Training für den Ernstfall

Übungsort Gletscher: AWI-Überwinterer lernen hier das Leben in eisiger Kälte. | Bild: WDR

15 Monate lang sollen neun Menschen auf der Neumayer-Station in der Antarktis arbeiten, leben und überleben. Es sind die sogenannten Überwinterer, die die Wissenschaftsstation des Alfred-Wegener-Instituts am Laufen halten und dafür sorgen, dass alle Geräte - vor allem auch im antarktischen Winter - reibungslos funktionieren. Sie alle sind hochqualifiziert auf ihrem Fachgebiet: Ein Chirurg, ein Geophysiker, ein Luftchemiker, ein Funker und Elektroniker, ein Meteorologe, ein Elektrotechniker, ein Physiker, ein Stationsingenieur und ein Koch. Doch was sie in der Antarktis erwartet, wissen sie nicht. Sie müssen auf ihren langen Aufenthalt vorbereitet werden, nicht nur, was das Leben auf der Station betrifft. Sie müssen wissen, wie sie sich sicher in Eis und Schnee bewegen und in Notsituationen richtig reagieren. Denn auch Exkursionen in die antarktische Eiswüste gehören zu ihren Aufgaben. Deshalb gehört zu ihren Vorbereitungen vor der langen Reise ein Crash-Kurs in etwa 3.000 Meter Höhe auf dem Gletscher Gurgler Ferner in Österreich.

Der Knoten, an dem das Leben hängt

Vertrauen auf den Knoten, an dem das Leben hängt. | Bild: WDR

Bergführer Paul Mair weiß, worauf es ankommt. Er hat die Gruppe während des achttägigen Trainings immer im Blick. Seit zehn Jahren bildet er die Antarktis-Überwinterer am Berg in Punkto Klettern und Überleben aus. Er weiß, dass die lange Zeit in der Antarktis unterschiedliche Gefahren birgt. Das Gelände dort ist schwierig. Seine Schützlinge müssen mit versteckten Gletscherspalten unter der geschlossenen Schneedecke rechnen, in die sie stürzen können. Dann hängt ihr Leben an einem Seil, einem Karabiner und einem Knoten. An einem Seil zu hängen, wenn der feste Boden mehr als 15 Meter unter einem ist, ist für die meisten aber völlig neu. Und von Knoten, die Prusik, Halbmastwurf oder Sackstich heißen, haben sie noch nie gehört.

Campen fürs Gruppengefühl

Das Team "kocht": Die Tüten-Nahrung ist kein kulinarisches Highlight... | Bild: WDR

Auch die Übernachtung am Gletscher ist Teil des Programms. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein nettes Campen mit Freunden, ist für die Überwinterer auf der Neumayer-Station überlebenswichtig. Sie müssen wissen, wie sie bei Wind und Wetter ein Zelt richtig aufbauen, wie sie im Schneetreiben den Kocher anzünden und mit Hilfe von Eis und Schnee die Tütchen-Nahrung aus der Survival-Box zubereiten. Kein kulinarisches Highlight, aber es hat genügend Kalorien, um über eine Nacht im Freien zu kommen, wenn sie die schützende Station nicht mehr rechtzeitig erreichen sollten.

Diese Übung auf dem Gletscher dient auch der Teambildung. Denn schließlich sind 15 Monate eine lange Zeit. Dazu gehört, mit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten konstruktiv umzugehen. Wer sich im Vorfeld bereits gut versteht, hat gute Chancen, auch in der Antarktis Lösungen für zwischenmenschliche Probleme zu finden.

Der antarktischen Realität schon sehr nah

Test bestanden? | Bild: WDR

Nach knapp einer Woche müssen die neuen Überwinterer zeigen, was sie gelernt haben. Es geht hinaus ins Schneefeld, an einen sogenannten Kolch: Das ist ein Überhang, der einer Gletscherspalte sehr ähnelt. Hier müssen die Überwinterer nicht nur sich selbst mit Knoten, Karabinern und Seil aus zehn Metern Abgrund nach oben arbeiten. Sie müssen auch einen bewusstlosen Kameraden sicher bergen können. Das Szenario kommt der Wirklichkeit in der Antarktis schon sehr nah. Die Überwinterer haben ein Gefühl dafür bekommen, was sie tatsächlich erwarten könnte - und sie sind neugierig auf ihr großes Abenteuer.

Adressen

Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung
in der Helmholtz-Gemeinschaft
Am Handelshafen 12
27570 Bremerhaven
Tel.: (0471) 48 31-0

Autorin: Iris Rietdorf (WDR)

Stand: 31.10.2014 14:43 Uhr