichen. Der Fluss hat sich tief in das Rheinische Schiefergebirge eingegraben. Auf 65 Flusskilometern stehen 40 Burgen, Schlösser und Festungen. Doch von herausragender Bedeutung ist hier ein Felsen: die Loreley. Die Geschichte von der betörenden, gefährlichen Jungfrau ist weltweit berühmt. Hier, an der tiefsten und engsten Stelle des Rheins, sitzt sie der Legende nach singend und Haare kämmend - und zieht die Schiffer auf dem Fluss ins Verderben.
Mehr als Hunderttausend Touristen kommen jedes Jahr aus aller Welt auf den Loreleyfelsen. Sie sind auf der Suche nach einem urdeutschen, alten Mythos, einer sagenhaften Überlieferung. Doch ist die blonde Jungfrau wirklich ein Märchen aus uralten Zeiten? Und warum saß sie angeblich genau auf diesem Felsen im Mittelrheintal?
Der Loreleyfelsen war schon früh berühmt
Für eine Ausstellung am Historischen Museum in Bingen machten sich Historiker, Archäologen und Geologen auf die Suche nach den Wurzeln des Loreley-Mythos - und wurden fündig. In Handschriften wird der Loreleyfelsen ab dem 10. Jahrhundert erwähnt, wenn auch unter wechselnden Namen: Mons Lurlaberch, Lurulenberg, Lorleberg oder Lurlinberg. Schon damals steht der markante Fels stellvertretend für das ganze bergige Rheintal zwischen Bingen und Koblenz.
In den alten Schriften findet sich aber nichts von einer betörenden Jungfrau. Dafür wird immer wieder ein starkes Echo erwähnt, das auch das Rauschen des Stromes an dieser Stelle vervielfacht. Das könnte auch die Entstehung des Namens erklären: Ley heißt schlicht Fels und "Lore" ist nach Meinung etlicher Sprachforscher ein altes Wort für einen murmelnden, rauschenden Schall.
Im Mittelalter wird das Echo noch Zwergen zugeschrieben, die in Höhlen des Loreleyberges wohnen sollen. Später wird es zu einer Attraktion für Rheinschiffer und Flussreisende. Die blasen Hörner und feuern Gewehre ab, um den Widerhall zu provozieren.
Das Mittelrheintal - geologisch alt und jung zugleich
Die steilen Felswände an der Loreley sind das Ergebnis eines viele Millionen Jahre währenden geologischen Prozesses. Vor etwa 400 Millionen Jahren wurde das heute feste Gestein als lockere Schichten im Mündungsgebiet eines großen Flusses abgelagert - im Wechsel gröbere sandige und feinere tonige Lagen. Erst unter hohem Druck wurden sie zu Stein. Die Energie dazu kam aus der Bewegung der Erdplatten. Bei Zusammenstoß zweier solcher Platten wurde das "Loreley"-Gestein viele Kilometer in die Tiefe geschoben, dabei hohen Temperaturen ausgesetzt und regelrecht verbacken. Das Schiefergestein, das dabei entstand, ist einerseits stark geschichtet und wird deshalb in der Region zum Beispiel auch zu Dachziegeln verarbeitet. Andererseits ist es auch von Querrissen durchzogen, so dass es sich leicht in quaderförmige Blöcke zerlegen lässt - und Angriffsfläche für die nagende Kraft des Wassers bietet.
Vor zehn Millionen Jahren entsprang der Rhein noch in der Nähe von Straßburg und mündete beim heutigen Bonn in die Nordsee. Auch der Mittelrhein sah noch ganz anders aus als heute. Noch vor 2,4 Millionen Jahren verlief der Fluss hier in einem breiten, wenig eingeschnittenem Tal, rund 250 Meter über dem heutigen Rheintal. Flache Terrassen oberhalb der Steilhänge bezeugen das noch heute. Mit dem Beginn der Eiszeiten sank dann der Meeresspiegel, und der Fluss erhielt so ein größeres Gefälle. Die Strömung des Rheins erhöhte sich erheblich und das Wasser fraß sich vergleichsweise schnell in den rheinischen Schiefer.
Der gefährliche Rhein an der Loreley
Das Wasser wusch allerdings über die Hunderttausende von Jahren nicht alle Gesteinsschichten gleich gut weg. Immer wieder blieben Felsrippen im Fluss stehen und machten die Passage durch das Mittelrheintal zu einer gefährlichen Sache. Ganz in der Nähe der Loreley, hoch über dem Rhein in der Burg Rheinfels, finden sich heute Belege dafür. Im dortigen Museum liegt eine Federzeichnung von 1737, auf der die gefährliche Passage an der Loreley abgebildet ist. Außer den Felsen unter der Wasseroberfläche bedrohten eine Sandbank und Stromschnellen die Schiffer. Und vor allem die Strudel hinter der Sandbank waren für Boote hoch gefährlich. Die schriftlichen Quellen berichten davon, dass sich der aquitanische Mönch Goar genau dort niederließ, um sich all der Schiffsbrüchigen anzunehmen, denen die Loreley-Strudel zum Verhängnis wurden.
Um diese gefährliche Stelle im Fluss rankten sich auch schon früh mythische Geschichten. So vermutete man, dass der Fluss dort in unterirdische Tunnel ströme, die mit einer zweiten gefährlichen Stelle bei Bingen unterirdisch verbunden wären. Es gibt Aufzeichnungen aus vielen Jahrhunderten über Schiffsbrüchige an dieser Stelle. Doch in keiner einzigen ist vor 1801 von einer Jungfrau, Zauberin und ihrem Gesang die Rede.
Der romantische Blick auf den Rhein
In Schriften und Bildern bis Anfang des 19. Jahrhunderts findet sich nicht eine einzige Erwähnung der Jungfrau Loreley. Doch dann änderte sich der Blick der Menschen auf den Rhein. Im Zeitalter der Romantik entdeckten sie die besondere Landschaft des Mittelrheintals als außergewöhnliche Idylle. Gleichzeitig begeisterten sie sich für das mittelalterliche Erbe des Rheintals. In diese schwärmerische Stimmung hinein erfand der Dichter Clemens Brentano 1801 die Gestalt der Loreley für eine seiner Balladen. Bei ihm ist sie noch eine Zauberin, die sich aus Liebeskummer in den Rhein stürzt. Die Figur wurde von anderen Künstlern begeistert aufgenommen. "Das uralte Märchen", wie es der Dichter Heinrich Heine schon 1824 nannte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Seitdem zieht die Loreley Touristen in Scharen an. Doch die gefährlichen Felsen im Rhein sind schon lange gesprengt, und auch das Echo fiel den Bauarbeiten für Zug und Auto zum Opfer. Was bleibt, ist die außergewöhnliche Landschaft. Der Rhein, die Burgen und Schlösser. Und der gar nicht so alte Mythos der Loreley, der so gut an den Ort passt, der wenigsten geologisch zu den ältesten Deutschlands zählt.
Literatur
Die Loreley. Ein Fels im Rhein. Ein deutscher Traum. Katalog-Handbuch
Mario Kramp, Matthias Schmandt
Zabern; Auflage: 1 (2004)
214 Seiten
Begleitbuch zur Loreley-Ausstellung 2004 mit vielen Fachaufsätzen zu den Fragen rund um den Mythos Loreley: Geologie, Archäologie, Geschichte, Kunstgeschichte.
Im Buchhandel vergriffen, über das Historisches Museum am Strom, Bingen, und das Mittelrhein-Museum, Koblenz noch zu erhalten.
Autor: Autor: Daniel Münter (WDR)
Stand: 29.10.2015 14:42 Uhr