So., 20.02.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Riesenschildkröte in der Röhre
Mit 80 Kilogramm ist sie trotzdem ein Leichtgewicht: Schildi ist eine Riesenschildkröte aus dem Wiener Tiergarten Schönbrunn und die neue Patientin von Tierarzt Dr. Thomas Hildebrand. Im Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung soll untersucht werden, was Schildi fehlt. "Wir müssen jetzt sicherstellen, ob sie auch durch den Computertomographen passt", meint Hildebrandt. Einen derartigen Computertomographen (CT) zur Durchleuchtung von Tieren gibt es nirgends sonst auf der Welt – Thomas Hildebrandt ist daher ein gefragter Spezialist.
Aber in eine Riesenschildkröte hineinzuschauen ist auch für ihn wissenschaftliches Neuland. Sicher ist nur, dass Schildi absolut nicht fit ist. "Das Tier ist sehr krank. Sie hat Flüssigkeit in ihren Armen und Beinen, die nicht in die Unterhaut gehört. Das heißt, das Herz ist schwer belastet. Das ist wie Wasser in den Beinen bei einer hochschwangeren Frau. Die Zirkulation funktioniert nicht mehr richtig, und das Tier fühlt sich extrem unwohl, weil es die Gliedmaßen nicht einziehen kann." Zum Glück passt Schildi trotzdem in die Röhre.
Eine Schildkröte in der Röhre
Für die eigentliche Untersuchung muss Schildi auf dem Rücken liegen. Nicht ganz unproblematisch, schließlich sind die Organe es nicht gewohnt, Druck von der anderen Seite zu bekommen – und sie ist sehr krank. Die Untersuchung sollte also möglichst schnell ablaufen. Noch nie wurde eine Galapagos-Schildkröte per CT untersucht. Eine Vertreterin einer Millionen Jahre alten Tiergruppe trifft auf modernste Hightech-Diagnostik. Trotz aller Schnelligkeit muss die Untersuchung sehr exakt ablaufen. Das bedeutet Stress für Thomas Hildebrandt und seine Mitarbeiter: "Wir wollen ihr natürlich keine Unannehmlichkeiten bereiten, die dann das Krankheitsbild zusätzlich verschlimmern können. Deswegen sind wir im Augenblick in einer sehr angespannten Situation."
Schmuggel ist an Knochen sichtbar
Was fehlt Schildkröte Schildi? Das ist die große Frage. Doch noch fischen die Wissenschaftler im Trüben. Hat ihre Krankheit etwas mit ihrer etwas undurchsichtigen Vergangenheit zu tun? Falls Schildi vor Jahrzehnten durch Schmugglerhände ging, kann das jetzt noch böse Folgen haben und in den Bildern der CT sichtbar sein, erklärt der Tierarzt. "Wir können uns jetzt den Skelettaufbau sehr gut anschauen. Bei diesen alten Schildkröten ist es häufig so, dass der Zoll sie bei Schmugglern entdeckt und konfisziert. Dann überführt sie der Zoll an eine zoologische Einrichtung. Diese Phase bei den Schmugglern führt häufig zu Wachstumsstörungen, die dann letztlich auch zu so einer schweren Grunderkrankung führen könnten", so Thomas Hildebrandt besorgt.
Der Schmuggel von Riesenschildkröten ist noch immer ein Riesengeschäft. Schildis Verwandte in der Heimat Galapagos sind nicht zuletzt deswegen stark gefährdet. Denn noch immer werden die Riesenschildkröten weltweit gehandelt. Werden Schildkröten in Gefangenschaft falsch ernährt, erleiden sie Mangelerscheinungen, die lebenslang erkennbar bleiben.
Ob Schildi ein solches Schicksal hinter sich hat, sollen nun Bilder in der Praxis von Tierarzt Hildebrandt zeigen. "Eine Mangelerkrankung in der Jungend ist es zum Glück nicht. Wir haben bei dieser Schildkröte ein akutes schweres Krankheitsbild und müssen wahrscheinlich noch Ultraschall verwenden, um das besser eingrenzen zu können."
Was ist die Ursache?
Doch eine Ultraschalluntersuchung bei einer Schildkröte ist keine einfache Sache. Schildi hat schließlich einen Panzer. "Wir müssen einen Zugang zu den Weichteilbereichen finden, damit wir uns überhaupt das Herz und die inneren Organe anschauen können. Das ist wesentlich komplizierter als beim Computertomographen", erklärt Thomas Hildebrandt. Und dann kommt noch hinzu, dass zwischen Herz und Ultraschallgerät sehr viel Gewebe liegt, das die Tierärzte erst durchdringen müssen. Doch schließlich erhalten die Tiermediziner die gewünschten Bilder. Das Ergebnis: Das Herz ist krank, aber nicht die Ursache für Schildis Symptome.
Ein Vergleich mit anderen Fällen wie einem Chamäleon soll helfen, den wahren Grund finden. Und tatsächlich gelingt mit dem Blick in die Tierdatenbanken eine Diagnose. Schildi leidet nach den Ergebnissen aller Untersuchen und des Blutes an einer Virusinfektion. Nun kann die Therapie beginnen. "Wir werden Schildi nach diesem Befund mit entsprechenden Medikamenten versorgen und hoffen, dass sie bald genesen wird", so der Tierarzt. Auch [W] wie Wissen wünscht gute Besserung!
Autor: Axel Wagner (SWR)
Stand: 12.10.2012 15:53 Uhr