So., 08.05.11 | 17:03 Uhr
Das Erste
Was macht eine schöne Stimme aus?
Man kann sich in sie verlieben oder sogar süchtig nach ihr werden. Manche reisen ihr sogar hinterher - von einem Konzert zum nächsten: der schönen Stimme. Natürlich ist es eine Frage des Geschmacks, ob man sich eher von Oper oder Hardrock faszinieren lässt, aber jenseits aller Genres scheint Gesang in der Lage zu sein, uns besonders zu berühren.
Jay Alexander und Marc Marshall treten seit Jahren als Duo auf. Beide haben klassischen Gesang studiert, trotzdem enthalten ihre Interpretationen auch Elemente des Pop. Das Publikum spricht von Gänsehaut-Feeling, das die Stimmen der beiden auslösen. Und auch Marc Marshall ist immer wieder von der Stimme seines Gesangspartners fasziniert. "Jay hat eine unverfälschte natürliche Tenorstimme. Er hat viel daran gearbeitet, aber er hat auch eine extrem gute Natur und er lässt diese Natur auch zu."
Das Schöne entsteht im Ansatzrohr
Doch ist guter Gesang reine Geschmackssache, oder kann man das Geheimnis hinter solchen Stimmen dingfest machen? Wir begleiten Marc Marshall zu Bernhard Richter an der Universität Freiburg. Er leitet das Institut für Musikermedizin, ist Stimmarzt und ausgebildeter Sänger. Bernhard Richter schiebt Marc Marshall erst einmal eine sogenannte Stroboskopkamera in den Rachen, um seine Stimmlippen in Aktion zu sehen. Ein guter Sänger kann die Spannung der beiden Gewebefalten exakt steuern. Wenn sie wie bei Marshall gut schließen, so Bernhard Richter, klingt die Stimme klar, sonst wird sie hauchig. Doch eine hauchige Stimme kann genauso berühren. Viele Poplegenden beweisen es.
Das Entscheidende sieht der Stimmarzt daher in der Gestaltung des Tons: "Wir haben nicht nur den Kehlkopf, in dem der Ton erzeugt wird, sondern das, was drüber liegt: Rachenraum, Mund, Lippen, das sogenannte Ansatzrohr. Der Klang ist das, was in diesem Rohr geformt wird. Das heißt: Wir geben dem Klang nur eine Grundlage in den Stimmlippen, aber das eigentlich Schöne entsteht durch die Klangeigenschaften des Ansatzrohrs."
Obertöne machen die Musik
Mit einem Messgerät, das die Intensität einzelner Frequenzbereich bestimmen kann, versucht Bernhard Richter, den Unterschied zwischen Klassik und Pop-Stimme zu bestimmen. Marc Marshall kann beides und singt zwei Versionen von "Der Mond ist aufgegangen". Einmal poppig, einmal klassisch. Die Messung zeigt, dass beim klassischen Gesang mehr Obertöne auftauchen. Das sind hohe Frequenzen, die der Stimme Farbe und Tragfähigkeit geben. "Durch eine Verstärkung über Mikrofone und ein Mischpult könnte man den Verlust der Obertöne wieder ausgleichen", meint Richter. "Es sind die Tontechniker im Hintergrund, die einem Popkünstler genau das geben, was ihm sonst fehlen würde."
Gesangstechnik als Basis - Gefühle on Top
Die Physik kann keine Antwort auf die Frage liefern, warum uns einige Stimmen ganz besonders berühren. Die Technik des Singens scheint nicht das Entscheidende zu sein – aber die Basis. Auch Jay Alexander meint: "Die Gesangstechnik muss so in Fleisch und Blut übergehen, dass man das Emotionale, das Menschliche wieder zulassen kann. Ich muss es ausströmen lassen aus dem tiefsten Inneren. Und dann hab ich eine Chance, das Publikum, die Menschen zu erreichen. Und das hat viel mit dem Zulassen der eigenen Persönlichkeit zu tun und dem Nicht-Zurückhalten von Emotionen."
Autor: Ingolf Baur
Stand: 16.07.2015 13:45 Uhr