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Neue Gefahr: Das Schmallenberg-Virus

Erst Lämmer, dann Kälber

Kühe auf der Weide
Landwirte beobachteten hohes Fieber und einen Rückgang der Milchleistung ihrer Tiere. | Bild: NDR

Deutschlands Landwirte haben in letzter Zeit große Probleme mit ungewöhnlichen Infektionskrankheiten. 2010 erst haben sie und ihre Tiere sich mit der Blauzungenkrankheit herumschlagen müssen. Und nun beschäftigt sie schon wieder ein neuer Erreger. Zum Jahresanfang 2012 waren es zuerst Schafe, die missgebildete Lämmer zur Welt brachten, seit März folgen auch Kälber. Die Ursache dafür ist ein ganz neues Virus, das so genannte "Schmallenberg-Virus". Schon im Sommer 2011 gab es erste Anzeichen einer neuen Erkrankung. Landwirte beobachteten immer wieder hohes Fieber und einen deutlichen Rückgang der Milchleistung bei ihren Kühen. Nachdem alle herkömmlichen Ursachen ausgeschlossen werden konnten, blieben Tierärzte und Behörden weiter hartnäckig.

Dem Virus auf der Spur

Das Schmallenberg-Virus
Verursacher der neuen Krankheit: das Schmallenberg Virus | Bild: Friedrich-Löffler-Institut

Blutproben kranker Kühe aus dem kleinen Ort Schmallenberg im Sauerland führten schließlich auf die Spur eines gänzlich unbekannten Erregers. Auf der Ostseeinsel Riems analysierten Forscher des Friedrich-Löffler-Instituts mithilfe eines komplizierten Verfahrens sein Erbgut. Ergebnis: Es handelt sich um ein komplett neues Virus, das der Familie der Ortobunya-Viren zugeordnet werden konnte. Bisher sind die nur aus Afrika, Australien oder Asien bekannt. Wie der Erreger nach Europa gelangen konnte, ist bis heute rätselhaft. Übertragen und verbreitet wurde er jedenfalls durch heimische Gnitzen, blutsaugenden Insekten, die deutlich kleiner sind als herkömmliche Stechmücken. Infizieren die Gnitzen durch ihren Stich Schafe oder Kühe in einer bestimmten Phase der Trächtigkeit mit dem neuen Virus, dann drohen Missbildungen. Weil Schafe kürzere Zeit tragen als Kühe, wurden die Folgen zunächst bei ihnen sichtbar. Doch mittlerweile bringen auch infizierte Kühe missgebildeten Nachwuchs zur Welt. Mehr als 340 deutsche Betriebe sind schon betroffen.

Einsatz für den Landtierarzt

Kuh Anna
Für die Kühe sind die Geburten der missgebildeten Kälber eine hohe Belastung. | Bild: NDR

Genau das hat auch Milchkuh Anna aus dem ostfriesischen Folmhusen hinter sich. Tierarzt Dr. Jakob Beening konnte ihr Leben nur noch mit einem Kaiserschnitt retten. Das missgebildete Kalb war schon im Mutterleib gestorben, eine normale Geburt in diesem Fall unmöglich. Wegen der derzeitigen Häufung der Fälle lag die Vermutung nahe, dass es sich schon wieder um ein Opfer dieser neuen Krankheit handelt. Für die Landwirte bedeuten die meist schweren Geburten nicht nur unvorhergesehene Tierarztkosten. Harald Rademacher, Besitzer von Kuh Anna: "Das Blöde ist ja, dass die Kuh gewaltig leidet. Das Kalb ist verloren, das ist schade. Aber die Kuh hat für die Laktation jetzt eine ganz große Schädigung. Die Milch kommt nicht richtig durch und ob sie wieder tragend wird, ist die Frage." Der Tierarzt hat erst einmal alles getan. Doch damit ist der Fall noch nicht abgeschlossen, denn ein Verdacht ist noch lange kein Beweis. War es tatsächlich das Schmallenberg-Virus?

Untersuchung in der Tierpathologie

Missgebildetes Kalb
Typische Missbildung eines Kälbchens. | Bild: NDR

Das muss Tierpathologe Dr. Michael Brügmann vom Lebensmittel- und Veterinärinstitut Oldenburg des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) feststellen. Auf seinem Seziertisch landen seit einigen Wochen vermehrt Lämmer und Kälber mit schweren Missbildungen: Der Hals nach hinten gebogen, die Wirbelsäule verkrümmt, die Beine verdreht. Auch das tote Kalb aus Folmhusen zeigt die für Schmallenberg typischen Symptome. Aber der Tierpathologe kann sich nicht allein auf die äußeren Merkmale verlassen. Er muss weitere Diagnosemöglichkeiten nutzen. Dafür entnimmt er dem Kalb Proben aus Milz und Gehirn. "Man weist im Gehirn extrem hohe Viruslasten, also extrem viel Virus nach. Andere Organe sind weniger belastet, dort ist der Nachweis häufig negativ oder wir weisen nur sehr geringe Konzentrationen nach", erläutert Brügmann sein Vorgehen. Anschließend werden die Proben zerkleinert und gereinigt. Um das Virus nachzuweisen, gehen sie anschließend in den so genannten "PCR-Test". Die Analyse des Virus-Erbguts beweist eindeutig: Es war Schmallenberg - auch beim Nachwuchs von Kuh Anna.

Keine Gefahr für Menschen

Das Robert Koch-Institut hat inzwischen eine Studie bei Schäfern durchgeführt und eindeutig festgestellt, dass das Schmallenberg-Virus bei Menschen mit viel Erregerkontakt nicht zu einer Infektion geführt hat. Für den Menschen birgt das neue Virus also offenbar keine Gefahr. Dennoch gibt es weiterhin viele offene Fragen. Wie und wann kam das Virus hier her? Gab es das Virus auf einem anderen Erdteil schon länger, ohne dass es entdeckt wurde? Und vor allem: Wie wird es sich jetzt weiter verhalten? Wird es eine zweite Infektionswelle geben? Ein Impfstoff steht vermutlich nicht vor 2013 bereit. Die Landwirte können ihre Tiere so lange lediglich notdürftig mit Insektiziden schützen. Einen Trost gibt es allerdings: Verhält sich das Schmallenberg-Virus wie die anderen aus der Familie der Ortobunya-Viren, dann dürften Tiere, die schon einmal infiziert waren, künftig immun sein und gesunden Nachwuchs zur Welt bringen.

Autorin: Britta Thein (NDR)

Stand: 07.08.2013 09:22 Uhr

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