Die miesen Geschäfte der Loverboys
- Zuhälter spielen jungen Mädchen eine Beziehung vor
- Mit Lügen und Erpressungen treiben sie ihre Opfer zur Prostitution
- Die Täter verdienen so viel Geld und werden nur selten gefasst
Als die Schülerin Nadja den vier Jahre älteren Hassan kennenlernt, ist er für sie die große Liebe. Sie ist 16, noch völlig unerfahren, sie fühlt sich pummelig und unattraktiv. Hassan eröffnet ihr eine völlig neue Welt. Eine, in der sie sich schön und begehrt fühlt. Er führt sie zum Essen aus, macht ihr Komplimente. Weil er von einer gemeinsamen Zukunft spricht, vertraut sie ihm schnell. Dann erzählt er von finanziellen Problemen. "In dem Moment möchte man dem Partner ja auch beweisen, dass man ihn liebt. Und dann gibt man natürlich alles", sagt Nadja.
Eines Abends gehen sie schick essen, danach bringt Hassan sie zu einem Kinderstrich. "Das war der erste Tag, an dem ich ins Auto zusteigen musste und es war der erste Tag, an dem er mir ganz deutlich gemacht hat, dass er auch gewaltbereit ist."
Nadja ist einem sogenannten Loverboy zum Opfer gefallen. Drei Jahre lang geht sie für ihn anschaffen, gibt alle ihre Einnahmen an Hassan ab. "Ich war so verblendet, dass ich das alles nicht richtig realisieren konnte. Und ich habe ihm abgenommen, dass er mich auch geliebt hat. In dem Sinne hat er mich gefügig gemacht."
Ausgeklügelte Verführung
"Die Masche dieser Männer ist immer ähnlich", sagt die pensionierte Kriminalhauptkommissarin Bärbel Kannemann vom Verein No Loverboys. Erst spielen die Männer den Mädchen die große Romantik vor, machen sie emotional abhängig, isolieren sie von Eltern und Freunden und geben dann oft vor in Schwierigkeiten zu stecken, etwa Geldsorgen zu haben. Die Mädchen empfinden häufig Mitleid, wollen den geliebten Partner nicht verlieren und sind bereit, alles zu tun, um ihm zu helfen. Beim ersten Widerstand werden die Männer meist gewalttätig oder setzen die Mädchen mit Sexfotos und -videos unter Druck.
"Es geht ganz viel ums Erpressen", sagt Etta Hallenga von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf. "'Wenn du von mir weg gehst, dann erzähle ich das weiter, ich setze Bilder ins Netz'. Das Andere ist: 'Ich werde das deiner Familie erzählen. Soll die mitkriegen, was du für eine bist'?".
Junge Opfer aus allen Gesellschaftsschichten
Wie viele Loverboy-Opfer es gibt, lässt sich nur schwer sagen. Beim Bundeskriminalamt fallen Loverboy-Delikte in den Bereich Menschenhandel und werden nicht einzeln gezählt. Trotzdem beobachtet auch das BKA bei "zumeist minderjährigen Opfern" von Menschenhandel "vermehrt die sogenannte 'Loverboy-Methode'" und das Bundesfamilienministerium spricht diesbezüglich von einer "hohen Relevanz". Hilfsorganisationen haben das längst erkannt: "Ich habe festgestellt, dass in den letzten zwei Jahren zunehmend Mädchen aus oberen sozialen Schichten betroffen sind, die aufs Gymnasium gehen. Gerade diese Mädchen suchen sich die Täter. Da glaubt man nicht, dass sowas passieren kann", sagt Bärbel Kannemann von No Loverboys.
Was können Eltern tun?
Die ehemalige Kriminalhauptkommissarin berät auch Eltern, die nicht sicher sind, was mit ihrer Tochter passiert ist. Die Eltern von Anna aus Münster hatten den Kontakt zu ihrer Tochter verloren. Sie war mit ihrem Freund verschwunden, nachdem sie sich zuvor immer mehr zurückgezogen hatte. Ihre Tochter war 20 Jahre alt. Viel Handlungsspielraum hat die Polizei bei Volljährigen nicht.
