SENDETERMIN So., 06.05.12 | 17:00 Uhr | Das Erste

Seuchen der Menschheit

Die moderne Medizin hat beeindruckende Erfolge vorzuweisen: Die Lebenserwartung in den Industrienationen ist so hoch wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Doch nach wie vor sind weltweit viele Millionen Menschen von schweren Krankheiten betroffen. So manche fürchterliche Seuche ist inzwischen ausgerottet, andere werden die Menschen noch lange beschäftigen. Damals wie heute haben die großen Krankheiten immense gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, aber auch kulturelle Folgen.

HIV / AIDS

Erreger: Virus (Humanes Immundefizienz Virus - HI-Virus)
Übertragung: Körperflüssigkeiten
Status: weltweit über 33 Millionen Infizierte

Karte Verbreitung AIDS
60 Prozent der Infizierten leben südlich der Sahara. | Bild: Interaktion/BR

HIV gehört weltweit zu den Haupttodesursachen des 21. Jahrhunderts und hat in den letzten 30 Jahren ca. 25 Millionen Menschen das Leben gekostet. Der Ursprung des Virus liegt nach heutigen Kenntnissen beim Affen. Durch noch vorhandene Blutproben konnte nachgewiesen werden, dass schon 1959 ein Mann im Kongo am HIV starb. Von Afrika gelangte das Virus nach Nordamerika, in den 1980er-Jahren dann in die ganze Welt. 1981 gab es in den USA etwa 100 dokumentierte Fälle von AIDS. Zwei Jahre später waren es knapp 3.000. Die Krankheit trat zunächst bei jungen homosexuellen Männern auf und wurde "Gay-Related Immune Deficiency" - mit Homosexualität verbundene Immunschwäche, kurz GRID, genannt. Nach einiger Zeit wurde klar, dass nicht nur Homosexuelle betroffen waren und sich die Krankheit bereits weit verbreitet hatte. 1982 bekam sie den Namen AIDS - "Acquired Immune Deficiency Syndrome", also "erworbene Immunschwächekrankheit". Über Körperflüssigkeiten verbreitet sich das HI-Virus. Es befällt und zerstört Zellen des Immunsystems. Mit fortschreitender Infektion wird das Immunsystem schwächer. Schließlich kann es auch mit einer geringen Zahl von alltäglichen Krankheitserregern, denen jeder Mensch ständig ausgesetzt ist, nicht mehr fertig werden. Das am weitesten fortgeschrittene Stadium der HIV-Infektion ist AIDS. Es kann 10 bis 15 Jahre dauern, bis eine HIV-infizierte Person AIDS entwickelt. Antiretrovirale Medikamente können den Prozess weiter verlangsamen. Die Medikamente stehen aber dort, wo sie am meisten gebraucht werden, oft nicht zur Verfügung. Derzeit sind über 33 Millionen Menschen weltweit HIV-positiv. Über 60 Prozent lebt südlich der Sahara in Afrika. Jedes Jahr kommen über zweieinhalb Millionen Neuansteckungen hinzu. Fast ebenso viele Menschen sterben jedes Jahr an der Krankheit. Auf eine baldige Entwicklung einer Heilungsmethode oder gar einen Impfstoff machen Mediziner wenig Hoffnung.

Grippe Influenza

Erreger: Virus (Influenza)
Übertragung: Tröpfcheninfektion, Kontakt
Status: weltweit vorhanden

Grippevirus
Grippeviren verändern ständig ihre Oberfläche. | Bild: Interaktion/BR

