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Der "Naturerfinder"

Eine kleine Rotorlibelle
Libellen waren das Vorbild für dieses Fluggerät | Bild: HR

Ingo Rechenberg ist seit 1972 Professor für Bionik und Evolutionstechnik an der Technischen Universität Berlin - und damit einer der Gründungsväter dieser Forschungsdisziplin in Deutschland. Und ein Wissenschaftler, der von Anfang an die Faszination der Naturbeobachtung mit dem Erfinden neuer technischer Anwendungen und Strategien verbunden hat. "Wir Bioniker finden ja Prinzipien in der Natur, die wir technisch umsetzen. Und fragen uns, wie die Natur das wohl gemacht hat", erklärt Rechenberg seinen Forschungseifer.

Für ihn war der Flugpionier Otto Lilienthal der "größte Bioniker aller Zeiten". Fliegen sei ein Wunder der Natur, über das man auch mehr als 100 Jahre nach den frühen Flugversuchen eines Otto Lilienthal immer noch staunen könne, sagt Rechenberg, der schon als Bub begann, sich für die Fliegerei zu interessieren. Er war bereits 1954 Modellflugweltmeister im Team. Heute faszinieren ihn Libellen, die trotz starker Windbewegung in der Luft stehen können. Das verdanken sie der unglaublich schnellen, unterbrochenen Rotationsbewegung ihrer Flügel - im Nu können sie so schnell beschleunigen, dass das Auge Probleme hat, dem zu folgen. Ingo Rechenberg baut sie trotzdem nach, mit Elektromotoren und winzigen Rotoren. So entstand eines der kleinsten flugfähigen Helikopermodelle - eine Rotorlibelle - die auch schon mal bei Professor Rechenberg durchs Büro fliegt.

Flugzeuge mit Storchenflügeln

Ein Storchenflügle wird im Windkanal geprüft
Im Windkanal werden Storchenflügel gestestet | Bild: HR

Der Gedanke, dass im Laufe der Evolutionsgeschichte die Natur immer neue und oftmals bessere Lösungen hervor gebracht hat, bestimmt auch die Forschungsstrategien der Bioniker. Ein Beispiel ist der Storchenflügel, der als ein Vorbild für die Entwicklung strömungsoptimierter Tragflächen bei Flugzeugen dienen kann. Die aufgespreizten Flügelenden beim Storch standen Modell für die Konstruktion von Winglets im Flugzeugbau. Das sind die Anbauten, die am Ende der Tragflächen von Flugzeugen den Auftrieb verbessern. Im Windkanal der TU Berlin wurden solche Tragflächen für Flugzeuge entwickelt - mit der Evolutionsstrategie, einem Optimierungsverfahren, das auf die Darwinsche Evolutionstheorie aufbaut. Resultat: Aufgespreizte Flügelenden wie beim Storch verbessern die aerodynamische Güte um elf Prozent gegenüber einem Rechteckflügel.

Überleben in der Sahara - Naturerfindungen unter extremen Bedingungen

Ein Sandfisch
Diese Echse scheint im Sand zu schwimmen | Bild: HR

Seit 1982 fährt Ingo Rechenberg in die südliche Sahara. Unter den extremen Lebensbedingungen in dieser Region mussten Tiere und Pflanzen besondere Überlebensstrategien und Techniken der Energieeffizienz entwickeln. Dort stieß der Bioniker Rechenberg vor ein paar Jahren auf ein Phänomen der effizienten Fortbewegung, optimal von einer kleinen Eidechse vorgeführt. Der sogenannte Sandfisch "schwimmt" quasi auf dem Wüstensand. Unter dem Bauch befinden sich mikroskopisch kleine Querrillen, die dem Körper bei der Fortbewegung ein blitzschnelles Gleiten über feinste Sandkörner hinweg gestattet. Wie auf einem Schmierfilm.

