So., 15.01.12 | 17:03 Uhr
Das Erste
Mythos Fasten
Das Fasten hat eine Jahrtausende alte Tradition. Schon immer haben Menschen aus religiösen oder spirituellen Gründen gefastet, also auf Genuss- oder Nahrungsmittel eine bestimmte Zeit lang verzichtet. In der westlichen Welt dient das Fasten inzwischen mehr dazu, das körperliche Wohlbefinden zu steigern oder auch schlicht ein paar Kilogramm abzunehmen. Doch der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung und Genussmittel macht nur dann auf Dauer schlank, wenn man seine Fastenerlebnisse dazu nutzt, seine Essgewohnheiten umzustellen.
Muskeln schwinden - Fett bleibt
Ein Fastender verzichtet in der Regel eine Woche lang auf jegliche feste Nahrung. Stattdessen gibt es reichlich Tee, Säfte und Brühe. Auf den ersten Blick verlieren Übergewichtige beim Fasten in kurzer Zeit und sehr effektiv Gewicht - bis zu 300 Gramm pro Tag. Doch anfangs ist nur ein kleiner Anteil davon Fett. Über die Hälfte des Gewichtsverlustes stammt aus Muskeln, der Rest ist Wasser.
Unter ärztlicher Aufsicht kann eine Fastenkur für Übergewichtige aber trotzdem sehr hilfreich sein. Der zeitweise Verzicht auf feste Nahrung diszipliniert, ist eine gute Vorbereitung für eine konsequente Ernährungsumstellung und ein Erlebnis für Geist und Körper.
Keine Fastenkur ohne Hausarzt
Wer fasten will, sollte seinen Hausarzt mit einbeziehen. Das Fasten ist mit einer Nulldiät gleichzusetzen. Dem Körper werden Vitamine, Mineralstoffe und essentielle Fettsäuren entzogen. Der Wasser-Elektrolyt-Haushalt verändert sich. Das hat Auswirkungen auf manche Medikamente und kann in Extremfällen Herzrhythmusstörungen auslösen. Für Gesunde ist das Fasten aber unbedenklich. Doch was passiert eigentlich genau im Körper, wenn man ihm für längere Zeit keine feste Nahrung zuführt?
Zu Beginn verursacht Fasten Stress
Am ersten Fastentag gibt es zunächst Glaubersalz, aufgelöst in viel Wasser, zu trinken. Das Abführmittel bewirkt Durchfall und entzieht dem Körper Flüssigkeit. Nebenwirkungen können eventuell Kopfschmerzen sein. Bei einer längeren Einnahme kann Glaubersalz Ödeme oder Hypertonie auslösen. Kontrolliert eingenommen hat es sich seit Jahrhunderten als Einstieg in die Fastenwochen bewährt.
Der Körper merkt am ersten Tag, dass eine Ausnahmesituation bevorsteht. Er verbindet Nahrungsentzug mit Gefahr. Das Gehirn reagiert wie bei Stress. Es fährt die Produktion der Hormone Adrenalin und Cortisol hoch, versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Der Faster ist hellwach. Nach einem Tag ist in der Leber der als Glykogen gespeicherte Zucker verzehrt. Damit steht dem Körper keine schnelle Energiereserve mehr zur Verfügung. Er weicht deshalb auf die Eiweiße aus dem Verdauungstrakt sowie der Muskulatur aus und wandelt diese in Energie um.
Bewegung mindert Muskelabbau
"Wichtig ist es deshalb, sich während der Fastenzeit viel zu bewegen. Das mindert den Muskelabbau und kurbelt den Stoffwechsel an", sagt Professor Andre Michael Beer von der Naturheilklinik Blankenstein. Fast 5.000 Fastenpatienten hat er bereits in seiner Klinik betreut.
Da feste Speisen während des Fastens Tabu sind, gibt es klare Gemüsebrühen, frische Obstsäfte und Tee. Die Brühen sollten möglichst wenig Salz und Fett enthalten. Kräuter und ein gestrichener Teelöffel Honig pro Tag sind erlaubt. Vor allem sollte man viel Trinken: Mindestens zweieinhalb Liter pro Tag.
Glücksgefühle setzen ein
Wer sich freiwillig für das Fasten entscheidet, kann diesen Verzicht sogar genießen. Dafür sorgt schon die Natur. Denn nach drei Tagen hat sich der Körper an die Ausnahmesituation angepasst. Das Gehirn stellt den Alarmmodus ab und gewöhnt sich an das Hungern. Das Glückshormon Serotonin ist jetzt vermehrt und länger im Körper präsent. Es sorgt für ein Hochgefühl. Zudem hemmt der veränderte Serotoninhaushalt die Bildung von Entzündungsbotenstoffen. Ein Grund, weshalb Patienten mit Gelenk- und Rheumabeschwerden oder Migräne immer wieder fasten, denn das mildert ihre Schmerzen.
Mundgeruch: Jetzt geht es an den Speck
Etwa am vierten Tag setzt die Fettverbrennung ein. Die Leber wandelt von nun an die Fettsäuren im Körper in sogenannte Ketonkörper um. Dabei entsteht ein fruchtig-säuerlicher Geruch, der über die Atemwege ausgedünstet wird. Dank der Ketonkörper braucht das Gehirn zum Arbeiten nun wesentlich weniger Glukose. Diese Energiedrosselung des Gehirns ist ein Notfallprogramm der Natur. Als es noch keine Kühlschranke und Lebensmittelgeschäfte gab, war es für den Menschen überlebenswichtig, auch längere Zeit ohne Nahrung auszukommen. Bei einen normalen Körpergewicht können die Reserven bis zu 40 Tage lang reichen. Wer zu Hause das Fasten testen will, sollte erst einmal mit einer Woche anfangen. Betreute Fastenkuren dauern bis zu vier Wochen.
Fasten ist keine Diät
Das Fasten ist für den Körper eine Extremsituation. Man sollte sich deshalb Urlaub nehmen und eine Atmosphäre schaffen, in der man den Alltag hinter sich lassen kann. Am letzten Tag beginnt mittags das so genannte 'Fastenbrechen' mit einem Apfel. Die ersten Bissen sollte man langsam kauen und genießen. Am Abend empfiehlt die Ärztegesellschaft Heilfasten eine Kartoffelsuppe. Danach sollte man den Körper wieder gemächlich an eine ausgewogene Nahrung heranführen.
Die verlorenen Pfunde holt sich der Körper über die Zeit wieder zurück, damit er für die nächste Extremsituation gewappnet ist. Fasten ist deshalb keine Diät.
Autor: Michael Ringelsiep (WDR)
Stand: 11.05.2012 13:02 Uhr