Der Verein No Loverboys hat auf seiner Internetseite Hinweise zusammengefasst, an denen Eltern sich orientieren können. Ist die Tochter plötzlich depressiv, hat mehrere Handys, duscht sie sehr lange und oft, distanziert sie sich zunehmend? "Natürlich ist es nicht so, dass man Alarm schlagen muss, wenn ein oder zwei Punkte zutreffen. Aber wenn fünf, sechs, zehn Punkte zutreffen, dann sollte man sich in jedem Fall Rat holen, vielleicht auch mit dem Lehrer sprechen oder sich beim Jugendamt oder der Polizei beraten lassen", sagt Bärbel Kannemann. Sie hält auch Vorträge an Schulen, um auf das Problem im Vorfeld aufmerksam zu machen und Eltern und Lehrer dafür zu sensibilisieren.
Während Annas Eltern nicht wissen, wo ihre Tochter ist, muss sie in England als Camgirl arbeiten, sich vor der Webcam gegen Geld ausziehen und "sexuelle Performances" zeigen. Später muss sie Männer auch persönlich treffen. Dabei bekommt sie Anweisungen ihres Loverboys über einen Knopf im Ohr, er sagt ihr, was sie mit dem Freier machen soll.
Anna halfen Medien wie das Internet und das Fernsehen auszusteigen. Dort wurde von anderen Betroffenen berichtet, Anna begriff: Sie ist auf eine Masche hereingefallen, sie wird ausgebeutet und sie ist nicht die Einzige, der es so geht. Nach zwei Jahren kommt sie zurück zu ihren Eltern. Anna macht eine Therapie und versucht zu vergessen.
Ihr Zuhälter sitzt jetzt in Untersuchungshaft; ihre Vorgängerin hat ihn wegen Körperverletzung und Vergewaltigung angezeigt. Auch Anna hat er geschlagen und gewürgt: "Ich hatte ständig seine Hände um den Hals". Trotzdem hätte sie sich selbst nicht getraut, ihn anzuzeigen, aus Angst und aus Scham.
Täter werden nur selten gefasst
Die Angst der Opfer, sich Hilfe bei Polizei oder Beratungsstellen zu holen, stellt Ermittler und Staatsanwälte vor große Probleme. "Ich denke, der Bereich Menschenhandel ist eines der schwierigsten Felder im Bereich Kriminalitätsbekämpfung", sagt Helmut Sporer, Kriminalkommissar aus Augsburg. Er leitet das Kommissariat 1 für Prostitution und Menschenhandel. Das größte Problem sei, dass "die Beweisführung nur über die Aussage des Opfers zu führen ist, wenn es verurteilungssicher sein soll". Das heißt: Ist das Mädchen volljährig – oder gibt vor es zu sein – und sagt aus Angst vor ihrem Zuhälter nicht, dass sie zur Prostitution gezwungen und misshandelt wird, hat die Polizei keine Handhabe.
Hinzu kommt, dass sich speziell bei Loverboy-Delikten oft nur schwer nachzuweisen lässt, dass die Opfer manipuliert und zur Prostitution gezwungen wurden und nicht aus freiem Antrieb so gehandelt haben.
Der schwierige Ausstieg
Die 16-jährige Nadja hätte eigentlich eine Chance gehabt, von offizieller Seite aus dem Milieu geholt zu werden. Die Polizei habe sie mehrfach am Straßenstrich aufgegriffen, weil sie minderjährig war. Aber jedes Mal hätte sie das Revier schnell wieder verlassen dürfen. "Mich hat immer nur erschrocken, dass ich immer wieder rausgelassen wurde, obwohl man gesehen hat, was für teilweise schlimme Verletzungen ich hatte." Auch Nadja hat der Polizei immer gesagt, dass sie sich freiwillig prostituieren würde. Abgeholt wurde sie von ihrem Zuhälter, der habe sie einmal direkt vor der Polizeistation verprügelt, weil sie sich hatte aufgreifen lassen.
Erst nach drei Jahren schafft Nadja den Ausstieg. Mit Hilfe einer Beratungsstelle findet sie den Mut, ihren Loverboy anzuzeigen. Er wird verhaftet und schließlich zu sieben Jahren verurteilt.
Auch in anderen Fällen zeichnet sich der Mut der Opfer, zur Polizei zu gehen, aus. Allein in Düsseldorf wurden in den letzten zwei Jahren vier Prozesse gegen Loverboys geführt. Die höchste Verurteilung lag bei zehn Jahren Gefängnis.
Hilfe für Betroffene
Fast in jeder Stadt gibt es Frauenberatungsstellen, die entweder selbst helfen oder geeignete Adressen vermitteln und auch im Internet oder per Telefon können sich Betroffene Hilfe holen.
Text von Katja Bothe