So., 08.01.12 | 17:03 Uhr
Das Erste
Schweine im Psychotest
Sind Gefühle bei Säugetieren vielleicht nur ein Trugbild?
Schweine und Menschen leben schon seit mindestens 10.000 Jahren miteinander. Da ist es verständlich, dass viele Verhaltensweisen von Schweinen als menschlich bezeichnet werden (und anders herum, aber das ist ein anderes Thema). Das Schwein erleben wir zum Beispiel als neugierig, als aufgeregt oder traurig. Aber interpretieren wir, wenn wir Tiere mit menschlichen Gefühlskategorien belegen, unsere Begriffe und Vorstellungen nur in die Tiere hinein? Sieht das Verhalten der Tiere für uns nur menschlich aus? Oder haben Schweine - und möglicherweise alle Säugetiere - dieselben Gefühle wie wir?
Gibt es "glückliche" Schweine?
Die schwarzen Cornwallschweine von Landwirt Johannes Buchner aus dem Steigerwald leben das ganze Jahr über draußen. Hier können sie tun und lassen was sie wollen. "Ich sehe, dass sie glücklich sind. Ich merke das richtig: Die kommen herunter gestürmt und fühlen sich sauwohl. Sie kommen einfach her, ohne dass sie Angst haben, und sind neugierig. Die Neugierde ist, denke ich, auch ein Zeichen von Glücklichsein!" Bauer Buchner meint auch zu erkennen, wenn sie traurig sind: "Wenn sie nicht glücklich sind, lassen sie ihre Ohren hängen, sind total schlapp, bewegen sich auch nicht viel, sind nicht mehr neugierig." Der Bauer sieht es ihnen sozusagen an der Nasenspitze an, wie sie sich fühlen. Aber wie kann man wissenschaftlich beweisen, dass sie glücklich sind?
Schweine im Psychotest
Sandra Düpjan, Verhaltensforscherin vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie bei Rostock, will mit einem Versuch zeigen, dass Schweine echte Gefühle haben. Dafür hat sie eine wissenschaftliche Methode entwickelt. Die entscheidende Idee stammt aus der experimentellen Psychologie. Vom Menschen weiß man aus vielen Versuchen, dass Gestresste eher pessimistisch oder sogar depressiv werden, glückliche Menschen dagegen überwiegend optimistisch entscheiden. Solch einen Psychotest für Menschen hat Sandra Düpjan jetzt erstmals an Schweinen ausprobiert.
Pessimisten und Optimisten im Stall
Dafür wurden die Tiere zunächst eine Woche lang trainiert. Die Schweine wurden dafür mehrfach in eine ansonsten leere Arena mit einer hohen Wand gelassen. Einziges Objekt war ein Futterkasten, der Nahrung enthielt - die aber nicht immer zugänglich war. Immer wenn die Futterbox links stand, kamen die Tiere nicht an das Futter heran. Stand sie rechts, war die Klappe dagegen offen. Nach kurzer Zeit bereits hatten die schlauen Tiere die Regel gelernt und ignorierten links stehende Futterkästen. Jetzt zum eigentlichen Versuch: Eine Gruppe der Testschweine wurde ein paar Stunden isoliert. Das bedeutet für die sozialen Tiere Ungewissheit und Angst, letztlich Stress. Um die Auswirkung des Stresses auf das Verhalten zu messen, stand der Futterkasten auf einer uneindeutigen Position, nämlich in der Mitte. Wie reagiert das Schwein darauf? Wenn es nicht direkt zum Futtertrog geht, schließen die Forscher daraus, dass es gar nicht erst von einem offenen Futterkasten ausgeht, es also pessimistisch eingestellt ist. Tatsächlich schauen viele gestresste Schweine nicht nach und sind damit in den Augen der Forscher Pessimisten. Viele der nicht isolierten und damit ungestressten Schweine dagegen schauen sofort neugierig nach - und sind der These nach Optimisten.
Schweine fühlen ähnlich wie wir Menschen
Der Versuch ist nur ein erster Anhaltspunkt. Da es der erste seiner Art war, müssen zwar noch weitere gemacht werden, bevor man von verlässlichen wissenschaftlichen Ergebnissen sprechen kann. Eins kann man aber jetzt schon sagen: Unter Schweinen gibt es Optimisten und Pessimisten. Und womöglich hat das etwas damit zu tun, wie wir sie halten. Schweine reagieren letztlich genauso auf ihre Umwelt wie wir. Diese These wird auch von anderen Wissenschaftsdisziplinen gestützt.
Hirnforschung stützt These
Professor Jaak Panksepp aus den USA ist einer der renommiertesten Emotions- und Gehirnforscher der Welt. Er gilt als Begründer des Forschungsfeldes der affektiven Neurowissenschaften. Das ist die Hirnforschung, die sich mit dem ererbten Verhalten, gewissermaßen also unserer Grundausstattung auseinandersetzt. Panksepp zu dem Versuch aus Rostock: "Wir können daraus lernen, dass das Schwein höhere Emotionen hat - und zwar, weil man dem Schwein eine kognitive Aufgabe stellt. Man kann zeigen, dass ein glückliches Schwein flexiblere und schnellere Entscheidungen trifft, während ein pessimistisches Schwein langsamer und negativer entscheidet. Und das ist schon ein höherer Grad von emotionaler Verarbeitung."
Emotionen finden in tief liegenden Hirnregionen statt
Emotionen finden in evolutionär gesehen früh entwickelten Gehirnteilen statt. Sie sind sozusagen fest verdrahtet. Mit ihnen kommen Säugetiere schon auf die Welt und sie sind bei allen Säugetieren - auch beim Menschen - gleich aufgebaut. "Wir haben Schaltkreise tief in unserem Hirn, die mindestens sieben verschiedene emotionale Verhaltensmuster erzeugen, wie zum Bepiel Neugier, sexuelle Begierde oder der Brutpflegetrieb, aber natürlich auch Ärger, Angst und Panik. Aber das interessanteste emotionale Verhalten bei Schweinen ist der Spieltrieb. Schweine haben alle sieben Emotionen, genauso wie wir. Wir wissen, wo diese Prozesse im Hirn stattfinden, wir wissen schon recht viel über die Chemie, die dabei abläuft, und wir wissen aus Verhaltensexperimenten eben auch, wie sich das Tier dabei fühlt", sagt Jaak Panksepp.
Glückliche Schweine sind gesünder
Auch Landwirt Johannes Buchner kann das aus seiner persönlichen Erfahrung nur bestätigen. Die gute Stimmung in der Rotte zahlt sich für ihn sogar aus. Glückliche Schweine haben auch ein robusteres Immunsystem und brauchen daher weniger Medikamente. "Bei meinen Schweinen hier draußen habe ich bis jetzt keine Impfungen und auch keine antibiotischen Vorsichtsmaßnahmen gebraucht, und ich merke auch, dass sie sehr gesund sind. Das ist eine Sache, wo ich selber merke: Das macht mir Spaß und das tut den Schweinen auch gut." Man kann sich gut vorstellen, wie seine Glückschweine im Psychotest abschneiden würden: vermutlich als zufriedene Optimisten.
Autor: André Rehse (SWR)
Stand: 13.11.2015 14:00 Uhr