Laura Tonke als Nina Lieberstein

Hält Nina Lieberstein (Laura Tonke) dem Druck noch Stand?
Hält Nina Lieberstein dem Druck noch Stand? | Bild: NDR / Georges Pauly

„Plötzlich ein Gangsterpaar“ – Gespräch mit Laura Tonke

Was ist diese Nina für eine Frau, die in einer Beziehung mit einer sehr klassischen Rollenverteilung lebt und der dann der Boden unter den Füßen weggezogen wird?

Nina ist eine spannende Figur, weil sie sich mit ihrem Leben und ihrem Status wirklich identifiziert hat – und dann kommt gleich zu Beginn des Films der Absturz ins Bodenlose. Diesen Status zu verlieren, ist ein schmerzhafter Prozess und der Beginn einer Reise, auf der Nina herausfinden muss, wer sie eigentlich ist.

Orientiert sie sich nicht noch lange an diesen Abziehbildern von einem gelungenen Leben? Natürlich ist ihr ursprüngliches Leben ein Abziehbild vom häuslichen Glück, und man könnte sagen, das ist ziemlich oberflächlich. Aber ich will das gar nicht verurteilen. Ich glaube, dass Geld, Haus, Hockeyclub manche Leute wirklich befriedigt. Wenn´s läuft und dir die Handtasche für 20.000 Euro Stabilität gibt, kann das schon geil sein. So funktioniert Kapitalismus eben. Ohne diese materiellen Sehnsüchte würde der Kapitalismus zusammenbrechen. Du spielst halt dann in der oberen Liga mit und das kann auch ein Antrieb sein. Nur blöd, wenn man sich Tabletten reinschieben muss, um dem gesellschaftlichen Druck standzuhalten.

Nina wirft ihrem Mann Paul vor, durch die Tablettensucht alles kaputt gemacht zu haben, und Paul kontert, dass er nur ihren Ansprüchen genügen wollte. Ein typischer Beziehungskonflikt?

Das ist doch interessant, dass hier nicht die Frau das Opfer und der Mann der Schuldige ist oder umgekehrt. Nina ist nicht nur wütend und enttäuscht, weil ihr Mann Drogen genommen hat, sondern weil ihr etwas anderes versprochen wurde. Als erfolgreiche ehemalige Leistungssportlerin hat sie einen hohen Anspruch ans Leben. Deshalb hat sie sich diesen erfolgreichen Chirurgen als Ehemann ausgesucht. Beide sind Erfolgstypen, und die Verabredung ist, dass beide abliefern. Sie hat abgeliefert, das Haus schön dekoriert, sich ums Kind gekümmert, und er scheitert, weil seine Tablettensucht auffliegt.

Klingt nicht nach einem tragfähigen Beziehungsmodell…

Nina ist eine komplexe Figur, am Anfang ein bisschen langweilig und nicht durchweg sympathisch. Nach dem Schock über den Statusverlust gibt es nur Wut und keine wirkliche Auseinandersetzung zwischen den beiden. Erst durch den Totschlag gerät ihr Leben richtig ins Straucheln. Das finde ich schön erzählt, denn wir alle fangen erst an zu reflektieren, wenn etwas richtig schiefgeht. Und dann fragt man sich, was ist mein Anteil daran?

Nina hat aus Notwehr gehandelt. Können Sie nachvollziehen, dass sie sich nach der Tat nicht stellt?

Meine größte Angst für Nina war, dass sie ihr Kind verliert, wenn man ihr die Notwehr nicht glaubt und sie ins Gefängnis kommt. Bei den Dreharbeiten haben wir ganz viel über die Frage geredet, was würde ich in dieser Situation machen? Könnte ich damit leben, nicht zur Polizei zu gehen? Das sind natürlich alles nur rhetorische Fragen, aber wenn ich mir überlege, ich würde mein Kind nicht aufwachsen sehen, dann würde ich mir wirklich dreimal überlegen, ob ich mich stelle. Ich glaube, der Zuschauer kann sich sehr gut mit diesem Dilemma identifizieren. Und Nina ist gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Bin ich eine Mörderin und wo ist mein moralischer Kompass? Und in diesem Moment ist ihr Mann für sie da und sie stehen das gemeinsam durch.

Obwohl sie ihm auch vorwirft sich jetzt als Retter aufzuspielen, während er vorher praktisch abwesend war.

Ihre Reaktion finde ich sehr realistisch. Paul hat das Leben ihrer Familie zerstört und nun kann nicht sofort alles easy sein. Aber diese Bedrohung von außen schweißt sie zusammen und sie sind gezwungen, sich als Paar neu zu erfinden. Irgendwie erkennen sie auch, dass sie in ein Leben hineingeschlittert sind, das sie so eigentlich nicht führen wollten. Ich erlebe auch in meinem Umfeld, dass viele Frauen, wenn sie Mutter werden, ganz automatisch die Kindererziehung und den ganzen Kram zu Hause übernehmen und der Mann macht weiter Karriere. Dann fangen die Frauen an zu dekorieren und Adventskalender selber zu basteln und alles wird gepostet, um sich wenigstens ein instagrammable Leben zu erschaffen. Da verfestigen sich Muster, aus denen man schlecht ausbrechen kann.

Nehmen Sie den beiden wirklich ab, auf ihren Status, auf Haus und Karriere verzichten zu können?

Ich glaube, beide merken wirklich, dass sie dieses ganze Status-Ding nicht brauchen. Alles zu verlieren fühlt sich an wie ein Befreiungsschlag. Eigentlich kann alles nur besser werden, aber sie wollen diese neue gewonnen Freiheit natürlich nicht aufgeben. Das ist toll, wie der Film dann zu einem Thriller wird. Beide sind plötzlich Getriebene und fühlen sich an wie ein Gangsterpaar und wer weiß, vielleicht wechseln sie wirklich auf die dunkle Seite.

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