Seit etwa 500 Jahren treten saisonal regelmäßig Grippewellen auf. Wenn Menschen mit schwachem Immunsystem eine Grippe bekommen, ist die Krankheit gefährlich. In seltenen Fällen kann sie dann sogar tödlich sein. 1918 ging eine Grippewelle um die Welt, genannt "Spanische Grippe", die innerhalb von nur sechs Monaten vermutlich bis zu 50 Millionen Menschenleben forderte. Sie traf, untypisch, auch viele junge, gesunde Menschen. Oft starben die Menschen innerhalb von zwei Tagen nach der Infektion. Todesursache war in den meisten Fällen wohl eine Lungenentzündung. Weil sie so schnell tötete, sind die Schrecken dieser Seuche kaum im kollektiven Gedächtnis erhalten geblieben. Und das obwohl sie zeitlich viel näher ist als etwa die Pestwellen des Mittelalters. Auf die Wissenschaft hatte diese Pandemie hingegen einen großen Einfluss, denn es wurde fieberhaft nach dem Erreger gesucht. Die Grippe ist sehr ansteckend, die Viren bleiben auf glatten Oberflächen über 24 Stunden, auf Geldscheinen sogar mehrere Tage infektiös. Die Viren ändern sehr häufig ihre Oberfläche und sind so für die Immunabwehr vorerst unbekannt. Gedächtniszellen speichern zwar die Profile schädlicher Viren, die schon einmal bekämpft wurden, aber eben nur dieses eine spezielle Profil eines bestimmten Stamms von Influenzaviren. Und nur gegen diesen besteht dann Immunität. Die Forschung nach einem Impfstoff hinkt deshalb der Entwicklung des Virus immer hinterher. Besonders gefährlich sind Influenzaviren, die durch Kombination verschiedener Virus-Typen entstehen - oder vom Tier auf den Menschen überspringen wie 1997 die Vogelgrippe. Offenbar hatten sich aber alle Erkrankten direkt bei Vögeln infiziert. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch konnte nicht nachgewiesen werden. Obwohl der Stamm nicht sehr aggressiv war, wurden zur Eindämmung der Seuche weltweit Millionen von Vögeln notgeschlachtet. 2009 dann die "Schweinegrippe": H1N1 2009 war vermutlich aus einer Kombination von zwei verschiedenen Schweine-Influenzaviren entstanden und auf den Menschen übergesprungen. Von Mexiko verbreitete es sich rasant über die ganze Welt. Eine Ansteckung war nur von Mensch zu Mensch möglich. Viele Länder legten große Vorräte eines Grippemittels an, Massenimpfungen wurden diskutiert. Jährlich erkranken etwa drei bis fünf Millionen Menschen weltweit an der saisonalen Grippe. Bis zu 500.000 sterben.

Malaria

Erreger: tierische Einzeller (Plasmodium)
Übertragung: Stich infizierte Anopheles Mücke
Status: weltweit vorhanden, Millionen Erkrankte und Tote jährlich

Hütte wird eingesprüht
Mit Insektengift sollen die Überträger der Malaria vernichtet werden. | Bild: WHO/BR

40 Prozent der Weltbevölkerung leben in sogenannten Endemiegebieten. Dort tritt Malaria auf und ist eine häufige Todesursache bei Kindern. Was heute als Tropenkrankheit bekannt ist, war auch mal eine sehr europäische Krankheit. Die Malaria verfolgt den Menschen vermutlich schon seit Beginn seiner Geschichte. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war sie im Mittelmeerraum weit verbreitet. Selbst in Südengland, den Niederlanden oder in Mitteldeutschland tauchte sie auf. Der Name Malaria kommt vom Italienischen "mala aria", also "schlechte Luft". Bereits in der Antike erkannte man, dass Malaria vor allem in Sumpfgegenden vorkam. Man dachte, sie würde durch Dämpfe ausgelöst. Tatsächlich ist es aber ein einzelliger tierischer Organismus: Das Plasmodium. Gelangt es ins Blut vermehrt es sich vor allem in den roten Blutkörperchen. Weil es sich in diesen Zellen befindet, ist es so schwierig, die Krankheit zu bekämpfen. Erkrankte werden von schweren Fieberschüben geplagt, die Reaktion des Immunsystems auf die große Menge von Krankheitserregen im Blut. Schüttelfrost, Krämpfe und Magen-Darm-Beschwerden kommen hinzu. Malaria tropica ist die schwerste Form der Malaria. Fast jeder Fünfte stirbt in solchen Fällen. Der Erreger bleibt dauerhaft im Körper, es kann auch Jahre später noch zu einem Ausbruch kommen. Behandelt wird die Malaria mit Chemotherapeutika. Ende des 19. Jahrhunderts stand fest, dass nur das Weibchen einer bestimmten Mückenart die Erreger verbreitet. Nun konnte die Malaria durch indirekte Maßnahmen bekämpft werden. Sümpfe wurden trockengelegt und Benzin, später Insektengifte versprüht. In den 1950er-Jahren startet die Weltgesundheitsorganisation WHO das "Global Eradication of Malaria Program". In Europa war es erfolgreich - wobei auch die zunehmende Verstädterung eine Rolle spielte. Nach anfänglichen Erfolgen auch in den Entwicklungsländern, wurden jedoch immer mehr Mücken resistent gegen DDT. Und immer mehr Plasmodien entwickelten Resistenzen gegen die Medikamente. 1972 stellte die WHO die Kampagne als gescheitert ein - sie hatte mehrere Milliarden Dollar gekostet. Die Malaria ist heute weltweit verbreitet. 280 Millionen Menschen sind infiziert. Jedes Jahr sterben ein bis zwei Millionen. Die meisten in Afrika. Es wird intensiv an Impfstoffen, und Medikamenten geforscht.

