Gepräch mit Daniel Nocke (Drehbuch) und Stefan Krohmer (Regie)

Alma (Hannah Schiller) macht Vater Oliver (Mark Waschke) und dessen Freund Felix (Wanja Mues) das Leben schwer
Alma macht Vater Oliver und dessen Freund Felix das Leben schwer | Bild: NDR / Georges Pauly

Gepräch mit Daniel Nocke (Drehbuch) und Stefan Krohmer (Regie)

In den vergangenen Jahren und vor allem durch die Initiative #actout ist sehr klar formuliert geworden, dass es im deutschen Fernsehen zu wenig Geschichten gibt, die die Lebensrealitäten von nicht-heterosexuellen Menschen abbilden. Wollten Sie mit Ihrem Drehbuch dem Wunsch nach mehr Diversität nachkommen?

Daniel Nocke: Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Drehbuch schon lange vor #actout entwickelt. Es ging uns nicht darum, jetzt mal etwas über Homosexuelle zu erzählen, sondern mich hat die Konstellation eines Paares interessiert, das in eine extrem belastende Situation gerät, als die Tochter des einen Partners, Oliver, einzieht und das Gleichgewicht in dieser Beziehung ins Wanken gerät…

… weil die Tochter die Homosexualität ihres Vaters nicht akzeptiert.

Daniel Nocke: Bei Olivers Tochter Alma hat das mit ihrer Biografie zu tun. Das ist keine kulturell geprägte Homophobie, sondern Alma hat das Gefühl, nur auf Grund einer Lüge gezeugt worden zu sein, als Alibi, weil der Vater der Meinung war, als Leistungssportler seine Homosexualität verbergen zu müssen. Oliver sieht das natürlich anders, und darüber findet eine Auseinandersetzung statt. Die Tochter wirft ihm vor, dass er nicht Farbe bekannt und sich nach der Trennung von der Mutter auch nicht um sie gekümmert hat. Mich interessieren Filme, die ambivalent sind und in denen die Frage nach richtig und falsch nicht so leicht zu beantworten ist, und man sich nicht eindeutig auf die Seite einer Figur schlagen kann.

Sie, Stefan Krohmer, haben schon mehrmals Drehbücher von Daniel Nocke inszeniert. Ab welchem Zeitpunkt waren Sie in die Stoffentwicklung von „Eine fremde Tochter“ involviert?

Stefan Krohmer: Bei Projekten mit Daniel bin ich oft schon von Beginn an in Überlegungen eingebunden, aber auch hier war es wieder so, dass Daniel das Buch alleine geschrieben hat. Meine eigentliche Arbeit beginnt mit dem Casting. Da war es mir zunächst einmal wichtig, für Vater und Tochter Schauspieler*innen zu finden, die glaubwürdig Hochleistungssportler*innen verkörpern. Der Vater durch seine bloße Physiognomie, die Tochter vor allem in den Leichtathletik-Szenen. Das Talent für den Sport ist zumindest eine Verbindung zwischen den beiden. Auf anderen Ebenen hat die Vater-Tochter-Beziehung ja faktisch nicht stattgefunden. Durch den überraschenden Unfalltod der Mutter entsteht eine Nähe, die Überforderung mit sich bringt. Der verständnisvolle Partner des Vaters ist davon auch betroffen. Für alle drei erzeugt das ein Dilemma auf engstem Raum. Das fand ich sehr spannend.

Was passiert denn in der Paardynamik, als die Tochter auftaucht?

Stefan Krohmer: Alma hat mit ihrem Vater eine Rechnung offen und schlägt mit voller Wucht zu. Sie merkt, dass sie da auch in der Machtposition ist, weil ihr Vater um die Verletzungen weiß, die er ihr zugefügt hat. Er will eine Beziehung zu ihr aufbauen, endlich seinen väterlichen Pflichten nachkommen. Sein Partner Felix beobachtet das mitfühlend und will unterstützen. Aber Oliver tut sich schwer, die Hilfe anzunehmen. Der Film kreist auch immer um die Frage von Toleranz. Wie tolerant gehen die beiden Männer mit den Wünschen und Ängsten des Partners um, und wie viel Intoleranz der Tochter muss ertragen werden? Alma agiert sehr rücksichtslos, was Felix aber nie davon abhält, Verständnis zu zeigen und das auch von Oliver einzufordern. Irgendwann muss er einsehen, dass sein Engagement nicht gewünscht ist. Das ist schmerzhaft für ihn, aber er tritt zurück, damit Vater und Tochter das nachholen können, was offensichtlich nachgeholt werden muss. Das Verstörende an der Geschichte ist durchaus beabsichtigt.

Ist es denn wirklich nachvollziehbar, dass heute ein Mädchen von 15 Jahren derart rigoros die Homosexualität des Vaters verurteilt?

Daniel Nocke: Das finde ich nicht so schwer zu verstehen. Alma muss den Tod ihrer Mutter verarbeiten, und über ihren neuen Freund bekommt sie Kontakt zu den Zeugen Jehovas. Alma erhält dort eine Kombination aus zwei Angeboten, zum einen ein spirituelles Angebot, das ihr Trost spendet. Schließlich haben sich Menschen Konzepte vom Jenseits und dem Leben nach dem Tod auch ausgedacht, um Verluste zu bewältigen. Insofern bekommt Alma jetzt ein Angebot, den Tod ihrer Mutter zu verarbeiten, und gleichzeitig bekommt sie ein Angebot, das Leben ihres Vaters zu verurteilen. Denn die Zeugen Jehovas lehnen Homosexualität ganz klar ab, was Alma in ihrer Sicht auf den Vater zu bestätigen scheint und sogar darüber hinausgeht. Und dieses AngebotsPaket nimmt Alma an.

Steht die Figur Alma auch für eine Gesellschaft, die immer noch Vorurteile gegenüber nicht-heteronormativ lebenden Menschen hegt?

Daniel Nocke: Ich weiß nicht, wie viele Zuschauerinnen und Zuschauer heute nicht-heterosexuelle Menschen verurteilen, und ich bin auch nicht ambitioniert, die Einstellung der Zuschauer zu beeinflussen. Wie gesagt: Bei Alma hat es vor allem mit einer individuellen Konstellation zu tun und nur indirekt mit der Gesellschaft. Aber klar, wenn irgendjemand beim Zuschauen mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert wird, von denen er vielleicht dachte, er habe sie nicht, ist das natürlich in Ordnung. Aber ich will die Zuschauer*innen nicht erziehen. Ich will in meinen Geschichten auch keine simplen Lösungen präsentieren. Das Leben hält manchmal Konstellationen bereit, die sich nicht in der klassischen Dramaturgie auflösen lassen. Plötzlich ergeben sich Entwicklungen, in denen Vater und Tochter möglicherweise zueinander finden, aber eben auf eine irritierende Weise.

In Ihrer Inszenierung flüchtet sich Alma immer wieder in eine Fantasiewelt, die Sie sehr realistisch darstellen.

Stefan Krohmer: Diese eingeschobenen Sequenzen orientieren sich in ihrer Ästhetik an der biblischen Bilderwelt, wie wir sie in Broschüren der Zeugen Jehovas gefunden haben. Sie sind nicht als Traumbilder montiert. Gleichwohl visualisieren sie Almas Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit und den Wunsch, der Mutter wieder zu begegnen. Dieses Verlangen ist der Antrieb für Almas Verhalten. Erst am Schluss des Films überlagert sich diese Ebene mit der Filmrealität auf eigentümliche Weise.

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