Die Radlerspinne

Eine Radlerspinne rollt durch die Wüste
Eine ungewöhnliche Fortbewegungsart: eine Radlerspinne | Bild: HR

Wenn es Nacht wird in der Wüste, erwacht in Südmarokko das Leben. Tiere, die tagsüber vor der Gluthitze Zuflucht unter Sand und Steinen suchen, beginnen nun, aktiv zu werden. Gerade hier, wo das Angebot an biologischer Vielfalt und damit an Nahrung nicht gerade üppig ist, lässt sich ein Prinzip der Evolution gut studieren: wenig Energie verbrauchen. "In Wüstenregionen wie der Sahara oder der Antarktis, überall wo das Leben durch wenig Nahrung und extreme Temperaturen bestimmt ist, da hat sich die Natur besonders interessante Lösungen einfallen lassen", sagt Ingo Rechenberg. Ein Kandidat für energiesparende Fortbewegung: die Radlerspinne. Statt auf acht Beinen durch den Sand zu stapfen, macht sie sich kugelrund und gewinnt dabei an Geschwindigkeit bei geringerem Energieverbrauch. Nicht nur bergab, sondern auch hinauf auf eine Düne. Ein Bewegungsprinzip, das Rechenbergs Studenten gerade in Miniroboter eingebaut haben.

Bionik ist Grundlagenforschung mit hohem Innovationspotenzial

Ingo Rechenberg
Ingo Rechenberg hat immer noch neue Ideen | Bild: HR

In seinem Institut an der TU Berlin wird derzeit an den unterschiedlichsten Naturphänomenen geforscht. Viele Ideen werden inzwischen erfolgreich in Start-up Unternehmen von ehemaligen Rechenberg-Studenten umgesetzt. Mini-U-Boote sind darunter oder Windräder.

Die "Pflanzenpumpe" ist ein anderes Modell. Pflanzen kühlen sich mit einer Art Transpirationspumpe. Wenn oben auf dem Blatt ein Molekül verdunstet, wird unten über die Wurzel eines nachgeschoben. Dadurch entsteht ein Pumpeneffekt. Ein Prinzip, das auf vielfältige Weise auch technisch eingesetzt werden könnte. Der Vorteil: So eine Pumpe funktioniert ohne mechanische Verschleißteile.

Die Faszination an den Lösungen der Natur und ihren Erfindungen, das ist der eigentliche Antrieb für Ingo Rechenbergs Forschungsfeld. Dabei müsse man das Staunen eines Kindes mit dem pragmatischen Denken eines Ingenieurs verbinden, so Rechenberg. Er ist selbst das beste Beispiel für diese erfolgreiche Kombination von Naturbeobachtung und der technischen Umsetzung des neu Entdeckten.

Adressen

Technische Universität Berlin
FG Bionik und Evolutionstechnik
Prof. Dr.-Ing. Ingo Rechenberg
Ackerstrasse 71-76
13355 Berlin

Literatur

Bionik: Wie wir die geheimen Baupläne der Natur nutzen können

Kurt G. Blüchel (Autor)
Goldmann Verlag; 2006
416 Seiten, 7,80 Euro

Bionik

Antonia Bettina Kesel
Fischer (Tb.), Frankfurt; 2005
416 Seiten, 8,95 Euro

Erfindungen der Natur: Bionik - Was wir von Pflanzen und Tieren lernen können

Zdenek Cerman,Wilhelm Barthlott, Jürgen Nieder
rororo; 2005
288 Seiten, 8,95 Euro

Projektmappe Biologie: Bionik

Martina Rüter (Autor)
Verlag An der Ruhr; 2009
74 Seiten, 19,40 Euro

Die genialsten Erfindungen der Natur - Bionik für Kinder

Sigrid Belzer (Autorin)
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010
400 Seiten, 18,95 Euro

DVD: Bionik - Das Genie der Natur
von Alfred Vendl und Steve Nicholls
Erscheinungstermin: 28. September 2007
Produktionsjahr: 2006
Spieldauer: 154 Minuten

DVD: Bionik - Experimente für die Schule
Verlag: Duden Paetec
Erscheinungsdatum: März 2010

Autor: Ottmar E. Gendera (HR)

Stand: 03.11.2015 09:46 Uhr

Sendetermin

So., 28.08.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

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