Fragen an Mira Thiel

Regie

Sebastian (Tim Oliver Schultz) kann plötzlich nicht mehr sehen und wird von der Augenärztin (Sophie von Kessel) untersucht.
Sebastian kann plötzlich nicht mehr sehen und wird von der Augenärztin untersucht. | Bild: ARD Degeto/Constantin Television / Jacqueline Krause-Burberg

Was war für Sie die Herausforderung bei der Arbeit mit einer blinden Figur?

Als Regisseurin versuche ich immer, die Szene für den Schauspieler etwas unvorhersehbar werden zu lassen, damit eine gewisse Authentizität vorhanden bleibt. Diese Arbeitsweise habe ich für diesen Film noch intensiviert: Damit Tim für uns im Spiel so authentisch wie möglich in die Blindheit gehen kann, haben wir am Set mit einer Schlafmaske geprobt. Tim hat also wirklich nichts gesehen. Erst als wir drehfertig waren, hat Tim die Maske abgenommen, ohne dabei bewusst zu fokussieren und hat direkt die Szene gespielt. So blieb er "blind".

Was war an dieser Stelle das Charakteristische an dem Dreh mit Tim Oliver Schultz?

Wir haben uns gefragt, was es heißt, blind zu sein. Nichts zu sehen, macht nicht gleich authentisch blind. Denn es gibt sehr viele verschiedene Arten blinder Menschen, mit ihrer Blindheit umzugehen. Sebastian ist eine Figur, die nie zeigen würde, ein Handicap zu haben. Dafür ist ihm seine Wirkung auf andere zu wichtig. Wir hatten das Glück, in der Vorbereitung bei unseren Gesprächen auf einen Blinden zu treffen, bei dem man nicht gemerkt hat, dass er einen nicht sehen kann. Das hat uns motiviert, hier nicht für die Kamera oder den Zuschauer blind zu spielen, sondern von Sebastian auszugehen. Wie geht ein Charakter wie Sebastian blind durch die Szene? Sebastian macht im Film also auch, was seinen Umgang mit der Blindheit angeht, eine Entwicklung durch. Am Anfang ist er ein überfordertes "Opfer", doch am Ende merkt man fast gar nicht mehr, dass er blind ist.

Was hat Sie daran gereizt, die Geschichte einer Liebe zu erzählen, die in einer solch schwierigen und existentiellen Lebenssituation ihren Anfang hat?

Geschichten sind immer dann gut, wenn es um etwas geht. Da ist das Genre fast nebensächlich. Ich mochte schon beim ersten Lesen des Drehbuchs, dass Sebastian so etwas Schlimmes passiert, und er am Ende genau deswegen in die Liebe hineinwachsen kann, für die er am Anfang noch zu klein war.

Sebastian lebt ein oberflächliches Partyleben, in dem sich alles um Äußerlichkeiten dreht. Ist dieser spezielle Figurentyp symptomatisch für unsere Zeit?

Ich denke, Oberflächlichkeit gibt es, seitdem es Menschen gibt. Was heute Selfies sind, waren gestern glückliche Urlaubsfotos und irgendwann vorher Selbstportraits in Öl. Sicher kreuzt das Thema Oberfläche einen heute gewaltiger und gewaltig früher in der Charakterentwicklung – aber dieses Phänomen interessierte mich für unseren Film weniger. Mich interessiert mehr Sebastians innere Verkrustung, die er nie verarbeitet hat. Sebastians Problem ist nicht seine Oberflächlichkeit, sondern seine Angst davor, andere zu verletzen, ausgelöst durch den viel zu frühen Tod seines Bruders. Er gibt sich die Schuld dafür. Nicht, weil er da irgendwas getan hätte, aber Kinder beziehen durch ihre Allmachtfantasien viele Dinge auf sich. Ohne Grund. Sie geben sich zum Beispiel die Schuld an der Scheidung der Eltern. Und das wird dann nie wirklich verarbeitet, stattdessen flüchtet man sich in Ablenkung. So hat das Sebastian auch gemacht – bis er durch seine Blindheit auf Mia trifft.

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