Pest

Erreger: Bakterium (Yersinia pestis)
Übertragung: Flohbiss, Tröpfcheninfektion
Status: endemisch vorhanden, letzter Ausbruch 2010

Arzt mit Schnabelmaske
Die Schnabelmaske soll den Arzt vor der Pest schützen. | Bild: BR

Noch heute ist "Pest" ein Synonym für die schrecklichste vorstellbare Krankheit. Bis in die frühe Neuzeit waren die Ärzte machtlos gegen sie und versuchten sich, meist erfolglos, mit den bekannten Schnabelmasken zu schützen. Das erste gesicherte Auftreten der Krankheit gab es im 6. Jahrhundert. Die Epidemie nahm ihren Anfang in Ägypten und verbreitet sich bis nach Irland. Im Mittelalter fand dann wegen der Pest eine regelrechte Entvölkerung Europas statt. Bis zu 25 Millionen Menschen, schätzt man, starben in nur circa fünf Jahren, ein Drittel der Bevölkerung. Ganze Landstriche waren entvölkert, Äcker blieben unbebaut. Diese Pestwelle im 14. Jahrhundert bekam den Namen "Schwarzer Tod". Und hatte immense gesellschaftliche Folgen: Weil die Krankheit die Menschen über Jahrhunderte hinweg begleitete, fand sie auch Eingang in Kunst, Literatur und Kultur. Noch heute findet man in vielen Orten Pestsäulen und andere Relikte. Selbst Volkslieder wie "Oh du lieber Augustin" beziehen sich auf die Krankheit. In den nächsten Jahrhunderten wurde die Seuche endemisch. Sie brach also örtlich begrenzt immer wieder aus. 1720 gab es die letzte große Epidemie in Europa. Die Pest ist eine bakterielle Erkrankung, die durch den Erreger "Yersinia pestis" ausgelöst wird. In wilden Nagetieren und Ratten hat er ein natürliches Reservoir. Durch ihre Flöhe verbreitet er sich. Sterben die Nagetiere an der Pestinfektion, sucht sich der Floh einen neuen Wirt. Wird ein Mensch von einem infizierten Floh gebissen, entwickelt sich meist eine Beulenpest. Die Lymphknoten um die Bissstelle schwellen an. Befallen die Bakterien auch die Lunge, kommt es zu Lungenpest, die dann auch durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch übertragen wird. Geraten die Pestbakterien in die Blutbahn spricht man von septischer Pest. Mit Antibiotika lässt sich die Pest wirksam behandeln. Unbehandelt sterben bei der Beulenpest 60 Prozent der Infizierten, bei der Lungenpest 90 Prozent und bei der septischen Pest praktisch alle. Die Seuche bricht, wie 1994 in Indien, immer wieder aus. Sie ist in vielen Ländern Afrikas, der früheren Sowjetunion, in Amerika und in Asien auch heute noch endemisch. Jedes Jahr werden etwa 2.000 Pesterkrankungen gemeldet, etwa 180 Menschen sterben. Die meisten in Afrika. Zuletzt wurden im August 2010 aus Peru 17 Fälle gemeldet.

