SENDETERMIN So., 13.03.11 | 17:03 Uhr | Das Erste

Wenn Schlangen Alarm schlagen

Eine tote Schlange
Flucht um jeden Preis: Selbstmord im Schlangengehege | Bild: Screenshot

Erdbeben lassen sich nicht vorhersagen. Oder vielleicht doch? In Südchina, unweit der Stadt Nanning, machen Schlangenzüchter 2005 eine seltsame Beobachtung: Selbstmord im Schlangengehege. Ihre Tiere wollen mit aller Gewalt aus den Gehegen ausbrechen. Wie besessen schlagen sie ihre Köpfe gegen die hohen Betonwände. So lange, bis sie an ihren Verletzungen sterben. Vier Tage später bebt 100 Kilometer entfernt die Erde mit einer Stärke von 5,2 auf der Richterskala. Seitdem sind sich die Wissenschaftler um Jiang Weisong vom staatlichen Erdbebenbüro in Nanning sicher: Die Tiere können Vorzeichen eines Erdbebens spüren. Mit ihrem Innenohr nehmen Schlangen nämlich selbst geringste Erschütterungen wahr. Gemeinsam mit den Züchtern richten die Forscher Webcams auf den Farmen ein. Sie wollen das Verhalten der Schlangen rund um die Uhr beobachten und hoffen, das nächste Mal rechtzeitig alarmiert zu sein.

Der sechste Sinn

Stör in einem Aquarium
Störe stehen im Aquarium von Nanning unter Beobachtung | Bild: Leonardofilm

Aber nicht nur Schlangen schlagen vor Erdplattenverschiebungen Alarm. Schon in der Schule lernen Kinder in Reimen, dass Hühner vor einem Erdbeben mitten in der Nacht aus ihren Ställen ausbrechen, Vögel ihre Nester im Stich lassen oder Schweine ganz fremdartig quieken. Und auch unter Wasser können Tiere die Vorzeichen spüren. Das Aquarium von Nanning ist eine weitere Beobachtungsstation der Erdbebenforscher. Hier gibt es Schildkröten, Störe und Haie. Sie haben wohl empfindlichere Sinne als der Mensch, mit denen sie Erschütterungen feiner wahrnehmen können als wir. Würden die Haie anfangen, gegen die Wände zu stoßen, die Störe aus dem Wasser zu springen oder sich sonst irgendwie ungewöhnlich verhalten, wäre das für die Forscher aus Nanning ein Signal. Sie sammeln die vielen Daten von Kameras, Tierpflegern und aus der Bevölkerung und werten sie ständig aus.

Die Erfolgsgeschichte von Haicheng

Erfrorene Schlangen auf dem Schnee
Dass Schlangen im Winter ihre Erdlöcher verlassen, war ein Alarmzeichen | Bild: Screenshot

Schon im Februar 1975 halfen Tiere den Erdbebenforschern in China, ein schweres Beben vorherzusagen. In Haicheng, im Nordosten Chinas, beunruhigen leichte Vorbeben und plötzliche Änderungen des Grundwasserspiegels die Behörden. Die Bewohner werden daraufhin aufgefordert, wachsam zu sein. Sie melden die sonderbarsten Vorfälle. Trotz Schnee und Eis kommen Fische in Massen an die Wasseroberfläche. Schlangen verlassen mitten im Winter ihre Erdlöcher, was sie bei Minusgraden sonst nie tun. Qualvoll erfrieren sie auf der Schneedecke. Nicht nur wegen dieser Tierbeobachtungen veranlassen die Behörden die Evakuierung der Stadt. Wegen der vielen Hinweise werden eine Million Menschen in Sicherheit gebracht. Nur kurze Zeit später legt ein Erdbeben der Stärke 7,3 die Stadt in Trümmer. Kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Schätzungen zufolge hätte die Zahl der Verletzten und Toten ohne Evakuierung bei über 150.000 gelegen.

Tiere für die Erdbebenvorhersage?

Hirschkuh
Das Verhalten von Tieren kann wichtige Hinweise auf Erdbeben liefern | Bild: Leonardofilm

Etabliert ist diese Vorhersagemethode noch lange nicht. Die Wissenschaftler in Nanning verwenden wie in allen Erdbebenstationen auch Seismographen, um kleinste Erdbewegungen aufzuspüren. Kritiker bezweifeln die Zuverlässigkeit einer Vorhersage durch Tiere und führen deren Verhalten auf Zufälle oder Falschaussagen zurück. Jiang Weisong dagegen ist sich sicher: "Die Tatsache, dass die Schlangen uns bereits ein paar Tage vorher warnen, ist sehr wertvoll. Da gibt es nichts Vergleichbares."

Glossar

Richterskala

Mit der internationalen Richterskala des US-Amerikaners Charles Richter kann die Stärke eines Erdbebens mit Hilfe von Instrumenten einheitlich bestimmt werden. Der angegebene Wert gilt dabei als Maß für die Bodenbewegung im Ausgangspunkt des Bebens. Ein Punkt mehr auf der Skala bedeutet die 32-fache Energiefreisetzung. So wird ein Beben der Stärke 2,0 auf der Richterskala vom Menschen kaum bemerkt. Eines der Stärke 4,0 bringt nur das Geschirr im Schrank zum klappern aber eines der Stärke 6 bis 7 kann Gebäude zum Einsturz bringen.

Eurasische Platte

Die Erdkruste besteht aus mehreren starren Platten, die auf flüssigem Erdmaterial unterhalb der Erdkruste "schwimmen". Ströme sorgen dafür, dass diese Platten sich in eine bestimmte Richtung bewegen. Die Eurasische Platte ist eine der größten Kontinentalplatten und umfasst große Teile Europas und Asiens. Dort wo sich die afrikanische Platte in die Eurasische schiebt, haben sich die Alpen aufgefaltet

Autorin: Corinna Lücke (WDR)
(Erstsendung: 18.07.10)

Stand: 18.09.2015 14:30 Uhr

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So., 13.03.11 | 17:03 Uhr
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