SENDETERMIN So., 20.11.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Die Sinne der Pflanzen

Venusfliegenfallen
Auch Pflanzen nutzen ihre Sinne. | Bild: HR

Pflanzen nehmen sehr genau wahr, was um sie herum geschieht - und sind lebendiger, als wir denken. Weil aber ihre Uhren sehr viel langsamer gehen als unsere, übersehen wir leicht, wie lebendig sie sind. Sie erobern und verteidigen aktiv ihren Lebensraum, manche sind sogar erfolgreiche Jäger - und dabei nutzen auch sie ihre Sinne.

Verblüffende Überlebensstrategien

Raupe an Blatt
Gefährlicher Feind: der Tabakschwärmer | Bild: HR

Im Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben Forscher eine verblüffenden Überlebensstrategie wilder Tabakpflanzen entdeckt: Normalerweise wehren sie sich gegen Fressfeinde, indem sie vermehrt Nikotin bilden - ein Nervengift, das die Schädlinge vertreibt. Doch beim Angriff von Manduca sexta, der Raupe des Tabakschwärmers, reagiert die Pflanze anders – sie versucht erst gar nicht, den gefräßigen Feind mit Nikotin zu vertreiben. Die Pflanze scheint verblüffenderweise genau zu wissen, dass ihr Gift hier nicht wirkt, denn: "Manduca ist eine nikotinresistente Raupe", erklärt Professor Ian Baldwin. "Sie kann mehr Nikotin vertragen als die gesamte Menschheit. Die Raupe ist also in der Lage, die Hauptverteidigungslinie der Pflanze zu durchbrechen."

Wenn die Pflanze um Hilfe ruft …

Wanze mit Raupe
Die Hilfsarmee: Raubwanzen | Bild: HR

Professor Ian Baldwin hat entdeckt, dass die Pflanzen dann zu einer anderen Strategie greifen - und zwar mit Hilfe ihres Geschmackssinns. An Signalstoffen im Raupenspeichel erkennt der wilde Tabak nämlich, wer da an ihm nagt. Und reagiert sofort: Innerhalb von nur einer Stunde produziert er einen speziellen Duftstoff. Für die Forscher eine verblüffende Leistung - denn das Ganze dient nur einem Zweck: Mit diesem Duftstoff rufen die Pflanzen andere Insekten zu Hilfe: Raubwanzen, die Feinde ihrer Feinde! Ihre Lieblingsspeise sind Raupen und Insekteneier. Der Duftstoff lockt sie ganz gezielt auf die von der Raupe befallenen Blätter.

Der schnellste Jäger im Pflanzenreich

Insekt auf Venusfliegenfalle
Die Venusfliegenfalle: Die Tasthaare leiten elektrische Reize weiter und die Falle schnappt zu. | Bild: HR

Erstaunliche Sinnesleistungen hat auch die Venusfliegenfalle aus der Familie der Sonnentaugewächse entwickelt. Sie hat den Spieß umgedreht und ist selbst ein erfolgreicher Räuber. Die Venusfliegenfalle ist der schnellste Jäger im Pflanzenreich. Möglich macht das ihr ausgeprägter Tastsinn. Ihre zu einer Art Fangeisen umgebildeten Blätter sind mit hochempfindlichen Härchen ausgestattet. Treten Insekten zweimal gegen diese Tasthärchen, schnappt die Falle zu - und zwar im Bruchteil einer Sekunde. Dass die Tasthaare Reize elektrisch weiterleiten, haben die Forscher um Professor Hedrich am Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie und Biophysik Würzburg messen können. Aber nur wirklich Nahrhaftes wird gefangen - mit Wassertropfen etwa lässt sich die Falle trotz mechanischem Reiz nicht auslösen. Warum das so ist, können die Forscher noch nicht erklären.

Eine Pflanze mit Geschmack

Eine Ameise in einer Venusfliegenfalle
Die Vensufliegenfalle erkennt ihre Beute - am Geschmack! | Bild: HR

Und sie entdeckten noch eine weitere, erstaunliche Sinnesleistung der Venusfliegenfalle: Die Pflanze kann genau unterscheiden, was sie gefangen hat. Ob Fliege oder Ameise, das erkennt sie am Geschmack. Ihre Verdauungssekrete in der Fallenkammer sind genau darauf abgestimmt, das jeweilige Opfer "mundgerecht" zu zerlegen. Professor Rainer Hedrich erklärt: "Die Venusfliegenfalle schmeckt im Gegensatz zu uns nicht mit der Zunge und mithilfe der Nase, sondern im Magen. Sie schmeckt praktisch das, was sie verdaut."

Bei der Analyse der verschiedenen Verdauungssäfte fanden die Forscher heraus, dass die Venusfliegenfalle besonders gut Eiweißbausteine, den Harnstoff im Blut und das Chitin aus der Hülle der Insekten "heraussschmecken" kann. Menschen könnten so etwas nicht. Ob der Geschmackssinn ihr allerdings auch Genuss bereitet - ob die Venusfliegenfalle also lieber Fliege oder Ameise mag - das bleibt bislang ihr Geheimnis …

Literatur

Kluge Pflanzen: Wie sie locken und lügen, sich warnen und wehren und Hilfe holen bei Gefahr

Volker Arzt
C. Bertelsmann Verlag (2009)
288 Seiten, 24,95 Euro

Das geheime Bewusstsein der Pflanzen: Botschaften aus einer unbekannten Welt

Joseph Scheppach
Droemer (2009)
288 Seiten, 19,95 Euro

Autor: Wolfgang Zündel (HR)

Stand: 04.11.2015 12:08 Uhr

Sendetermin

So., 20.11.11 | 17:03 Uhr
Das Erste

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