Pocken

Erreger: Virus (Orthopoxvirus Variola)
Übertragung: Tröpfcheninfektion, Aerosol (Staub, Wäsche)
Status: letzte Erkrankung 1977, nur noch im Labor, Tierpocken

Arzt entnimmt Sekret von Kuhpocken
Kuhpocken-Sekret wurde im 18. Jahrhundert als Impfstoff genutzt. | Bild: BR

Die WHO stuft die Pocken als eine der "verheerendsten Krankheiten der Menschheit" ein. Sie ist extrem ansteckend und bis zu 30 Prozent der Infizierten sterben. Es gibt kein Heilmittel. Vermutlich wütete die Krankheit schon vor 3.000 oder 4.000 Jahren unter den Menschen. So meint man an der Mumie des ägyptischen Königs Ramses V. Pockennarben zu sehen. Belegt sind die Pocken aber erst seit dem 9. Jahrhundert. Ab dem 11. Jahrhundert litt ganz Europa bis in den Nahen Osten unter der Seuche. Sie wird zur unausweichlichen Kinderkrankheit. Noch im 18. Jahrhundert starb in europäischen Ländern jedes zehnte Kind an Pocken. Die spanischen Eroberer brachten die Krankheit nach Amerika, wo sie unter den Ureinwohnern Millionen von Toten forderte. Die Bevölkerung war so stark von der Krankheit getroffen, weil sie noch nie vorher mit dem Erreger in Berührung gekommen war. Das Virus gelangt mit der Atemluft in den Körper. Dort vermehrt es sich stark - bis zu 10.000 neue Viren entstehen in einer einzigen Zelle. Die Viren verbreiten sich über den ganzen Körper - auch in die Haut. Dort rufen sie die charakteristischen Pusteln hervor. Die Krankheit hinterlässt bei 65 bis 80 Prozent der Erkrankten hässliche Narben auf dem ganzen Körper, in manchen Fällen führt die Krankheit zum Erblinden. Im Jahr 1796 beobachtet in England der Arzt Edward Jenner, dass Knechte und Mägde, die die harmlosen Kuhpocken durchgemacht haben, immun gegen die Pocken sind. Er impft den achtjährigen James Phipps mit dem Sekret der Pusteln einer Magd, die an Kuhpocken erkrankt ist. Das Kind wird ebenfalls immun gegen Pocken. Weitere Versuche zeigen: Jenners Impfung ist ein sicherer Schutz gegen die gefährliche Seuche. Das Verfahren bekam den Namen "Vaccination" - vom lateinischen vacca für Kuh. Noch heute ist der englische Begriff fürs Impfen "Vaccination". Die Impfung macht sich das Erinnerungsvermögen unseres Immunsystems zunutze. Dieses bildet so genannte "Gedächtniszellen", die die Oberflächenstruktur von Keimen speichern, die den Organismus schon einmal befallen haben. Das ist auch der Grund dafür, dass wir nur einmal Röteln und andere Kinderkrankheiten bekommen können. Hat das Immunsystem die Viren einmal besiegt, werden die Eindringlinge von nun an sofort erkannt und unschädlich gemacht. Trotz Impfungsmöglichkeit gab es in den frühen 1950er-Jahren jährlich schätzungsweise 50 Millionen Fälle von Pocken weltweit. 1967 rief die Weltgesundheitsorganisation WHO die Kampagne zur Ausrottung der Pocken aus. Noch immer erkrankten 10 bis 15 Millionen Menschen jährlich, knapp zwei Millionen starben. Die WHO rückte mit Ärzten, Krankenschwestern und medizinischem Material an. Zehn Jahre später war das Virus auf einen einzigen Fleck der Erde eingeschränkt: Somalia. Schließlich fanden sie den letzten Pockenkranken, den Koch Ali Maow Malin, der sich im Oktober 1977 mit dem Pockenvirus infiziert hatte - er konnte geheilt werden, die Pocken sind besiegt. Die Pocken sind die bisher einzige Krankheit, die die Medizin besiegen konnte.

Autorin: Ulrike Lovett (BR)

Stand: 07.08.2013 09:20 Uhr